Tschechien diskutiert aktuell intensiv über die Einführung des Euros, wozu sich das Land mit dem Beitritt zur Europäischen Union vor bald 20 Jahren auch verpflichtet hatte. Seitdem wurde die Euro-Einführung immer wieder verschoben, ein offizieller Termin wird inzwischen nicht mehr genannt. Über Perspektiven und die Argumente der Euro-Gegner sprachen wir mit Michael Pascal Večeř, dem Vorsitzenden der Organisation „Euro v Česku“ (Euro in Tschechien), die sich für die Einführung der europäischen Gemeinschaftswährung einsetzt und vor Kurzem dazu eine Petition gestartet hat.

LE: Seitdem sich der tschechische Präsident Petr Pavel in seiner Neujahrsansprache für die Einführung des Euros ausgesprochen hat, hat die öffentliche und mediale Debatte über den Euro in der Tschechischen Republik einen neuen Höhepunkt erreicht. Wie nehmen Sie diese neue Debatte wahr?

Michael Pascal Večeř: Das war ein wirklich mutiger Schritt unseres Präsidenten. Mindestens zehn Jahre lang fehlte es an einer ernsthaften Debatte, daher ist dieser Anfang perfekt für uns. Jetzt, da wir diese Debatte begonnen haben, muss sie auch moderiert werden. Durch den öffentlichen Raum schweben so viele Argumente für und gegen die Euro-Einführung, aber auch Mythen. Teilweise ist die Debatte auch mit Ideologien aufgeladen, was nicht gut ist.

LE: Umfragen aus den vergangenen Jahren haben gezeigt, dass in der Tschechischen Republik nach wie vor eine breite Mehrheit gegen die Einführung des Euros ist. Laut Eurobarometer im Juni 2023 sind 55 Prozent dagegen, laut dem tschechischen Meinungsforschungsinstitut CVVM im Juli 2023 sind es sogar 73 Prozent. Warum ist der Euro in Tschechien so unbeliebt?

Die Daten von Eurobarometer sind sehr optimistisch. Ich wünschte, sie wären korrekt, aber ich halte diese Zahl nicht für realistisch. Das liegt zum Teil an deren Methodik. Aber der Hauptgrund, warum diese Zahlen so niedrig sind, ist der: Es fehlt einfach die Debatte. Die Menschen haben Angst vor dem Unbekannten. Die Tschechen sind aufgrund ihrer Geschichte ein etwas konservatives Volk und sie sind stolz auf ihre Währung. Der Staat hat den öffentlichen Raum Lobbyisten überlassen, von Banken beispielsweise oder anderen Akteuren, die Ängste schüren. Viele Politiker wiederum versuchen, mit diesen Ängsten politische Punkte zu sammeln.

Wovor die Leute am meisten Angst haben, ist ein Anstieg der Preise. Dabei haben wir aktuell mit unserer eigenen Währung eine wirklich hohe Inflation. Auch das hat paradoxerweise die öffentliche Meinung nicht verändert. Denn die Leute, die versuchen, den Menschen Angst zu machen, sagen, ja, wir haben eine wirklich hohe Inflation, aber mit dem Euro hätten wir eine noch höhere. Der öffentliche Raum wird von diesen Leuten besetzt und es gibt keinen Willen unserer Regierung, in diese Debatte einzutreten. 

Ein Bild, das Person, Kleidung, Menschliches Gesicht, Shirt enthält.Automatisch generierte Beschreibung

Michael Pascal Večeř wurde 1988 in Prag geboren und studierte an zwei Fakultäten der Tschechischen Technischen Universität in Prag. Zehn Jahre arbeitete er für den Staat in koordinierenden, analytischen und strategischen Positionen, wo er sich hauptsächlich mit Fragen der EU-Fonds und ihrer Finanzierung befasste. Im Jahr 2019 gründete er die Bürgerinitiative „Euro v Česku“ (Euro in Tschechien), in der sich Befürworter der Euro-Einführung zusammenschlossen, um die Tschechische Republik auf die Euro-Einführung vorzubereiten, u. a. durch die Organisation von Debatten und anderen Bildungsaktivitäten. Letztes Jahr startete Večeř eine Petition für den Euro in Tschechien.

