Martin Dzingel, Foto: LV

Was bedeutet die Anwendung des dritten Teils der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen für die deutsche Minderheit in Tschechien? Welche Hoffnungen und Herausforderungen sind damit verbunden? Darüber haben wir mit Martin Herbert Dzingel, Präsident der Landesversammlung, gesprochen.

LE: Seit wann hat sich die Landesversammlung dafür eingesetzt, dass auch der dritte Teil der Charta für die deutsche Minderheit Anwendung findet?

Die Tschechische Republik hat die Charta im Jahr 2006 ratifiziert. Dass die deutsche Sprache bisher nicht unter den dritten Teil der Charta fiel, haben wir nie für richtig gehalten. Schließlich ist die deutsche Sprache in unserem Land historisch tief verwurzelt, worauf wir in verschiedenen Berichten immer wieder hingewiesen haben. 

Im Sommer 2019 stellten wir daher den Antrag, den dritten Teil der Charta auch auf die deutsche Sprache anzuwenden. Dies geschah noch unter der Regierung von Andrej Babiš, der dann auch grünes Licht gab. Insgesamt hat es also knapp vier Jahre gedauert, bis wir am Ziel angelangt sind. 

LE: Haben Sie in dieser Zeit immer daran geglaubt, dass dem Antrag stattgegeben wird? 

Als Präsident und Büroleiter der Landesversammlung habe ich den Prozess natürlich die ganze Zeit begleitet. Wir haben in dieser Zeit viel Lobbyarbeit geleistet und Verhandlungen geführt. Ich muss sagen, dass am Ende alles sehr reibungsfrei verlaufen ist. Zunächst hatte ich einige Bedenken bezüglich der Abstimmung im Parlament, da Minderheitenfragen, vor allem wenn es um die deutsche Minderheit geht, in der Politik mitunter heikel sind. Wie sich jedoch herausstellte, waren diese unbegründet. 

LE: Was waren die größten Herausforderungen bei der Durchsetzung des Antrags?

Es war vor allem der administrative Prozess. Oft lag der Antrag ein halbes Jahr irgendwo, und es hat sich nichts weiterbewegt. Allerdings muss man fairerweise erwähnen, dass die Corona-Pandemie dazwischen kam, was den ganzen Prozess sicherlich verlangsamte. Aber abgesehen davon verlief die Bearbeitung des Antrags problemlos. 

LE: Wurden Sie während des Prozesses durch externe Partner unterstützt? 

Von der Deutschen Botschaft wurde unser Anliegen sehr unterstützt. Wir standen hier im engen Austausch mit Herrn Botschafter Künne, aber auch mit dem Kulturreferat, das wir regelmäßig über den Fortschritt des Antrags informiert haben. Darüber hinaus gab es eine sehr enge  Zusammenarbeit mit dem tschechischen Außenministerium, das den Prozess der Antragsstellung die ganze Zeit hervorragend begleitete. Die ehemalige Beauftragte für Menschenrechte, Professor Helena Válková, unterstützte unser Anliegen ebenfalls nachhaltig mit ihrer Expertise.

LE: Was sind aktuell die größten Herausforderungen für die deutsche Minderheit, und wie kann der dritte Teil der Charta die Minderheit bei deren Bewältigung unterstützen? 

Bezogen auf die Charta gibt es zwei Parteien: Auf der einen Seite steht der Staat, der sich dazu verpflichtet hat, uns mit den Maßnahmen, die wir im dritten Teil der Charta finden, zu unterstützen. Auf der anderen Seite gibt es die Minderheit, die selbst aktiv werden muss, um die Maßnahmen auch zu realisieren. In einem ersten Schritt wird es darum gehen, auf die Vereine und Verbände zuzugehen und sowohl den Bedarf als auch die Kapazitäten genau zu ermitteln. Darüber hinaus brauchen wir Personen, die unsere Vorhaben vor Ort umsetzen. Basierend auf den Rückmeldungen werden wir ein Konzept erarbeiten und auf den Staat zugehen, der uns dann bei der Umsetzung helfen wird.

LE: Welche langfristigen Auswirkungen erhoffen Sie sich von der Umsetzung der dritten Stufe der Charta der Regional- oder Minderheitensprachen?  

Ich hoffe, dass wir in den Regionen zukunftsfähige Strukturen für eine nachhaltige Entwicklung aufbauen können. Ich denke, dass hier vor allem Bildung, aber auch Kultur und Medien eine wichtige Rolle spielen. In diese Bereiche zu investieren, zukunftsweisende Konzepte und Maßnahmen zu fördern, hat für mich derzeit Priorität.

Das Gespräch führte Maximilian Schmidt

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