Die Schlossbibliothek in Tetschen (Děčín) war einst für alle geöffnet. Nun kehrt ein Teil ihrer Schätze zurück. Ein Besuch.
Wer hier in alten Büchern wälzt, braucht Handschuhe. Die von František Šuman sind blütenweiß. Behutsam streichen sie über fast 200 Jahre alte Bände. „Sehen Sie, einige Bücher haben sogar noch die originale Signatur der Thunschen Bibliothek“, zeigt Šuman auf Bände des französischen Politikers François Guizot und des deutschen Chronisten Karl August Varnhagen von Ense. Sie sind ein Bruchteil der Bibliothek der Adelsfamilie Thun, die seit dem 18. Jahrhundert hier im böhmischen Tetschen Bücher sammelte. Diese Kollektion mündete in eine 90 000 Bände starke Sammlung, von der ein kleiner Teil nach über 80 Jahren wieder ins Schloss zurückgekehrt ist.
Die Bibliothek der Thuns sollte eine Art Kompendium des Wissens sein. Und das für alle. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts war die Schlossbibliothek öffentlich zugänglich. Genutzt wurde sie vor allem von Lehrern und Beamten. Zutritt hatte aber jeder, der etwas nachschlagen wollte. Die sich immer weiter vergrößernde Bibliothek zog später in größere Räume um, den heutigen Repräsentationssaal, wo regelmäßig der Schlossball stattfindet.
Praktisches Wissen
Die Ausrichtung auf die praktische Vermittlung von Wissen bestimmte die Auswahl der Bücher. Trotzdem fanden sich darunter auch viele seltene Ausgaben. „Die Bibliothek umfasste über 300 Handschriften, rund 100 Inkunabeln, also Werke aus der Frühzeit des Buchdrucks, eine Reihe Erstausgaben deutscher, tschechischer und französischer Klassiker sowie repräsentative Kunstbände“, zählt Šuman auf.
Was nun in das Schloss zurückgekehrt ist und seit Ende Juni im Rahmen der Führungen besichtigt werden kann, stellt nur einen Bruchteil dieses Erbes dar. Um den größten Teil kam die Bibliothek Anfang der 1930er Jahre mit dem Verkauf des Schlosses. „Die Thuns zogen damals aus finanziellen Gründen in ihr kleineres Schloss in Eulau (Jílové). Dorthin nahmen sie nur einige Tausend Bände mit“, skizziert Šuman das Schicksal der Bibliothek. Ausgehend von seinem eigenen Geschmack behielt der damalige Schlossherr Franz Anton Thun vor allem Stammbäume, Biographien und Erinnerungen. Der Rest wurde verkauft und steht heute in den Beständen der tschechischen Nationalbibliothek, der Bibliothek des Nationalmuseums, im Militärhistorischen Institut, aber auch in den Bibliotheken von Havard, Yale und Oxford.
Eine Dauerleihgabe
Ein zweites Mal wurde die Bibliothek 1945 verstreut. Als die Thuns von Schloss Eulau vertrieben wurden, zählte sie noch rund 8000 Bände. Über Tetschen gelangten die Bücher in das Zentraldepot auf Schloss Sichrow (Sychrov). Von da wurden sie auf verschiedene staatliche Institutionen verteilt. Die restlichen 4800 Bände wurden erst nach Großpriesen (Velké Březno) und dann ins Schloss von Bensen (Benešov nad Ploučnicí) verlegt, von wo sie das Schloss Tetschen nun erhalten hat. „Sie gehören immer noch dem Nationalmuseum, sind also eine Dauerleihgabe“, sagt Kurator Šuman.
Im großen Bibliothekssaal sind nun noch 4316 Bücher ausgestellt. Blättern kann man in ihnen aber nicht mehr, zumindest nicht mehr jeder. „Sollte jemand ein Buch für Forschungszwecke brauchen, muss er sich an das Nationalmuseum wenden“, sagt Šuman und freut sich erst einmal auf eine Sonderausstellung am Endes des Jahres, wenn für kurze Zeit die wertvollsten Handschriften der Thun-Bibliothek auf das Schloss zurückkehren. „Damit geht für mich ein Traum in Erfüllung!“
Führungen auf Schloss Tetschen (Děčín)
Öffnungszeiten Sommer: tgl. 9-18 Uhr
Rosengarten: 10-20 Uhr
Es gibt drei Rundgänge, jede Führung dauert jeweils 60 Minuten.
Eintritt pro Führung – 100 Kronen (ermäßigt 80, Kinder 50 Kronen)
Aufschlag 30 Kronen für Führung in einer Fremdsprache