Zeichnung: Jiří Bernard

Monat Juli, der erste Ferienmonat lockt uns zum Wandern in die Wälder des Altvatergebirges. Doch Obacht, auf den Wegen könnten Ottern lauern…

Die unerlöste Krönlein-Otter

Eine kurze Wegstrecke oberhalb des Bades Groß-Ullersdorf, nahe bei Philippsthal, schattet auf einer Anhöhe ein Wäldchen, das „Radisch- oder Hradisch-Püschle“. Dieser Flurname geht aus dem Wort „hrad“, das bedeutet „Burg“, zurück, und hier soll der Sage nach ein verschwundenes Schloss gestanden haben.

Gegen dieses Hradisch-Püschle schritten einst einige Männer den steilen Weg hinan und unterhielten sich laut und unbekümmert lachend miteinander. Plötzlich glaubte einer, eine leise flehende Stimme vernommen zu haben. Er machte die andern darauf aufmerksam, sie verhielten den Schritt und lauschten in den Wind. Ringsum war niemand zu erspähen, aber die Stimme hörte nicht auf zu klagen.

Behutsam folgten die Männer dem feinen Getön und fanden bald mitten auf dem Wege eine kleine, zierliche Schlange mit einem goldenen Krönlein auf dem Kopfe. Sie klagte, dass sie eine verwunschene Jungfrau sei, und bat flehentlich, die Männer möchten sie doch erlösen. Sie müssten ihr in der kommenden Nacht an diesem Orte mit einer einjährigen Hasel ihr Krönlein abstoßen oder abschlagen, dann sei sie für immer erlöst.

Die Männer versprachen der Schlange, ihre Bitte zu erfüllen, und suchten eilends Haselzweige, die in diesem Jahre gewachsen waren. Vor Mitternacht fanden sich alle an dem vereinbarten Orte ein und warteten. Es währte nicht lange, da erhob sich ein furchtbares Getöse: die Schlange, ungeheuer groß und grässlich anzusehen, brauste daher und zischte die Männer an. Zu Tode erschrocken, schlugen sie wohl zu, verfehlten aber alle das Krönlein – und schon war der Spuk an ihnen vorbeigezogen. Die Männer begannen eben einander auszuschelten, da hörten sie fernher wieder die flehende Stimme. Sie bat die Männer, nochmals einen Versuch zu wagen, und sie erfüllten die Bitte zum zweiten und nach dem abermaligen Fehlschlage zum dritten Male. Zuletzt wäre der Versuch fast geglückt: Da aber einer der Männer mit geweihter Kreide einen Schutzkreis gezogen hatte, konnte die Schlange nicht nahe genug heran, und das Krönlein blieb ihr wie festgewachsen auf dem Kopfe. Wehklagend verschwand die Schlange im nahen Gebüsch, und die Männer konnten deutlich die Worte vernehmen: „Hundert lange Jahre muss ich nunmehr wieder warten, bis die Zeit herannaht, da mich ein Mensch von meiner Verwünschung befreien kann! Hundert lange, bange Jahre…!“

Die Krönlein-Otter

Auf der Türschwelle eines Bauernhauses saß vor langer Zeit einmal ein kleines Mädchen und löffelte aus einer Schüssel Milch mit Semmelstückchen, das gute „Brockei“. Da schlüpfte durch den Türspalt eine kleine, grünlich schillernde Schlange, ringelte sich an dem Mädchen vorbei und leckte die Milchspritzer von der Türschwelle auf. Das Kind hatte gar keine Angst vor der Schlange, lockte sie mit hingetropfter Milch näher heran und ließ sie sogar aus seiner Schüssel mitlappern. Dabei sang das Mädchen immer vor sich hin: „Vögerle, nimm och Brockei, nie immer nur Suppei… „

Die alte Gabrielin, die den Gesang hörte, war neugierig und ging nachsehen, mit was für einem Vöglein sich das Mädchen unterhalte. Aber sie sah nur noch, wie sich die Schlange behände von dem Kind loswand und ins Haus hineinglitt. „Dos wor och grod die Hausotter“, sagte die Alte, „ober die mocht dir nischt!“

Eines Sonntags – die Leute kehrten gerade aus der Kirche zurück – sahen die Hausbewohner die kleine, grüne Schlange mitten in der Stube. Aber diesmal trug sie ein goldenes Krönlein auf dem Kopfe und war gar zierlich anzusehen. Sie nickte im Vorwärtskriechen mit dem Köpfchen, und die Zuschauer erinnerten sich, dass man der Krönlein-Otter ein Tüchlein aufbreiten müsse. Schnell war ein Tuch auf dem Fußboden ausgespannt, sogleich legte die Schlange ihr Krönlein mitten darauf und huschte dann flink davon. Die Leute berieten nun, was sie mit dem zierlichen Krönlein beginnen sollten. Doch, als es einer aufheben wollte, schnellte die Schlange zischend daher, so dass alle erschraken. Geschickt schlüpfte die Natter mit dem Köpfchen unter die Krone und war im Augenblick verschwunden. Dasselbe Spiel wiederholte sich Sonntag für Sonntag, und die Hausleute nannten das zahme Schlänglein nur noch die Krönlein-Otter.

Eines Tages kam der Bauer verärgert vom Felde heim. Bei der offenen Stalltür gewahrte er die Krönlein-Otter, wie sie gerade aus einer Schüssel Milch lapperte. Die Magd stand daneben und sah dem munteren Tierlein zu. Doch der Bauer stieß in seinem Zorn die Milchschüssel um und zertrat die Schlange. „Solch abergläubisch Zeug“, rief er in seiner Erregung, „sein eh genug Leut da zum Milchsaufen!“

Von dieser Stunde an hing Unheil über dem Haus: Die Menschen wurden krank, das Vieh verwarf, die Ernte missriet, ein Unglück folgte dem andern, Segen und Reichtum schwanden dahin. Mit der Hausotter hatte der Bauer das Glück des Hauses zertreten, und keine noch so große Reue vermochte das Schicksal zu wenden – „ ja, ja“ sagen heute noch die alten Leute talauf und talab, „einer Hausotter muss man dienen und muss sie wahren!“

Zusammengetragen von Irene Kunc

Dieser beitrag erschien zuerst in der landesecho-ausgabe 7/2024

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