Am 21. November verstarb der Mitbegründer und erste gewählte Präsident der Landesversammlung im Alter von 97 Jahren in Reichenberg. Ein Blick zurück auf sein Leben.
Erwin Scholz, der am 24. Juli 1927 in Hanichen (Hanychov), einem Stadtteil der nordböhmischen Stadt Reichenberg (Liberec) am Fuße des Jeschken (Ještěd), in einer typischen sudetendeutsch-tschechischen Familie zur Welt kam, war ein unermüdlicher Vermittler und Streiter für die deutsch-tschechische Versöhnung. Sein Leben spiegelt die komplexe Geschichte Mitteleuropas im 20. Jahrhundert wider – von den dunklen Kapiteln des Zweiten Weltkriegs und dem Leben in totalitären Regimen bis zu den hoffnungsvollen Entwicklungen nach dem Fall der Eisernen Mauer.
Aus dem Krieg zurück in die Heimat
So einige Male hatte Erwin Scholz Glück in seinem Leben. Als 17-Jähriger aus einer kommunistisch orientierten Familie im vom Hitlerdeutschland annektierten Sudetenland wurde er noch im Januar 1945 zur Wehrmacht eingezogen. Er diente in der 114. Jäger-Division und wurde in Italien gegen Partisanen eingesetzt. Nur knapp entging er einem Erschießungskommando und geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Entlassung aus dem ehemaligen Konzentrationslager Dachau möchte er zurück in seine Heimatstadt. „In Frankfurt gab es eine tschechoslowakische Mission, die lehnten das ab, ich solle in Deutschland bleiben. Also ging ich in die sowjetische Besatzungszone“, erinnert sich Scholz in einem Video-Interview aus dem Jahr 2015, das im Rahmen eines Projekts der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Organisation Antikomplex mit ihm geführt wurde. Von dort schafft es Scholz durch glückliche Umstände über die grüne Grenze bei Zittau. „Als ich den Jeschken sah, wusste ich, dass alles gut ist.“
Inzwischen waren die Eltern, die aufgrund ihrer Nähe zu den Kommunisten nicht vertrieben wurden, aber umgezogen. „Ich wusste zwar wohin, aber nun betrat ich das Haus und wusste auf einmal nicht, ob sie im ersten Stock sind oder unten. Und da sagte ich mir: Wenn jetzt der Tscheche öffnet, dann ist alles verloren. Dann wird er melden, dass ich schwarz hier bin, und ich komme in tschechoslowakische Gefangenschaft.“ Als Scholz an der Tür ohne Namensschild klingelt, öffnet sein Vater. Es war der 24. Juli 1947, sein 20. Geburtstag. Später wurde er aufgrund seiner illegalen Einreise aber doch noch verhaftet und musste, weil er noch nicht volljährig war, nur einen Monat absitzen.
Eine Weile musste er noch in der Armee dienen, erlangte dann aber die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft, heiratete und ließ sich in seiner Heimatstadt nieder. Er arbeitete als Jurist, dann als Buchhalter und in der holzverarbeitenden Industrie, bevor er Vorsitzender der Reichenberger Produktionsgenossenschaften wurde. Während der Normalisierung musste er 1969 den Posten verlassen und war weiter als Ökonom tätig. Durch seinen Aufenthalt in amerikanischen Gefangenenlagern geriet er ins Visier der Staatssicherheit und wurde von 1964 bis 1970 in den Akten des Innenministeriums als geheimer Kollaborateur geführt.
Gründung der Landesversammlung
Nach der Samtenen Revolution in der Tschechoslowakei im Herbst vor 35 Jahren – da war Scholz schon im Rentenalter – begann aber noch einmal ein ganz neues Kapitel in seinem Leben. 1991 veranstaltete er in Reichenberg die ersten deutsch-tschechischen Tage, die bis heute stattfinden. Dann, 1992, gehörte er neben Walter Piverka und anderen zu den Mitbegründern der Landesversammlung der deutschen Vereine (LV).
