Gestern protestierten die Gewerkschaften gegen die Ausgestaltung des Konsolidierungspakets, das letzte Woche vom tschechischen Präsidenten Petr Pavel unterzeichnet wurde. Unter anderem blieben deshalb viele Schulen geschlossen. Die Unzufriedenheit der Menschen richtete sich aber auch gegen eine geplante Rentenreform, die niedrigen Gehälter im öffentlichen Dienst, hohe Energiepreise und Kürzungen im Bildungsbereich.

Unter dem Motto „Für eine bessere Zukunft der Tschechischen Republik“ rief der Böhmisch-Mährische Gewerkschaftsbund (ČMKOS) gemeinsam mit zahlreichen weiteren Gewerkschaften am Montag zu einem landesweiten Streik auf. In Prag wurde gleichzeitig für eine Demonstration mit anschließender Kundgebung mobilisiert. Diese war jedoch nur eine von vielen weiteren Protestveranstaltungen.

Wie der Vorsitzende von ČMKOS, Josef Středula, vor einigen Tagen gegenüber ČT24 betonte, gebe es aus Sicht der Gewerkschaften viele Gründe, die den Streik notwendig machten. Kritik äußerte Středula insbesondere an der Verabschiedung des – lange Zeit ohne Beteiligung der Gewerkschaften vorbereiteten – Konsolidierungspakets durch die Regierung. Darüber hinaus moniert Středula, dass die Regierung nach der öffentlichen Bekanntgabe des Pakets lediglich zweieinhalb Änderungsvorschläge der Gewerkschaften akzeptierte. Doch das sind nicht die einzigen Baustellen, die die Gewerkschaften sehen. Trotz hoher Inflation stocken die Lohnverhandlungen im öffentlichen Dienst, da die Regierung den Beschäftigten keine Gehaltserhöhung zugestehen möchte. Auch die geplante Rentenreform steht in der Kritik. Středula erklärte dazu: „Obwohl die Regierung – auch in der Programmerklärung – beispielsweise verspricht, die Möglichkeit einer vorzeitigen Pensionierung für anspruchsvolle Berufe zu schaffen, sieht sie dies nun nicht mehr vor.“

In seiner Rede auf der Kundgebung in Prag betonte Středula, dass der Lebensstandard der Menschen sich nicht zurückentwickeln dürfe und kritisierte die Regierung für die Art, wie sie den sozialen Dialog mit der Gesellschaft führe. Zudem kündigte er an, dass es weitere Proteste und Streiks geben werde, wenn die Regierung nicht handeln möchte. Neben dem ČMKOS nahmen weitere Gewerkschaften an der Protestveranstaltung in Prag teil. So sprach unter anderem der erste Vorsitzende des Verbands unabhängiger Gewerkschaften (ASO ČR), Bohomír Dufek. In seiner Rede forderte er die Regierung zu einem kompetenen Umgang mit dem Land auf, sonst müssten die Proteste weitergehen. Zwischen den Reden kam es immer wieder zu Sprechchören aus der demonstrierenden Menge, die einen Rücktritt der Regierung forderten.

Auf dem Kleinseitner Platz (Malostranské Náměstí) in Prag versammelten sich sich die Streikenden zu einer zentralen Kundgebung. Foto: Maximilian Schmidt

Landesweite Protestaktionen

Auch in anderen Städten Tschechiens fanden Protestaktionen statt. In Göding (Hodonín) organisierte die Gewerkschaft KOVO eine Kundgebung vor der Firma VAG Hodonín, an der sich etwa 150 Personen beteiligten. In Jungbunzlau (Mladá Boleslav) rief die Gewerkschaft Škoda Auto zu einer Protestversammlung auf, an der, nach Schätzungen der Veranstalter, insgesamt zehn- bis elftausend Menschen teilnahmen. Die Produktion in allen Škoda-Werken wurde so für zwei Stunden eingestellt.

Schulen blieben geschlossen

Die Auswirkungen des Konsolidierungspakets erstrecken sich auch auf die Finanzierung von Bildungseinrichtungen, die Kürzungen erfahren sollen. Aus diesem Grund riefen die Bildungsgewerkschaften am vergangenen Montag ebenfalls zu einem eintägigen Streik auf, um gegen die geplanten Änderungen sowie gegen die unzureichende Bezahlung des nicht-lehrenden Personals zu protestieren. Etwa 7000 Schulen in ganz Tschechien beteiligten sich an diesem Streik, der damit der größte in der Geschichte des Landes seit der Samtenen Revolution ist. In Prag versammelten sich Schülerinnen und Schüler zusammen mit Lehrkräften zu einer Demonstration. Vom Jungmann-Platz (Jungmannovo náměstí) aus zogen sie durch die Innenstadt zum Bildungsministerium, um Minister Mikuláš Bek (STAN) einen offenen Brief zu überreichen. In diesem wurde insbesondere das Vorhaben kritisiert, den Umfang der staatlich finanzierten Unterrichtsstunden zu reduzieren.

