Heute vor 30 Jahren wurde die Bohemia-Stiftung gegründet, aus der die heutige gemeinnützige Kreditgesellschaft BOHEMIA Troppau hervorging. Vor allem unterstützt sie Unternehmen aus der deutschen Minderheit in Tschechien. Über die Arbeit der BOHEMIA Troppau haben wir mit deren Direktor Richard Neugebauer gesprochen.
LE: Herr Neugebauer, in ein paar kurzen Sätzen, wie muss man sich als Außenstehender die Arbeit der BOHEMIA Troppau vorstellen?
Wir wickeln Projekte zur Mittelstandsförderung ab. Am Anfang waren es verlorene Zuschüsse für die Gewerbetreibenden, später vergaben wir zinsfreie Kredite und heute gewähren wir zinsbegünstigte Kredite. Später kamen die Seniorenhilfe und verschiedene Projekte zur Pflege des deutschen Kulturerbes in Tschechien hinzu.
LE: Die Gründung der Bohemia-Stiftung fällt in die Zeit direkt nach der politischen Wende, als sich die deutsche Minderheit in der Tschechischen bzw. Tschechoslowakischen Republik neu organisierte. Wozu brauchte man eine Stiftung und wie kam es zur Gründung?
In der Gründerzeit der Landesversammlung der Deutschen in den Jahren zwischen 1990 und 1997 ging man davon aus, dass vieles nachgeholt werden muss. Etwa im Sprachunterricht, bei den Seniorenheimen, bei der Vermittlung der Arbeit und Warenlieferung zwischen Deutschland und Tschechien. Man hat sich zum Beispiel vorgestellt, dass die verbliebenen Deutschen eine wichtige Rolle im Fremdenverkehr, in der Gastwirtschaft, im Handel, in der Vermittlung der bundesdeutschen Hilfe oder in der Sozialpflege spielen werden. Es war auch klar, dass die Vereine das alles nicht selbst lösen können. Also gründete man die Schule oder ein Dienstleistungsunternehmen.
Die Absicht, eine Stiftung zu gründen, ruhte auf zwei Zielen: Die Stiftung sollte erstens die Hilfe vom Bundesinnenministerium verwalten und vermitteln und zweitens das Entstehen sowie das Wachstum des Mittelstandes fördern.
Man hat es seit Sommer 1992 besprochen und vorbereitet. Die offizielle Gründung fand in Eger am 25. Juli 1993 statt. Das Protokoll wurde von den „tschechischen“ Deutschen Peter Neumann, Walter Piverka, Hilde Sura und Erwin Šolc, und von den „vertriebenen Sudetendeutschen“ Herbert Haischmann, Heinrich Kraus und Reinfried Vogler unterzeichnet. Zum Geschäftsführer wurde Dipl.-Ing. Hans Dieter Korbel ernannt. Seit dem 1. September 2000 bin ich der Geschäftsführer.
Richard Neugebauer wurde 1961 in Reichenau an der Knieschna (Rychnov nad Kněžnou) geboren. Er studierte an der Wirtschaftsuniversität Prag (Vysoká škola ekonomická, VŠE) und erlangte 1992 den Doktortitel. Richard Neugebauer gehört zu den Gründungsmitgliedern des Verbandes der Deutschen, der Vorgängerorganisation der heutigen Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik. Er ist Mitglied im Schlesisch-deutschen Verein Troppau und gehört dem Präsidium der Landesversammlung an. Seit dem Jahr 2000 ist er Geschäftsführer der BOHEMIA Troppau, eine gemeinnützige Kreditgesellschaft, die Unternehmen aus (oder im Zusammenhang mit) der deutschen Minderheit unterstützt.
LE: Wer ist auf die Idee zur Gründung einer Stiftung gekommen? Jemand aus der deutschen Minderheit?
Nein. Ich war zwar 1991 auf einem Studienaufenthalt im Bonner Institut für Mittelstandsforschung, das Konzept wurde mir also bekannt. Der Gedanke, den Mittelstand in Osteuropa zu fördern, ist aber von Baden-Württemberg gekommen, von dem damaligen Landesministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie.