LE: Und wie begegnen Sie inhaltlich diesem Argument, dass mit der Einführung des Euro alles teurer würde? 

Wir zeigen den Leuten die Daten der letzten zwei bis drei Jahre, dass wir tatsächlich schlechter dran sind als der Durchschnitt der Eurozone. Die Leute erwähnen dann zum Beispiel Kroatien, das letztes Jahr der Eurozone beigetreten ist, und verweisen auf den wirtschaftlichen Absturz dort. Alles dort sei teurer geworden, der Euro sei also schlecht. Aber zum Jahresende betrug die Inflation dort nur 12 Prozent, hier in der Tschechischen Republik waren es 17 Prozent. Die zweite Sache ist die, dass wir in Geschäften oft Schilder oder Etiketten mit Preisen in verschiedenen Währungen sehen, z. B. bei Kleidung. Da sieht man häufig, dass ein Artikel zehn Euro kostet oder eben 300 Kronen. Wenn man also nachrechnet, sieht man, dass wegen des Wechselkursrisikos zusätzlich etwas aufgeschlagen wurde. 

LE: Ein weiteres Argument der Euro-Gegner ist, dass die Tschechische Republik keine unabhängige Geldpolitik mehr machen kann…

Wissen Sie, das ist ein sehr schwieriges Thema, das zumindest einige wirtschaftliche Grundkenntnisse erfordert, die viele Bürger nicht haben. Es ist dasselbe, wie wenn es eine Meisterschaft im Fußball oder im Eishockey gibt. Dann ist jeder der Trainer und weiß, wie man es besser machen kann, und so ist es auch mit unserer unabhängigen Geldpolitik. Kaum jemand weiß, was das eigentlich bedeutet.

Die Nationalbanken haben in der Geldpolitik zwei Hauptinstrumente. Man kann mit dem Leitzins oder in begrenztem Maße mit dem Wechselkurs arbeiten. Das sind die beiden Mechanismen, die unsere Nationalbank einsetzt, um die Inflation zu regulieren und die Wirtschaft zu unterstützen. Wir sagen den Euro-Gegnern, dass sie sich die Ergebnisse dieser unabhängigen Geldpolitik ansehen sollen. Wir haben eine hohe Inflation, kaum Wirtschaftswachstum, Verluste bei unseren Ersparnissen, die größten in der Europäischen Union. Als unsere Nationalbank während der Krise mit der Anhebung der Zinssätze begann, ist die Hälfte der Unternehmen sofort zum Euro übergegangen. Die normalen Bürger waren die einzigen, die am Ende von dieser Geldpolitik betroffen waren, weil ihre Hypotheken teurer wurden. Man zahlt für diese Geldpolitik also mit den eigenen Ersparnissen. Davon hat niemand etwas. Wir befinden uns auf dem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt, da hat es keinen Sinn, eine unabhängige Geldpolitik zu betreiben, weil sie grundsätzlich nicht funktioniert. 

Umgekehrt könnte man als Teil der Eurozone versuchen, Einfluss auf die europäische Geldpolitik zu nehmen. Aktuell hat der Euro einen großen Einfluss auf uns, aber wir haben keinen Einfluss auf den Euro. Wir können nicht mit Christine Lagarde [Präsidentin der Europäischen Zentralbank] über ihre Entscheidungen sprechen, weil wir kein Teil davon sind. 

„Wir sind besser auf den Euro vorbereitet als andere Länder, die der Eurozone nach 2004 beigetreten sind.“

LE: Fürchten Politiker nicht einfach, dass sie mit dem Euro-Thema die Wähler verprellen? 

