Im Jahr 2023 beschloss Tschechien, die rechtliche Stellung und Förderung des Deutschen stark auszubauen. Zu diesem Zweck wurde entschieden, Teil III der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen auf Deutsch anzuwenden. Am 28. Februar 2024 ist diese Maßnahme in Kraft getreten.

Die Sprachencharta ist ein Vertrag des Europarats, der die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, den Gebrauch ihrer angestammten Minderheitensprachen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu fördern. Tschechien hat die Charta 2006 ratifiziert. Sie ist dort 2007 in Kraft getreten und gilt in unterschiedlichem Umfang für Deutsch, Mährisches Kroatisch, Polnisch, Romanes und Slowakisch.

Tschechien hat sich nun verpflichtet, 35 Förderbestimmungen aus Teil III der Charta zugunsten des Deutschen umzusetzen. Diese gelten in acht Kreisen (okresy): Eger, Karlsbad, Falkenau (alle in der Region Karlsbad), Reichenberg (Region Reichenberg), Aussig (Region Aussig), Krummau (Region Südböhmen), Troppau (Region Mähren-Schlesien) und Zwittau (Region Pardubitz). Dies ist ein historischer Moment, da ein Gesetz, das eigens die umfassende Förderung des Deutschen zum Gegenstand hat, nie zuvor von der früheren Tschechoslowakei (seit 1918) oder der Tschechischen Republik angenommen worden ist.

Neue Verpflichtungen für den tschechischen Staat

Im Bildungswesen soll in diesen Kreisen an allen öffentlichen Kindergärten, Grund-, Sekundar- und Berufsschulen zweisprachiger Unterricht mit einem deutschsprachigen Wochenstundenanteil von mindestens 50% angeboten werden. Gemäß den gewählten Verpflichtungen darf der zweisprachige Unterricht nicht von Anträgen der Familien/Schüler oder von Mindestschülerzahlen abhängig gemacht werden. Vielmehr muss der zweisprachige Unterricht von den Behörden unaufgefordert und allgemein durchgeführt werden, wobei die Möglichkeit besteht, sich vom zweisprachigen Unterricht abzumelden.*

Der Staat hat sich auch verpflichtet, für die Aus- und Weiterbildung der hierfür erforderlichen Lehrer zu sorgen. An den Schulen soll zudem die deutsche Geschichte und Kultur in Tschechien vertieft unterrichtet werden. Ferner soll Unterricht des Deutschen als Fach oder Unterricht mehrerer Fächer in Deutsch in Landesteilen angeboten werden, wo Deutsch nicht herkömmlich verwendet wurde und wird (also außerhalb der acht Kreise und anderer herkömmlich deutschsprachiger Gebiete). Ein unabhängiges Aufsichtsorgan soll eingesetzt werden, das die Wirksamkeit des deutschsprachigen Unterrichts ständig überwacht und gegebenenfalls Verbesserungen veranlasst.

Als einzige von der Charta geschützte Sprache soll Deutsch an Universitäten und anderen Hochschulen nicht nur als Fach (Germanistik) angeboten, sondern auch als Sprache anderer Studienfächer gebraucht werden. Damit lässt sich an die Tradition der früheren Deutschen Universität Prag sowie der Deutschen Technischen Hochschulen in Prag und Brünn anknüpfen.

Mehrere Verpflichtungen betreffen den Gebrauch des Deutschen vor Justizbehörden (Straf-, Zivilrechts- und Verwaltungsverfahren) sowie gegenüber Behörden des Staates, der Regionen und Städte/Gemeinden. Auch das Abfassen von Rechtsurkunden in Deutsch (z.B. private Verträge) sowie Gebrauch und Annahme deutscher Familiennamen werden gefördert.

In den Medien sollen öffentlich-rechtliche und private Fernseh- und Hörfunksendungen in Deutsch von ausreichender Dauer geschaffen werden. Ferner sollen andere audiovisuelle (z.B. neue/soziale) Medien in Deutsch gefördert werden. Die Behörden verpflichten sich außerdem, eine deutschsprachige Tageszeitung zu fördern. Auch soll der Empfang deutschsprachiger Fernseh- und Hörfunksendungen aus dem Ausland keinen (rechtlichen oder technischen) Einschränkungen unterliegen.

In der Kultur sollen deutschsprachige Veranstaltungen und Einrichtungen in unterschiedlichen Bereichen gefördert werden. Diese Verpflichtung gilt auch in Landesteilen, wo Deutsch nicht herkömmlich verwendet wurde und wird. Vertreter der Deutschen sollen in die deutschsprachige Kulturarbeit laufend einbezogen werden. Weiterhin ist die Schaffung einer Einrichtung vorgesehen, die deutschsprachige kulturelle Werke sammelt, aufführt und veröffentlicht. Ferner verpflichtet sich Tschechien, in seiner Kulturpolitik im Ausland die deutsche Sprache und Kultur zu berücksichtigen.

