Mitten im Prager Großstadttrubel leben 1,3 Millionen Menschen – und mit ihnen rund 100.000 Tauben. Doch das Zusammenleben ist komplizierter als man denkt. Landesbloggerin Alina hat sich mit den Tauben in Prag einmal genauer beschäftigt.
Zwei schneeweiße Tauben flattern durch das offene Fenster, lassen sich auf dem Boden nieder und beginnen emsig, Linsen aus der Asche zu picken. Ein Bild, das Märchenliebhabern bestens bekannt sein dürfte – oder zumindest denjenigen, die mit dem Filmklassiker Drei Haselnüsse für Aschenbrödel (tsch. Tři oříšky pro Popelku) vertraut sind. In dieser Märchenwelt sind die gefiederten Tiere Symbol für Hoffnung und Freiheit.
Wie auch das Aschenbrödel befand ich mich in Tschechien, allerdings ohne Aussicht auf Schloss und rauschende Bälle, sondern vielmehr auf Wohnungssuche in der Hauptstadt des Landes. Auch auf tierische Helfer musste ich leider verzichten. Vielmehr schien es so, als wären die Tauben in Prag schon genug mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, was ich beim Gang über den Hauptbahnhof feststellen konnte.

Alles andere als märchenhaft
Die erste Taube, die ich dort sah, als ich mich auf den Weg Richtung Altstadt machte, hatte nicht im Entferntesten etwas mit dem Vogel aus dem Märchen zu tun. Mitten auf der Straße, umgeben von vorbeirasenden Autos, saß ein zerfleddertes graues Wesen und blickte resigniert auf den Asphalt. Nicht nur mir fiel die Taube auf, auch andere Passanten blieben stehen und es bildete sich kurzerhand eine kleine Menschent(r)aube, aus der sich ein Mann herauslöste. Er hielt den Verkehr kurz an, um das Federknäuel am Boden vorsichtig von der Straße zu bugsieren und somit vor dem sicheren Tod zu bewahren. Ein kleines bisschen Rücksicht inmitten des Stadttrubels.
Doch nicht nur am Hauptbahnhof: Egal wo man hinschaut, ob auf dem hauseigenen Fensterbrett, der Prager Altstadt oder zwischen den zahlreichen Touristen auf der Karlsbrücke – die Stadttaube ist überall. Die Tiere sind vielerorts verhasst und gelten als dreckig, unrein und aufdringlich. Wer schon einmal versucht hat, sie zum Wegfliegen zu bewegen, um in Ruhe sein Gebäck zu essen, kennt das Spiel: Instinktiv greifen viele Menschen zur allseits bewährten Methode – dem Verscheuchen. Egal ob mit der Hand oder durch ein energisches Aufstampfen auf den Boden, der Vogel soll weg. Oft funktioniert dieses Vorgehen auch. Die Taube erschreckt sich und flattert kurzerhand davon. Doch sie kommt wieder. Und vielleicht hat sie sich in der Zwischenzeit schon ihr Gesicht gemerkt.
Stadtbewohner mit Köpfchen
Klingt absurd? Ist es aber nicht. Denn was vielmals vergessen wird, ist die Tatsache, dass es sich bei besagtem Tier um ein ausgesprochen intelligentes Geschöpf handelt. Tauben können nicht nur gut fliegen, sie sind auch ausgesprochen intelligent, können Muster erkennen und sogar zählen. Zudem kennen sie Emotionen und können zwischen freundlich und feindlich gestimmten Menschen unterscheiden. Wer einer Taube also unfreundlich gegenübersteht, sollte wissen, dass Tauben sich Gesichter merken, die sie verärgern. Es ist also Vorsicht beim nächsten genervten Handwedeln geboten. Und wer weiß – sollte sich eines Tages die allseits bekannte Aschenputtel-Szene wiederholen, so möchten sie vielleicht doch lieber auf der Freundesliste der Taube stehen.
Wie viele Tauben wirklich durch Prag fliegen, weiß niemand so genau. Ornithologen gehen von 80.000 bis 100.000 Tieren aus. Besonders häufig tummeln sie sich an vielbesuchten Touristen-Hotspots wie der Karlsbrücke oder dem Altstädter Ring, in der Hoffnung, den ein oder anderen Krümel des gerade verputzten Reiseproviants zu erhaschen. Aber auch weniger bekannte Orte wie ein abgeschotteter Innenhof, leerstehende Gebäude oder Dachböden bieten Unterschlupf.
Wenn 100.000 Tauben zur Last werden
Mit ihren grau-bunt schillernden Federn sind sie allerdings nicht nur hübsch anzusehen – leider bringt ihre Anwesenheit auch ernstzunehmende Probleme mit sich: Denn eine einzelne Taube hinterlässt innerhalb eines Jahres etwa 12 Kilogramm Kot, was sich bei 100.000 Tieren auf sage und schreibe 1200 Tonnen summiert. Nur um nur einmal die Zahlen für Prag zu nennen. Und das beeinträchtigt nicht nur das Stadtbild, sondern auch die historisch wichtigen Prager Denkmäler, Gebäude und Fassaden. Sie werden durch den Taubendreck in Mitleidenschaft gezogen, der die verwendeten Baustoffe angreift und teure Bauschäden hervorrufen kann.
Doch das Problem ist nicht nur die Masse an Tieren, sondern auch die Dynamik dahinter. Obwohl Stadttauben im Gegensatz zu ihren Artgenossen aufgrund der harten Lebensumstände keine zehn, sondern im Schnitt nur zwei bis drei Jahre alt werden, vermehren sie sich wie im flug. Die Population wächst rasend schnell und mit verschlechterten Lebensbedingungen und fehlenden Unterschlupfmöglichkeiten steigt auch das Risiko der grauen Vögel, sich mit Krankheiten zu infizieren. Während Menschen sich nur in seltenen Fällen anstecken, breiten und übertragen sich schädliche Erreger oft unter den Tauben selbst aus und sind besonders ansteckend für die Jungtiere. Je dichter die Taubenpopulation, desto schneller breiten sich die Krankheiten aus. Um die historischen Bauwerke zu schützen und gleichzeitig die Gesundheit der Stadttauben zu gewährleisten, hat die Stadt beschlossen, einzugreifen und die Taubenpopulation zu reduzieren.

