Im Prager Stadtteil Vinohrady erinnert seit letzter Woche ein Stolperstein an den Publizisten und Politiker Pavel Tigrid. Der einstige Exiljournalist floh 1939 vor den Nationalsozialisten, 1948 vor den Kommunisten, kehrte nach der Wende zurück und wurde zu einer prägenden Stimme der deutsch-tschechischen Verständigung.

Manche Persönlichkeiten sind einfach zu groß, um in ein kleines Loch im Straßenpflaster zu passen. So war es auch bei der feierlichen Verlegung des Stolpersteins für Pavel Tigrid am vergangenen Mittwoch, den 17. September 2025. So musste das zuvor ausgehobene Loch spontan noch etwas vergrößert werden, bis der goldglänzende Stein, der nun vor dem Wohnhaus in der Kouřimská 5 in Prag-Vinohrady an Tigrids Flucht 1939 vor den Nationalsozialisten erinnert, ohne Probleme hineinpasste.

Mit diesem Stolperstein möchte der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds an einen der wichtigsten Vertreter des tschechoslowakischen Exiljournalismus erinnern, der nach der Wende als Politiker in seine Heimat zurückkehrte und auch eine bedeutende Rolle für die deutsch-tschechischen Beziehungen spielte.

Tigrids Motto: „Man kann immer etwas tun“

„Wir stehen an einem außergewöhnlichen Ort, wo ein Stolperstein für immer an einen außergewöhnlichen Menschen, Schriftsteller und Politiker erinnern wird. Das alles und noch viel mehr war Pavel Tigrid“, so Petra Ernstberger, die deutsche Co-Geschäftsführerin des Zukunftsfonds bei der Stolpersteinverlegung. Tomáš Jelinkek, der tschechische Co-Geschäftsführer des Zukunftsfonds, erinnerte an Tigrids Motto: „Man kann immer etwas tun“. „Er kämpfe gegen den Nationalsozialismus, gegen den Kommunismus und er hielt sich noch an diese Losung nach dem Fall der Eisernen Mauer, als er Václav Havel dabei half, die deutsch-tschechischen Beziehungen aus einer Sackgasse zu führen“, sagte Jelinek.

Neben einer Reihe von Ehrengästen – darunter der designierte deutsche Botschafter Peter Reuss und Tschechiens ehemaliger Botschafter in Berlin, Tomáš Kafka, – waren auch Tigrids Kinder Deborah, Catherine und Gregory aus Frankreich angereist und sprachen zu den Gästen, die der Verlegung des Stolpersteins beiwohnten. Für sie sei es immer ein Rätsel gewesen, wie ihr Vater, damals ein 22-jähriger Student, den Mut aufbringen konnte, sich 1939 aufs Motorrad zu setzen und über Deutschland nach London zu flüchten, erzählte Tigrids Tochter Deborah, während Arbeiter den Stolperstein sachte in das Pflaster klopfen.

Die Kinder von Pavel Tigrid - Gregory, Catherine und Deborah (v.l.n.r.) - bei der Verlegung des Stolpersteins in Prag. Sie erinnerten an Mut, Verlust und das Vermächtnis ihres Vaters.
Die Kinder von Pavel Tigrid – Gregory, Catherine und Deborah (v.l.n.r.) – bei der Verlegung des Stolpersteins in Prag. Sie erinnerten an Mut, Verlust und das Vermächtnis ihres Vaters. Credit: LandesEcho/ Alesia Kussmaul

Eine Biografie des 20. Jahrhunderts

Mit ihren Brüchen und Wendungen fügt sich Tigrids Biografie geradezu symbolhaft in das europäische 20. Jahrhundert. Geboren 1917 als Pavel Schönfeld in eine assimilierte jüdische Familie in Prag, studierte er Jura an der Prager Karls-Universität und engagierte sich früh in studentischen Zeitungen und Theaterprojekten. Nach der Errichtung des Protektorats 1939 floh er nach Großbritannien, arbeitete zunächst als Lagerist und Kellner, bevor er Mitarbeiter bei den tschechischen Sendungen der BBC wurde und sein Pseudonym Tigrid annahm. Während er im Exil war, verlor er fast seine gesamte Familie im Holocaust.

Nach 1945 kehrte er kurz zurück, floh jedoch 1948 erneut vor den Kommunisten nach Westdeutschland, wo er beim Aufbau von Radio Free Europe half. 1956 gründete er in New York die Zeitschrift Svědectví (dt. Zeugenaussage), die über Jahrzehnte zur wichtigsten Stimme des tschechoslowakischen Exils wurde und auch im Untergrund in der Heimat zirkulierte. Ab den 1960er Jahren lebte er in Paris, wo er den jungen Václav Havel kennenlernte.

Nach der Samtenen Revolution konnte Tigrid 1989 endgültig zurückkehren. Er wurde Berater von Präsident Havel, Kulturminister im Kabinett Klaus und setzte sich für die deutsch-tschechische Verständigung ein, unter anderem als Mitbegründer des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und des Gesprächsforums. Seine letzten Jahre verbrachte er in Frankreich, wo er 2003 freiwillig aus dem Leben schied.

Bonn, 4. März 1998: Bundesaußenminister Klaus Kinkel und Vertreter des Zukunftsfonds Anton Roßbach, Dagmar Burešová, Pavel Tigrid (2.v.r.) und Miloš Pojar
Bonn, 4. März 1998: Bundesaußenminister Klaus Kinkel und Vertreter des Zukunftsfonds Anton Roßbach, Dagmar Burešová, Pavel Tigrid (2.v.r.) und Miloš Pojar Credit: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Erinnerung an Familie Schönfeld

„Der Stein ist zwar für unseren Vater gedacht, aber er ist auch ein Andenken an alle Schönfelds, die 1942 deportiert wurden“, sagte Deborah Tigrid-Marguerat, Tigrids älteste Tochter, bei der Verlegung des Stolpersteins. Der Verlust der vielen Familienangehörigen, die nicht mehr aus den Konzentrationslagern zurückkehrten, habe ihre Eltern ein Leben lang begleitet, auch eine gewisse Schuld, die restliche Familie zurückgelassen zu haben. „Mit der Verlegung des Stolpersteins beleben wir heute ihre Namen, ihre Gesichter, die ganze Familie und damit auch unsere Wurzeln“, so Tigrid-Marguerat.

Zum ersten Mal initiierte der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds mit dem Stolperstein für Pavel Tigrid ein Projekt dieser Art. Aktuell fördert der Zukunftsfonds eine ganze Reihe an Projekten und Initiativen zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor nunmehr 80 Jahren. Mit dem Stolperstein möchte der Zukunftsfonds eine bleibende Spur über dieses Gedenkjahr hinaus hinterlassen.

Mit der Verlegung des Stolpersteins wird Pavel Tigrids Leben Teil des öffentlichen Raums – eine Einladung, sein Engagement für Freiheit und Verständigung auch in der Gegenwart fortzusetzen. Und so klein der Stein auch ist – er trägt eine große Botschaft: Man kann immer etwas tun.

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