Ähnliche Stiftungen sind auch in Polen, Rumänien und in der Slowakei entstanden und alle sind bis heute tätig.
LE: Mit Blick auf die vergangenen 30 Jahre und die Zeit der Transformation in den postkommunistischen Ländern: War das ein erfolgreiches Konzept?
Es ist uns gelungen, mehrere Hundert Kredite zu vergeben und die Rückzahlung zu erreichen. Es wurden etwa 30 bis 40 Gewerbetreibende bzw. Firmen mit der Zeit unterstützt, die mit der deutschen Minderheit verbunden sind.
Unser Kapital ist bis 2016 gewachsen. Als der Zufluss der neuen Gelder in diesem Jahr eingestellt wurde, ist es uns gelungen, das Kapital zumindest zu erhalten und trotzdem unsere Betriebs- und Personalkosten zu decken.
Was den gesellschaftlichen Rahmen für den Mittelstand in Tschechien betrifft, gibt es auch 30 Jahre nach der Wende einen riesengroßen Nachholbedarf. Die Subventionen laufen oft schief und fließen zu den großen Firmen. Ein richtiger Nährboden für Unternehmen fehlt nach wie vor. Wir haben geholfen, aber wir sind natürlich zu klein, um etwas landesweit zu bewirken.
LE: Welche besonderen Hürden gab es am Anfang der Stiftung?
Bei der Gründung der Stiftung 1993 hatte niemand Erfahrung im Business. Als ich 2000 gekommen bin, hatte ich acht Jahre in der Mittelstandförderung hinter mir. Gleich nach der Wende wurde ich zum Direktor des Zentrums für Mittelstandsförderung beim Industrieministerium und von 1993-2008 war ich Geschäftsführer des Zentrums für Mittelstandsförderung, einer privaten GmbH.
Die bundesdeutsche Seite war sich dessen bewusst und hat noch eine Fachinstitution dazwischengeschaltet, die Baden-Württemberg International GmbH, eine Tochtergesellschaft des Stuttgarter Landesministeriums.
LE: Welche Bedingungen müssen Unternehmen erfüllen, um einen Kredit zu bekommen?
Neben den banküblichen Bedingungen – die Firma muss gesund sein und imstande, die Raten zu bezahlen – muss die Firma entweder von einem Mitglied der Minderheit geführt, für einen Verein der deutschen Minderheit tätig oder im Gebiet ansässig sein, wo einst mehrheitlich eine deutsche Bevölkerung wohnte.
LE: In welchem Umfang werden die Kredite vergeben und wie viele Unternehmen hat man bis heute unterstützen können?
Die maximale Höhe des Kredites beträgt drei Millionen tschechische Kronen [ca. 127.000 Euro] mit dem Zinssatz in der Höhe des aktuellen Diskontsatzes der Tschechischen Nationalbank. Insgesamt werden in einem Jahr Kredite im Umfang von 10 bis 12 Millionen Tschechischen Kronen vergeben.
Zwischen 1992 und 2020 wurde das Geld in der Höhe von ca. 47,9 Millionen Kronen vom Bundesinnenministerium überwiesen. Dafür wurden bis zum 31. Dezember 2022 432 Kredite im Gesamtumfang von 265 Millionen Kronen vergeben. Unser Kapital beträgt nach wie vor 40 Millionen Kronen.
LE: Aus welchen Branchen kommen die Kreditnehmer?
Die Branchen der Kreditnehmer sind sehr unterschiedlich: Vom Landwirt über den Zahnarzt, den Chemiebetrieb, Metallwerkstätten, Baufirmen, Bioläden, Winzereien, Glockengießereien bis zur Plastikflaschenproduktion war bisher alles dabei.
LE: Heute ist die BOHEMIA Troppau aber keine Stiftung mehr?
1999 wurde das Stiftungsgesetz geändert und die BOHEMIA Stiftung erfüllte die Forderungen des Gesetzes nicht mehr, insbesondere den Stiftungszweck.
Man kam zusammen und suchte nach einer Lösung. Ich war zufälligerweise dabei und habe die Rechtsform „gemeinnützige Gesellschaft“ vorgeschlagen. Am 14. Juni wurde die gemeinnützige Gesellschaft BOHEMIA Troppau als Nachfolger der Stiftung BOHEMIA eingetragen.