Die Mehrheit der Menschen ist gegen den Euro, weil die Politiker nicht positiv darüber reden. Und die Politiker, die für den Euro sind, warten darauf, dass die Bevölkerung für den Euro ist. Sie werden aber nie für den Euro sein ohne die Unterstützung von der politischen Seite. Wir haben hier eine sehr interessante Situation, wie bei einem Hamburger. Oben ist die Regierung, unten die Bevölkerung und in der Mitte die tschechische Wirtschaft, unser BIP, unsere Unternehmen, Exporteure, Banken… Alle rufen nach dem Euro. Die Politiker sollten der Wirtschaft diesen Dienst erweisen. 

LE: Inwiefern ist die Tschechische Republik wirtschaftlich bereit, den Euro einzuführen? Das Land erfüllt aktuell nur drei der fünf Kriterien, die im Vertrag von Maastricht festgelegt sind.

Diese Kriterien sind nicht so fundamental wichtig. Es geht nicht nur um die Quantität, sondern auch um die Qualität. Wenn wir uns Kroatien ansehen, dann hat das Land das Kriterium der Staatsverschuldung nie erfüllt. Kroatien ist mit 80 Prozent des BIP verschuldet, während das Kriterium bei 60 Prozent liegt. Es ist also möglich, die Europäische Kommission und die europäischen Gremien davon zu überzeugen, das Risiko der Schulden zu mindern oder weniger Schulden aufzunehmen. Aktuell hat Tschechien vor allem eine zu hohe Inflation, aber das ist nur ein kurzfristiges Problem. Wenn wir die 20 Jahre unserer EU-Mitgliedschaft betrachten, hatten wir nie irgendwelche ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die ein Problem für die Eurozone dargestellt hätten. Wir sind besser auf den Euro vorbereitet als andere Länder, die der Eurozone nach 2004 beigetreten sind. 

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LE: Sie haben Kroatien erwähnt, in der Debatte über den Euro blicken die Tschechen wie bei vielen anderen Themen aber häufig auf die Slowakei, die bereits 2009 den Euro eingeführt hat. Was könnte man von der Slowakei lernen?

Was den Euro angeht, sind wir Tschechen Theoretiker, die Slowaken sind Praktiker. Wir sehen, dass die Slowakei tatsächlich vom Euro profitiert. Aber man kann keine überzeugenden Zahlen liefern. Darum geht es aber auch nicht. Aber sie sind glücklich, sie sind zufrieden. Acht von zehn Slowaken sind für den Euro. Vor ein paar Monaten fanden in der Slowakei Parlamentswahlen statt und diese Wahlen waren wirklich hart. Es ging um Verschwörungstheorien, um die Ukraine, um Russland, um alles. Aber worüber es keine Diskussionen gab, war der Euro. Die Menschen sind mit ihm zufrieden. Das ist eine Botschaft, die wir von der Slowakei an die Tschechen zu übermitteln versuchen, wenn wir vergleichen. 

LE: Vor Kurzem gab es einen kleinen politischen Skandal, als der Minister für europäische Angelegenheiten Martin Dvořák (STAN) ohne die Zustimmung der anderen Parteien der Regierungskoalition einen Beauftragten für die Einführung des Euros ernannte. Premier Fiala hat das wieder zurückgenommen. Was denken Sie, wie groß ist das Potenzial dieses Themas, ein echtes Problem in der Regierung zu werden?

Ich denke, dass das Ganze eine Kampagne der Bürgermeisterpartei STAN vor den Europawahlen im Juni ist. Sie versuchen, für europäische Themen zu werben und die proeuropäische Wählerschaft für sich zu gewinnen. Das Ergebnis dieser Aktion ist, dass der Nationale Wirtschaftsrat, ein Organ des Premierministers, bis Oktober eine Analyse über die Vor- und Nachteile eines Beitritts zum Europäischen Wechselkursmechanismus II (ERM II) erstellen wird.

Der Premierminister hat damit seine Hände von der Verantwortung für diese Entscheidung vorerst befreit. Seine Partei, die ODS, ist seit Langem gegen den Euro, weil ihr Gründer, Ex-Präsident Václav Klaus, der Vater der ODS, auch der Vater der Tschechischen Krone ist. Wenn die Analyse ergibt, dass ein Beitritt zu ERM II tatsächlich positiv für die Tschechische Republik ist, dann glaube ich, dass die Regierung diesen Schritt machen wird. 