Da die Gründung der LV als Dachverband der deutschen Minderheit vor allem vom Reichenberger Verband der Deutschen ausging, fand auch die Gründungsversammlung dort statt. Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der LV vor zwei Jahren erinnerte sich Erwin Scholz noch einmal zurück: „Wir haben uns damals in Reichenberg alle zum ersten Mal gesehen, aber wir haben meines Erachtens trotzdem eine anständige Versammlung hingekriegt.“ Auf dieser Gründungsversammlung wurde zunächst Hilde Sura zur ersten Präsidentin der LV gewählt. Sie war aber gar nicht als Kandidatin zur Wahl angetreten und nahm die Wahl folglich auch nicht an. Im zweiten Wahlgang wurde dann Erwin Scholz gewählt.
Heimat war Mittelpunkt in seinem Leben
Aus gesundheitlichen Gründen gab er das Präsidentenamt nach etwa einem Dreivierteljahr an den Vizepräsidenten Walter Piverka ab, setzte sich aber weiter für verschiedene Belange der deutschen Minderheit ein. „Erwin Scholz hatte viele Funktionen in der LV und trug so zu ihrer erfolgreichen Entwicklung sowie ihrer gemeinnützigen Gesellschaften und der ganzen Vereinsgemeinschaft bei. Ein großes Anliegen war ihm der Heimatverband in Reichenberg, den er praktisch bis zu seinem Tod durch Rat und Tat begleitet hat“, würdigt Martin Herbert Dzingel, amtierender LV-Präsident, Scholz‘ Verdienst für die deutsche Minderheit. „Alle Errungenschaften, von den Kinderfreizeiten bis hin zu den gemeinnützigen Gesellschaften Bohemia Troppau und dem Bildungs- und Sozialwerk BUSOW, tragen auch seine Handschrift“, ergänzt Petra Laurin, Vize-Präsidentin der LV und Vorsitzende des Reichenberger Vereins der Deutschen.
Vor allem für seine Heimat setzte sich Scholz unermüdlich ein, sie war der Mittelpunkt in seinem Leben und Wirken. Aus den Mitteln der Hermann-Niermann-Stiftung konnte er insgesamt über 40 Millionen Kronen Förderung für soziale Leistungen in der Reichenberger Region beschaffen. Das Geld half bei der Modernisierung der Altersheime in Maffersdorf (Vratislavice), Böhmisch Aicha (Český Dub) oder Friedland (Frýdlant). Dazu brauchte Scholz keine Agentur, er verwaltete alles selbst von seiner Wohnung im elften Stock der Reichenberger „Hokejka“. Daneben gehörte er 2001 zu den Mitbegründern der Städtepartnerschaft zwischen seiner Heimatstadt Reichenberg und Augsburg, er pflegte rege Kontakte zu den Vertriebenen und war Mitglied in der Seliger-Gemeinde, der Gesinnungsgemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten.
Zahlreiche Ehrungen für Engagement
Für seinen bürgergesellschaftlichen Einsatz erhielt Scholz zahlreiche Ehrungen: das Bundesverdienstkreuz für seine Verdienste für die deutsche Minderheit und die Beziehungen beider Länder nach dem Jahr 1989, die Adalbert-Stifter-Medaille und 2017 die Ehrenmedaille der Stadt Reichenberg für seine Leistungen für die deutsch-tschechische Zusammenarbeit. „Sein Name galt in der deutschen Minderheit und vor allem in der Landesversammlung als Markenzeichen korrekten Handelns, handfester Argumente, aber auch für Geselligkeit und Humor“, so Petra Laurin.
Bis zu den letzten Wochen vor seinem Tod interessierte sich Scholz für die Tätigkeiten seines Heimatverbands Reichenberg, dessen Ehrenvorsitzender er war. Noch im Frühjahr trug seine Fürsprache dazu bei, dass sich die Hermann-Niermann-Stiftung an der Sanierung des Dachs des Klosters Haindorf (Hejnice) beteiligte, wie Klosterdirektor Jan Heinzl mitteilte. Das Begräbnis fand am 2. Dezember im Familienkreis statt.
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