Ein Literaturworkshop des Adalbert Stifter Vereins in der Prager Stadtbibliothek bot eine Plattform für den Austausch über die deutschsprachige Literatur aus Böhmen und ihre Bedeutung für das heutige Tschechien.

Der Workshop „Deutschsprachige Literatur aus Böhmen für tschechische Leser“ in der Prager Stadtbibliothek am Marienplatz (Marianské náměstí) am vergangenen Freitag widmete sich Werken, die vor 1945 in den ehemaligen Sudetengebieten in deutscher Sprache entstanden sind. Veranstaltet vom Adalbert Stifter Verein aus München in Kooperation mit der Bezirksbibliothek Reichenberg (Krajská vědecká knihovna v Liberci), bot die Veranstaltung eine Plattform für Verlage, Literaturwissenschaftler und Bibliothekare, um sich über die Bedeutung für tschechische Leser und die Verbreitung dieser speziellen Literatur auszutauschen. Unter den Teilnehmern waren Bibliothekare aus Pilsen, Reichenberg und Südböhmen sowie Verlagsvertreter vom Carolinum Verlag in Prag und vom Verlag Jota aus Brünn. Der Workshop diene zudem als eine Art „Versuchsprojekt“, um herauszufinden, ob in der tschechischen Bevölkerung ein Interesse an dieser Literatur bestehe, so Organisatorin Anna Knechtel vom Adalbert Stifter Verein.

Besonderheit deutschsprachiger Literatur aus Böhmen

Václav Petrbok beim Workshop „Deutschsprachige Literatur aus Böhmen für tschechische Leser“.
Václav Petrbok ist der Leiter des Germanobohemistischen Teams in der Abteilung Literatur des 19. Jahrhunderts des Instituts für tschechische Literatur der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik. Credit: Hannah Meurer

Während des Workshops präsentierten verschiedene Literaturwissenschaftler ihre Erfahrungen und Herausforderungen bei der Vermittlung deutschböhmischer Literatur in Tschechien. Zudem stellten sie bedeutende Werke und Autoren vor – darunter Übersetzungen einzelner Texte sowie Anthologien.

Die Bücher von Gudrun Pausewang, Karl Hübl, Josef Mühlberger, Franz Harrer oder Emil Merker zeichnen ein facettenreiches Bild des Lebens in Böhmen und Mähren zu dieser Zeit: Von Landschaftsbeschreibungen über Alltagsgeschichten bis hin zu ländlichen Bräuchen und kulturellen Traditionen bieten sie wertvolle Einblicke in historische Ereignisse und das damalige Leben.

Gleichzeitig sei es wichtig, sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit einzelner Autoren auseinanderzusetzen, etwa mit Hans Watzlik: „Es ist für mich eine große Herausforderung, dass diese literarische oder kulturelle Landschaft sowohl positive als auch negative Seiten enthält“, betont Referent und Literaturwissenschaftler Václav Petrbok. Er ist der Leiter des Germanobohemistischen Teams in der Abteilung Literatur des 19. Jahrhunderts des Instituts für tschechische Literatur der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik. Zunächst wurden solche Werke ausgeklammert, allerdings gelten sie heute als Teil der Erinnerungskultur, da sie wichtige historische Informationen und Landschaftsbeschreibungen liefern.

Wissenslücke über eigene Region

Die stellvertretende Geschäftsführerin Anna Knechtel und die Geschäftsführerin Dr. Zuzanna Jürgens des Adalbert Stifter Vereins während des Workshops „Deutschsprachige Literatur aus Böhmen für tschechische Leser“ in der Prager Stadtbibliothek.
Die stellvertretende Geschäftsführerin Anna Knechtel (links) und die Geschäftsführerin Dr. Zuzanna Jürgens (rechts) des Adalbert Stifter Vereins während des Workshops „Deutschsprachige Literatur aus Böhmen für tschechische Leser“ in der Prager Stadtbibliothek. Credit: Hannah Meurer

Gerade für tschechische Leser aus der Region könnte deutschsprachige Literatur aus Böhmen auch heute noch eine bedeutende Rolle spielen. Viele Tschechen, die heute in ehemals deutschsprachigen Gebieten leben, wüssten nur wenig über die Geschichte ihrer Region, erklärt Anna Knechtel. Durch den Bevölkerungsaustausch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sei viel Wissen über ihre Heimat verloren gegangen. Die Literatur könne dazu beitragen, diese Lücke zu schließen und ein tieferes Verständnis für die eigene Region zu entwickeln und kulturelle Traditionen zu erhalten.

Pilotprojekt mit Potenzial

Václav Petrbok erklärte, dass das Interesse an dieser besonderen Literatur in Tschechien wachse: „Das Thema hat einen gewissen Reiz in bestimmten Regionen. In Nord- und Südböhmen zum Beispiel findet man Leute, oft aus der jüngeren Generation, die begeistert sind, ihre Region neu zu entdecken, einschließlich ihrer deutschsprachigen Vergangenheit.“

Während des Workshops wurde deutlich, dass großes Potenzial für die Wiederentdeckung kultureller Schätze besteht und bereits Bemühungen unternommen werden, diese zu bewahren und einem tschechischen Publikum zugänglich zu machen.

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