Unter nicht-lehrendes Personal fallen Hausmeister, Reinigungskräfte, Köche, Verwaltungsangestellte und Sozialarbeiter. Diese verdienen laut Angaben des Bildungsministeriums im Durchschnitt etwa 27.000 Tschechischen Kronen (circa 1100 Euro). Allerdings kommt es unter den Angestellten zu großen Schwankungen. So liegt das Einstiegsgehalt einer Reinigungskraft bei rund 16.000 Tschechischen Kronen brutto (circa 650 Euro).

Kritik seitens der Regierung am Vorgehen der Gewerkschaften

Die Regierung hat den Protest der Gewerkschaften stark kritisiert. Schon im Vorfeld sagte Finanzminister Zbyněk Stanjura (ODS), dass er noch keinen Grund der Gewerkschaften gehört habe, der einen Streik rechtfertigt. Gleichzeitig warf er den Gewerkschaften vor, die Notwendigkeit einer Reduzierung des Staatshaushalts zu leugnen. Noch deutlicher wurde Premierminister Petr Fiala (ODS). Gegenüber ČT24 sagte er: „Sie halten das ganze Land und seine gesunde Zukunft als Geisel.“ Er sei bereit, zurück an den Verhandlungstisch zu kehren, jedoch nicht unter dem Druck und der Androhung weiterer Proteste, erklärte Fiala weiter. Bildungsminister Bek schloss sich der Kritik an, indem er sich noch am Vortag des Streiks bei den Eltern und Kindern dafür entschuldigte, dass „sie im Streit zwischen der Regierung und den Gewerkschaften zu Geiseln geworden sind“.

Hohe Zustimmung für den Streik in der Bevölkerung

Die Bevölkerung in Tschechien unterstützt hingegen den Streik. Laut Umfragen des Meinungsforschungsinstituts STEM befürworten lediglich 44 Prozent der Wähler der Regierung den Protest. Insgesamt liegt der Zustimmungswert in der Bevölkerung für die Proteste bei 64 Prozent. Nur ein Viertel der Befragten teilt hingegen die Meinung des Premierministers Fiala, dass die Proteste unverantwortlich und ungerechtfertigt seien.

Positives Fazit der Gewerkschaften  

Die Gewerkschaften zeigten sich mit den Protesten gegen die Regierung sehr zufrieden. So sagte Josef Středula gegenüber Reportern nach dem Ende der rund einstündigen Kundgebung auf dem Kleinseitner Platz, dass sich das Kabinett um Petr Fiala nun fragen sollte, wie ihnen die Einigung der tschechischen Gesellschaft in den letzten zwei Jahren gelungen sei. Bohumír Dufek sagte zum Abschluss der Veranstaltung: „Was wir erreichen wollten, haben wir erreicht.“

Insgesamt beteiligten sich zehn Gewerkschaften am landesweiten Streik. Neben den Schulgewerkschaften und der KOVO-Gewerkschaft sind dies die Büro-, Holzverarbeitungs-, Gesundheits-, Transport-, Kultur-, Bibliotheks-, Lebensmittelarbeiter- und Universitätsgewerkschaften.

Das Konsolidierungspaket der Regierung umfasst insgesamt 65 Gesetze. Damit verspricht sich die Regierung, die öffentlichen Ausgaben zu stabilisieren und das strukturelle Defizit des Staatshaushalts zu verringern. Kernpunkt des Pakets ist die Einführung von lediglich zwei Mehrwertsteuersätzen: 12 und 21 Prozent. Der niedrigere Satz gilt vorwiegend für Lebensmittel. Zusätzlich führt das Paket eine Krankenkassenabgabe ein, halbiert die staatliche Bausparförderung und streicht Steuerbefreiungen für Studierende. Eine Erhöhung der Konsumsteuer für Alkohol um zehn Prozent ist ebenfalls vorgesehen. Insgesamt strebt die Regierung an, das Haushaltsdefizit um 150 Milliarden Tschechische Kronen (ungefähr 6 Milliarden Euro) zu reduzieren. Die meisten Änderungen sollen im Januar 2024 in Kraft treten.

Mitarbeit: Lena Pierskalla

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