Wie Děčín und Litoměřice 100 Jahre tschechoslowakische Staatlichkeit begingen. Eine kleine Bilderreise entlang der Elbe.
28. Oktober: Auf dem Gebiet der ehemaligen Habsburger Monarchie wird es kalt. Maximal acht Grad sind es in der neu entstehenden Tschechoslowakei. Auf dem Beskidengipfel Kahlberg (Lysá Hora) fällt der erste Schnee des Jahres. Das war 1918, wie das Tschechische Wetteramt meldete. 100 Jahre später zur großen Staatsfeier sieht es wettertechnisch nicht viel anders aus.
Und wie 1918 schon begehen auch 2018 viele Orte in Tschechien und der Slowakei den Jahrestag der Gründung der Ersten Tschechoslowakischen Republik sehr unterschiedlich, gar nicht oder zu anderen Daten. Während Prag vor lauter Feierstimmung ein ganzes Wochenende kopfsteht, wird der Staatsgründung beispielsweise in Nordböhmen verhaltener gedacht.
„Es lebe die freie Tschechoslowakei!“
Ein Volksfest sollte es in Leitmeritz (Litoměřice) werden: Da verwandelte sich das Ausstellungsgelände Böhmischer Garten in die tschechische Gesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts: Schulwesen, Spielzeug, Sportangebote.
Auf der Bühne lassen sich derweil die drei Gründungsväter der Ersten Tschechoslowakischen Republik feiern: Tomáš Garrigue Masaryk, Edvard Beneš und Milan Rastislav Štefánik.
Sie rufen: „Ať žije svobodné Československo!“ („Es lebe die freie Tschechoslowakei!“) und singen die Hymnen „Kde domov můj“ und „Nad Tatrou sa blýska“.
Das Publikum singt mit. Verschwindet aber nach dem Auftritt der tschechoslowakischen Polit-Troika aber auch schnell wieder in den wärmenden Pavillons.
Dort werden Theaterstücke aufgeführt, Trikolore-Blümchen gebastelt und Boxkämpfe ausgefochten.
Außerdem spielt auch die spezielle Geschichte der hiesigen Region eine wichtige Rolle: Gleich zwei Ausstellungen beschäftigen sich nebeneinander mit der Umbruchzeit und vor allem der Provinz Deutschböhmen, die sich eigentlich gar nicht der Tschechoslowakei anschließen wollte. (Lesen Sie dazu auch im LE 10/2018, warum Aussig (Ústí nad Labem) erst am 11. Dezember feiern wird!)
„Rathaus rozhod“
Tetschen (Děčín) wiederum hatte die Feierlichkeiten schon eine Woche früher absolviert, indem es auf dem Masaryk-Platz, dem zentralen Marktplatz der Stadt, eine provisorische Zeltstadt aufbaute und da die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts wieder aufleben ließ. Am eigentlichen Jahrestag ist der Platz wie leergefegt. Warum, das weiß man nicht so genau, meint auch ein Mitarbeiter des Děčíner Kreismuseums: „Das Rathaus hat entschieden, für uns einfache Bürger bleibt der tiefere Sinn dessen im Verborgenen.“
Nur an der landesweiten Museumsaktion beteiligt sich die Stadt noch: Das ganze Wochenende ist in den Museen der Eintritt frei. Das Kreismuseum zeigt anlässlich der 100 Jahre Republik eine Ausstellung mit den vielen verschiedenen Währungen, die sich die einzelnen nordböhmischen Städte und Gemeinden am Ende des Ersten Weltkriegs gaben.
Denn die Habsburger Währung erreichte die entfernte Region nicht mehr, aber die Städte waren reich. So führten Reichenberg, Aussig, Tetschen und viele andere eigenes Geld ein, oft ging es aus provisorischen Schuldscheinen hervor. Erst als es dann die tschechoslowakische Krone schon gab, konnten diese dann bei der jeweils lokalen Sparkasse wieder für überregionales Geld eingetauscht werden.
Mehr über den tschechisch-slowakischen Staatsfeiertag des Jahres 2018 erfahren Sie hier:
Ein verschwundenes Land erinnert sich seiner Wurzeln
Böllerschüsse, Feuerwerke, in Prag gar eine Militärparade, Konzerte unter freiem Himmel, Ausstellungen, Sonderausgaben der Zeitungen, Dokumentationen in Radio und Fernsehen, Politikerauflauf aus dem Ausland – Tschechen und – etwas weniger auch Slowaken – erinnern an diesem Sonntag an die Gründung ihres gemeinsamen Staates vor genau 100 Jahren. Eines Landes, das es seit 1993 nicht mehr gibt, das aber Spuren hinterlassen hat.