LE: Warum heißt es eigentlich ausgerechnet „Bohemia“, wenn Troppau sich doch in Schlesien befindet?
Manchem Schlesier stehen die Haare zu Berge, wenn er die Bezeichnung „Bohemia“ in Verbindung mit der schlesischen Hauptstadt Troppau (Opava) sieht. Die Erklärung ist einfach. Der damalige Direktor wohnte in Troppau, man hat also schlicht das Wort „Troppau“ zum Namen der Stiftung zugefügt.
LE: Wie deckt die Bohemia Troppau eigentlich ihre Betriebskosten?
Die Zinserträge decken nur etwa 60 Prozent der laufenden Kosten. Wir sind zwei Mitarbeiter in einem Büro mit zwei PCs, einem Notebook und einem PKW. Deshalb führen wir auch noch andere Projekte durch.
LE: Welche sind das?
Bereits 2006 haben wir die Tätigkeiten des ehemaligen Bildungs- und Sozialwerks BUSOW übernommen. Darunter fällt vor allem die Förderung der Reha-Aufenthalte für Senioren der deutschen Minderheit. Mit der Zeit sind immer mehr Fördergelder und Projekte hinzugekommen: Zum Beispiel Deutschkurse für Kinder und Erwachsene, der Online-Wettbewerb „Troppauer Wettbewerb witziger Texte“, die Deutsch- Wochenenden für Mütter mit Kindern, der Marsch („Stepke Treck“) anlässlich der Gründung eines deutschen Dorfes, die Förderung des Deutschunterrichts an der Schlesischen Universität Troppau und viele mehr…
LE: Ist die Gründungsidee der BOHEMIA Troppau noch aktuell?
Die Hilfe zur Selbsthilfe wurde bei der gemeinnützigen Gesellschaft BOHEMIA Troppau erreicht. Das Umfeld hat sich aber wesentlich geändert. Die kleinen und mittleren Firmen und Gewerbetreibende sind viel stärker geworden. Das Bankwesen ist hochentwickelt. Jeder einigermaßen anständiger Antragsteller erhält den Kredit quasi auf Knopfdruck. Die Banken bieten professionelle und schnelle Finanzierung.
LE: Wie blicken Sie in die Zukunft?
Ich bin schon über sechzig und halte nicht viel davon, dass die Amtsträger viele Jahre über das Rentenalter hinaus im Nest sitzen. Das hindert die Entwicklung. Ein rechtzeitiger Generationswechsel ist unabdingbare Bedingung fürs Überleben.
Das Kreditgeschäft bleibt. Daneben sollte man vielleicht auch einen Teil des Kapitals am Kapitalmarkt anlegen. Der Ertrag wird höher ausfallen als beim Kreditgeschäft.
Wir haben zukunftsträchtige Projekte, welche von der Landesversammlung, aber auch vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und anderen kleineren Stiftungen mitfinanziert werden. Kontinuierlich stocken wir auch die Eigenleistung der Teilnehmer auf. Der „Troppauer Wettbewerb Witzige Texte“ ist schon international und online. Ich hoffe, es entwickelt sich so weit, dass man weitere Sponsoren gewinnt. Die Deutschkurse wurden erst sehr stark von den Covid-Restriktionen betroffen. Kaum war das vorbei, ist der Krieg gekommen und Deutschland brauchte die Mittel woanders. Die Finanzierung durch die Deutsche Botschaft wurde schließlich gekürzt. Obwohl wir die Eigenleistung aufgestockt haben, ist die Finanzierung nicht ausreichend und kommt verspätet. Deshalb mussten wir diese Kurse zum 30. Juni einstellen.
Es wäre schön, einige Projekte auch durch die Euroregionen gefördert zu bekommen und andere Stiftungen zu finden. Es bleibt außerdem die Frage, wie die deutsche Minderheit in Zukunft aussieht. Man muss sich bemühen, um in der Zukunft erfolgreich zu überleben. Selbsthilfe bleibt also weiter Thema.
Das Gespräch führte Manuel Rommel
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Landesecho-ausgabe 7/2023
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