Wie Prag das Problem angeht
Anstatt die Vögel einfach zu verscheuchen, setzt die Stadt auf einen Taubenschlag am Marienplatz (Mariánské náměstí), wo in einem alten Dachboden Platz für – immerhin – 150 Vögel geschaffen wurde. Helfer kümmern sich um die Vögel, pflegen und versorgen die einzelnen Tiere. Ziel ist es, den neuen Bewohnern einen Raum zu bieten, an dem sie einen geeigneten Futter- und Schlafplatz haben. Gleichzeitig wird versucht, die Population einzudämmen, indem die Helfer die echten Eier gegen Attrappen aus Gips oder Holz tauschen. Seit 2021 ist auf dem Vítkov-Berg zudem ein weiterer Taubenschlag vorgesehen. Die Renovierung des gesamten Areals startete 2023 und befindet sich auf der Zielgeraden. Der neue Taubenschlag soll nicht nur funktional sein, sondern auch designtechnisch punkten. Aus diesem Grund wurde 2021 ein Designwettbewerb rund um den Taubenschlag gestartet. Das Projekt ist nun allerdings schwer umzusetzen, da der von der Jury gewählte Entwurf, ein großes Betonkonstrukt mit verhältnismäßig wenig Platz für Tauben, dafür mit umso höheren Baukosten zu Buche schlägt.
Das Ziel: Eine Stadt für alle
Es ist klar, dass die bisher getroffenen Maßnahmen noch lange nicht ausreichen, um Prags wachsende Taubenpopulation nachhaltig einzudämmen. Doch handelt es sich um einen Anfang. Prags Umgang mit Tauben zeigt, wie gleichzeitig sowohl das Wohl der Tiere als auch der Schutz des Stadtbildes berücksichtigt werden kann. Durch betreute Taubenschläge mit kontrollierten Fütterungen können die Tauben artgerecht reguliert werden – ganz ohne Vertreiben oder Vergrämen. So entsteht langsam eine Stadt, in der alle einen Platz haben – sowohl Menschen als auch Tauben.
Und auch wir können etwas für ein friedlicheres Zusammenleben zwischen Mensch und Taube tun: Begegnen wir der nächsten Taube lieber mit einem kurzen Lächeln anstelle von Abneigung und Aufstampfen. Wer weiß, vielleicht merkt sie sich dabei sogar Ihr Gesicht.

Liebe Leserinnen und Leser,
mein Name ist Alina und ich freue mich darauf, in den kommenden vier Monaten als Praktikantin beim LandesECHO mitzuwirken und viele neue Erfahrungen zu sammeln.
Ich studiere seit zwei Jahren Journalistik und Strategische Kommunikation in Passau und möchte das im Studium erlernte nun gerne in die Praxis umsetzen und den typischen Redaktionsalltag kennenlernen. Neben dem Studieren verbringe ich meine Freizeit gerne zusammen mit Freunden und Chai Latte in einem gemütlichen Café oder mache kurze Ausflüge in umliegende Städte.
Ein Sprachkurs an der Uni hat mein Interesse an Tschechien geweckt und nun bin ich gespannt, das Land auch einmal für mehrere Wochen hautnah zu entdecken – sei es bei Spaziergängen entlang der Moldau, durch den weitläufigen Petřín-Park oder beim Schlendern über die zahlreichen Prager Weihnachtsmärkte.
Ich freue mich auf eine spannende Zeit, viele neue Eindrücke und bin neugierig auf das, was mich in Prag erwarten wird.