Sehr interessant dabei ist aber, dass nicht die tschechische Nationalbank mit dieser Aufgabe betraut wurde. Eigentlich sollte nämlich die Nationalbank die Debatte über den Euro moderieren, so war es auch in der Slowakei oder in Kroatien. Dass Fiala nicht die Nationalbank mit der Analyse beauftragt hat, ist also ein gutes Zeichen, denn er weiß, dass sie den Euro niemals unterstützen würde. Dies ist also ein kleiner Hinweis, der für die Einführung des Euro spricht.

Auf der Straße möchte Večeř die Tschechen vom Euro überzeugen. Foto: Michael Pascal Večeř

LE: Welchen Einfluss wird die Einführung des Euro auf den Durchschnittsbürger in der Tschechischen Republik haben?

Ich denke, dass es für jeden Bürger positiv sein wird. Ich glaube, dass die Preise mit dem Euro nicht so schnell steigen werden. Wenn die Leute nach Deutschland in das gleiche Geschäft gehen, sind die Preise dort oft niedriger. Wenn wir die gleiche Währung haben, wird der Vergleich einfacher. Es wird Druck auf die großen Discounter geben, eine andere Preispolitik zu betreiben. Es wird für sie schwieriger sein zu argumentieren, warum die Preise hier bei niedrigeren Löhnen höher sind. Zweitens wird Wohnen günstiger. Zum Beispiel werden Hypothekenzinsen niedriger sein, weil es einen größeren Wettbewerb zwischen den Banken geben wird. Mit dem Euro können Sie zum Beispiel eine Hypothek in Deutschland aufnehmen, wenn es dort ein besseres Angebot für Sie gibt. 

Und das dritte ist die Sicherheit der Ersparnisse. Wenn die Ukrainer den Euro gehabt hätten, wären ihre Ersparnisse besser geschützt gewesen, sie hätten immer noch den gleichen Wert. Wenn wir Probleme mit der Krone haben, verlieren wir unsere Ersparnisse. 

Eine Einführung des Euro hätte aber auch indirekte positive Auswirkungen. Wenn es den Unternehmen besser geht, können sie die Löhne und Gehälter erhöhen, und sie könnten auch die Preise für Produkte senken, weil sie niedrigere Herstellungskosten haben. 

LE: Was ist Ihr Plan für die nächsten Wochen oder Monate? Was wollen Sie tun, um die Menschen vom Euro zu überzeugen?

Aktuell läuft unsere Kampagne in den sozialen Medien und im öffentlichen Raum. Wir schreiben Artikel für Zeitungen, gehen zu Debatten und haben auch eine Petition gestartet. Wir wollen den Politikern zeigen, dass es viele Menschen gibt, die sie in der Frage der Euro-Einführung unterstützen wollen und versuchen, alle Menschen zusammenzubringen, die für den Euro sind, unabhängig von der politischen Partei, der wirtschaftlichen Situation oder der geografischen Lage. Wir machen also weiter mit unseren Veröffentlichungen, mit der Kampagne auf der Straße und der politischen Lobbyarbeit. Seit fünf Jahren machen wir das, und das ohne große finanzielle Mittel. Wir haben keinen Sponsor. Das ist etwas, was uns ein wenig einschränkt.

LE: Was glauben Sie: Wann wird die Tschechische Republik den Euro einführen?

Das ist eine gute Frage. Ich habe zwei Antworten, wenn ich darf. Die erste: 2029 oder 2030. Unter der Bedingung, dass die aktuelle Regierung die Entscheidung trifft, dem EMR II beizutreten. Und wenn nicht, denke ich, wird es eher 2040. Dann werden wir wohl die letzten sein. 

Das Gespräch führten Maximilian Schmidt & Manuel Rommel.

Dieser beitrag erschien zuerst in der landesecho-ausgabe 2/2024

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