Der Staat verpflichtet sich außerdem, Praktiken entgegenzutreten, die den Gebrauch des Deutschen im Wirtschafts- und Sozialleben behindern. Zudem soll Tschechien Abkommen mit anderen Staaten, in denen Deutsch Mehrheits- oder Minderheitensprache ist, anwenden oder abschließen, um in deren Rahmen Deutsch zu fördern. Die Zusammenarbeit zwischen tschechischen Gemeinden und Regionen mit deutschsprachigen Gebietskörperschaften im Ausland soll ebenfalls gefördert werden.

Charta fördert gesellschaftliche Bedeutung der deutschen Sprache

Die neuen Verpflichtungen sind eine strategische Antwort auf strukturelle Schwierigkeiten, denen sich die Förderung des Deutschen in Tschechien bisher gegenübersah. So wurden Maßnahmen zur Sprachförderung oft unter Hinweis auf eine angeblich zu niedrige Zahl Deutscher abgelehnt. Die Charta richtet sich aber nicht nur an die Angehörigen der deutschen Volksgruppe oder deutsche Muttersprachler, sondern an alle „Nutzer“ des Deutschen unabhängig von ihrer Volkszugehörigkeit oder der Art des Spracherwerbs. Die Gruppe der Nutzer des Deutschen in Tschechien umfasst also auch tschechische und andere nichtdeutsche Volkszugehörige, die Deutsch als Fremdsprache erlernt haben und es gelegentlich in dem einen oder anderen Zusammenhang nutzen – etwa als Deutschschüler im Fremdsprachenunterricht. Folglich ist die deutsche die größte der von der Charta geschützten Sprachgruppen. Der interkulturelle Ansatz der Charta verhindert, dass Deutsch auf die Sprache einer nationalen Minderheit reduziert wird, und gibt dieser Sprache vielmehr eine gesellschaftliche Rolle als eine Landessprache.

Ein weiterer strategischer Vorteil gegenüber der herkömmlichen Minderheitengesetzgebung ist, dass die Bestimmungen der Charta Verpflichtungen für den Staat darstellen, die von ihm auf seine Initiative umgesetzt werden müssen. Die Umsetzung ist also nicht mehr davon abhängig, dass erst einzelne Deutsche oder deren Verbände die Verwirklichung der Rechte beantragen.

Ein langer Weg zum Erfolg

Als Tschechien die Charta 2006 ratifizierte, wählte es für Polnisch den in Teil II der Charta enthaltenen Mindestschutz mit 12 Förderbestimmungen und zusätzlich 44 Bestimmungen aus Teil III aus, also insgesamt 56 Förderbestimmungen. Für Slowakisch wurden 49 (12+37) ausgewählt. Für Deutsch, Romanes und das Mährische Kroatisch galt jedoch nur der Mindestschutz gemäß Teil II mit 12 Förderbestimmungen.

Dass Deutsch nicht schon damals von Teil III geschützt wurde, war im nationalen und internationalen Vergleich eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung. Der Sachverständigenausschuss des Europarats, der die Umsetzung der Charta in den Vertragsstaaten überwacht, merkte bereits in seinen Prüfberichten von 2012 und 2015 an, dass sich Deutsch für die Anwendung von Teil III eigne. 2018 empfahl der Ausschuss Tschechien, in Zusammenarbeit mit den Deutschen die Anwendung von Teil III auf Deutsch zu prüfen. Am 18. Juli 2019 beantragte die Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik beim Ministerpräsidenten die Anwendung von 42 Teil-III-Bestimmungen. Am 22. Oktober 2019 setzte der Regierungsrat für Nationale Minderheit dazu eine Arbeitsgruppe ein und empfahl schließlich am 8. Januar 2021 der Regierung, Teil III auf Deutsch anzuwenden. Die Regierung billigte den Vorschlag am 14. Dezember 2022, der Senat folgte am 13. Juli 2023 und das Parlament am 13. Dezember. Am 28. Februar 2024 unterrichtete Tschechien den Europarat, wodurch die Maßnahme in Kraft trat.

Die 35 neuen Verpflichtungen gelten in den genannten acht Kreisen, die stellvertretend für das größere angestammte deutsche Sprachgebiet in Böhmen, Mähren und Schlesien ausgewählt wurden. Der Kreis Zwittau im Schönhengstgau „vertritt“ dabei die deutschen Sprachinseln. Mit dem Kreis Troppau ist auch das Hultschiner Ländchen abgedeckt. In den anderen Gebieten Tschechiens, in denen herkömmlich Deutsch gesprochen wurde und wird, gilt weiterhin Teil II der Charta.

* Vgl. Woehrling, Jean-Marie: The European Charter for Regional or Minority Languages – A critical commentary, Council of Europe, Straßburg 2005, S. 147f.

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