In der Buchreihe „Mitten am Rande” sammelt die Organisation Antikomplex Geschichten von Menschen aus dem Sudetenland. Der dritte Teil führt von Joachimsthal bis Budweis.
Co-Autorin Veronika Kupková möchte den Blick auf das Sudetenland ändern. Ihr geht es nicht nur um die Vergangenheit, sondern um Gegenwart und Zukunft der Region: „Mitten am Rande“ räumt mit dem veralteten Narrativ auf, das Sudetenland als einen verfallenden Raum zu betrachten. Ein modernes Layout, zweisprachige Texte und Schwarzweißfotografien laden dazu ein, sich mit dem Sudetenland auseinanderzusetzen, und diese Region neu zu entdecken. Die Interviews im Buch wecken den Wunsch hinzufahren – an die Orte, an denen Menschen alte Gebäude restaurieren, Bildungsinitiativen starten und vergessene Plätze wieder zum Leben erwecken.
Schluss mit den Vorurteilen der 1990er Jahre
„Wir wollen uns nicht immer im Kreis drehen“, betont Kupková im Gespräch. Der Co-Autorin ist es wichtig, die Region nicht nur durch das Prisma historischer Traumata zu betrachten. Kupková selbst bezeichnet „Mitten am Rande“ als „alternativen Reiseführer“. In „Mitten am Rande“ stellt die Autorin aktuelle Entwicklungen des Sudetenlandes in den Mittelpunkt. Kupková will Schluss machen mit den Vorurteilen der 1990er Jahre, und mit der Buchreihe einen hoffnungsvollen, positiven Ausblick auf die Zukunft des Sudetenlandes wagen.
Eine gemeinsame Vision
In “Mitten am Rande” kommen Menschen zu Wort, die über ihre persönlichen Geschichten, ihr Schaffen und ihre Erfahrungen erzählen. Während ihrer Arbeit am Buch sprach die Co-Autorin zunächst mit Freunden und Bekannten: „Wir begannen mit Menschen, die wir kannten, und stießen darüber hinaus auf weitere Projekte.“ Unser Ziel war es, vor allem kleinen Initiativen Raum zu geben“, erklärt Kupková. Viele Interviews entstanden in einer Zeit, die für viele ihrer Interviewpartner besonders herausfordernd war – während der Pandemie: „Sowohl Vereinstätigkeiten als auch familiäre Beziehungen litten stark. Die politischen Entscheidungsträger auf der böhmischen und tschechischen Seite waren in ihrem Denken begrenzt. Sie konzentrierten sich vor allem auf wirtschaftliche oder politische Konsequenzen.
Der menschliche Aspekt wurde vernachlässigt“, erinnert sich Kupková zurück. Dass die von ihr porträtierten Menschen, sich während Corona nicht haben unterkriegen lassen, spricht aus Sicht der Co-Autorin für die Region: Die Menschen im Sudetenland, so sieht es Kupková, wollen sich einbringen, und den Ort, an dem sie leben, aktiv gestalten und weiterentwickeln. Das wurde schon nach der Wende klar, als bereits kurze Zeit nach dem Zerfall des Ostblocks die Zusammenarbeit mit dem bayerischen Nachbarn begann: „Damals wusste niemand, ob die Grenze dauerhaft offen bleiben würde oder ob der Totalitarismus zurückkehrt. Es brauchte Mut und den festen Willen, die gemeinsame Geschichte aufzuarbeiten“, wertschätzt Kupková die Bewohner des Sudetenlandes.
Der Südwesten im Fokus
Nach den ersten beiden Bänden von „Mitten am Rande“, die den Nordwesten und Nordosten Tschechiens beleuchten, liegt der Fokus des neuen Buches auf dem Südwesten der Republik. In vier thematisch gegliederten Kapiteln – „Ein Stück der eigenen Menschlichkeit teilen“, „Die eigene Erfahrung ist Gold wert“, „Herrenlose Landschaft?“ und „Verantwortliche Nachbarschaft“ – werden zahlreiche Projekte vorgestellt: Tomáš Kaiser, der eine historische Orgel rettet und anschließend ein Orgelsymposium initiiert, eine Gruppe junger Menschen, die in Prachatice eine Villa restaurieren und in ein Kulturzentrum verwandeln. Erstmals werden auch Initiativen aus dem Landesinneren, etwa aus Neumarkt (Úterý), beleuchtet.
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„Wir wollen das Bild vom Sudetenland bunter machen“
In einer Buchreihe stellt die Organisation Antikomplex Menschen aus dem ehemaligen Sudetenland vor, die den gängigen Stereotypen widersprechen. Gerade erscheint Band zwei: „Nordosten”. LandesEcho hat mit der Co-Autorin Veronika Kupková gesprochen.
Mehr…Landschaft als verbindendes Element
Auch die enge Verbindung der Menschen zur Landschaft spielt in “Mitten am Rande” eine besondere Rolle. Kupková beschreibt, wie die Menschen im Sudetenland die Natur wahrnehmen und wie sich der Einfluss der Natur in den Projekten widerspiegelt, die im Buch vorgestellt werden. „Die Menschen teilen den Wunsch, die Schönheit der Natur zu bewahren und sich gegen Overtourismus und zerstörerische Großprojekte zu wehren“, erkennt Kupková als klare Tendenz. Egal, ob im Erzgebirge, im Böhmerwald oder im Gratzener Bergland – der Erhalt der Landschaft ist ein Motiv, das alle verbindet.
Die Naturverbundenheit der Menschen im Sudetenland, findet sich auch in der Schulbildung wieder: Wenn Kupková die Lehrerin Markéta Kotěšovcová aus Tschachrau (Čachrov) vorstellt, die mit ihren Schülern Ausflüge in die Natur unternimmt, um anhand der Umgebung Fächer wie Biologie oder Geographie zu vermitteln. Die Lehrerin Markéta Kotěšovcová möchte ihren Schülern zeigen, wie lebenswert das Sudetenland ist – und auch Kupková möchte Leser dazu ermutigen, sich zu vernetzen, um gemeinsam mit den Menschen vor Ort aktiv zu werden: „Wir möchten die Menschen inspirieren, sich zu verbinden“, erklärt Kupková. Und hofft, damit etwas zur deutsch-tschechischen Versöhnung beitragen zu können.
Finanzielle Unterstützung nötig
Trotz des Erfolgs der ersten beiden Bände bleibt die Finanzierung der Buchreihe „Mitten am Rande“ eine Herausforderung. „Wir legen großen Wert auf hochwertiges, recyceltes Papier und ein professionelles Layout. Das bedeutet aber auch, dass wir Experten fair entlohnen müssen“, erklärt Kupková. Für den bereits geplanten vierten Band hofft das Team noch auf finanzielle Unterstützung, da die Produktionskosten seit dem ersten Buch stark gestiegen sind. Die Autorin plant eine zeitnahe Veröffentlichung: „Es wäre großartig, das vierte Buch nächstes Jahr veröffentlichen zu können.“ Die Buchreihe richtet sich an Menschen, die bestrebt sind, sich von Gemeinschaft, Kultur und Natur des Sudetenlandes inspirieren zu lassen. „Mitten am Rande” ist ideal für alle, die bereit sind, eine neue Perspektive einzunehmen, und die an der Gestaltung einer lebendigen und zukunftsorientierten Region teilhaben wollen.
Dieser beitrag erschien zuerst in der landesecho-ausgabe 10/2024
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