Bald kam der fremde Wandersmann mit einem schönen, starken Stab aus dem Wald zurück. Foto: Rübezahl – Sagen und Legenden um den Herrn des Riesengebirges. Verlag Carl Ueberreuter, Wien-Heidelberg. 3. Aufl age 1954

Einstmals hatte sich Rübezahl einen fröhlichen Botengänger für eine harmlose Neckerei ausersehen.

Dieser musste seine Gänge oft über das Riesengebirge machen, um die Wünsche seiner Auftraggeber jenseits der Berge auszurichten. Als er wieder einmal ziemlich schwer beladen den steilen Waldweg, der zum Kamm des Gebirges führte, empor schnaufte, schnitt er sich bei einem Birkenstrauch einen Stock ab. „Der soll mir helfen, den Berg zu erklimmen“, dachte er, „hätte mir eigentlich schon längst einen Stock zulegen sollen.“

Bergab ging es leichter. Trotzdem trieb ihm die Mittagssonne den Schweiß auf die Stirn, und er hielt unter einem dichten Holunderbusch inne, um ein wenig den Schatten zu genießen. Während der Mann sinnend im Gras saß, zog er sein Messer hervor und schnitzelte an dem Stab herum. Spielerisch machte er Kerben in die Rinde und schälte dann den oberen Teil ab, während er den unteren am Stabe ließ.

Nach einiger Zeit setzte der Botengänger seinen Weg fort und kam bald zum ersten Haus jenseits des Gebirges. Hier legte er seinen Stock auf eine Bank vor dem Haus, richtete seine Botschaft aus und wanderte weiter. Er war noch nicht weit gekommen, da fiel sein Blick zufällig auf das untere Ende seines Stockes. Merkwürdig, da blitzte es ja wie von Gold! Und als er den Stab näher besichtigte, fand er, dass die Rinde, die er am unteren Teil des Stockes gelassen hatte, aus purem Gold war. Der Verkauf der goldenen Rinde trug ihm ein schönes Stück Geld ein.

Die abgeschälte Rinde fand er zwar nicht mehr unter dem Holunderbusch, wie er im Stillen gehofft hatte, auch die Stelle, wo er sich den Stab abgeschnitten, entdeckte er nicht mehr, aber der Stab, der ihm zu so unverhofftem Botenlohn verholfen, blieb ihm von nun an lieb und wert, und er unternahm keinen Gang, bei dem ihn nicht der Stock begleitet hätte. Es war aber auch ein schöner Stab, nicht allzu schwer, gerade von der richtigen Länge.

Aber eines Tages geschah das Unglück. Hatte er sich zu schwer auf den Stock gestützt oder ein Missgeschick – es brach der Stock. Während er noch schmerzerfüllt die abgebrochenen Stücke in seiner Hand betrachtete, trat Rübezahl, als Wandersmann verkleidet, an seine Seite und fragte teilnehmend: „Was fehlt denn, Ärmster, dass du so klägliche Zähren vergießt? Hast du einen Verlust zu beklagen oder ist dir ein Leid zugestoßen?“

„Soll ich nicht klagen“, stöhnte der Bote, „mein Stock, mein lieber Stock ist zerbrochen, dem ich so viel verdanke und den ich für unzerbrechlich hielt! Ach, einen solchen Stab bekomme ich nimmer! Was nützen mir diese beiden Trümmer da?“ Damit warf er die beiden Enden hinter die Büsche.

„Aber, mein Lieber“, tröstete Rübezahl den jammernden Boten gutmütig, „das ist doch kein Grund, sich so kläglich zu gebärden. Holz gibt’s doch genug im Wald, das zu einem Stock taugt. Warte ein wenig, ich will dir gleich einen schönen neuen Stab verschaffen.“

Hierauf ging der fremde Wandersmann ein paar Schritte in den Wald hinein und kam mit einem schönen starken Stab zurück, den er dem Boten überreichte.

„So, guter Freund“, sagte er dabei lächelnd, „hier hast du einen festen neuen Stock, der weit schöner ist als der Frühere. Geh gleich damit fort und gib ihn nicht aus der Hand, es wird dich nicht gereuen!“

Der Bote nahm den neuen Stab entgegen, dankte dem Wanderer für seine freundliche Hilfe und setzte seinen Weg fort, während der Fremde einen Seitenweg einschlug. Doch sonderbar! Der Stock schien immer schwerer und schwerer zu werden, bald konnte der Bote ihn mit einer Hand gar nicht mehr vorsetzen, er nahm die andere zu Hilfe, doch das ergab ein so ungeschicktes Hantieren, dass es ihn im Gehen behinderte. Deshalb schwang er den Stock schließlich auf die Schulter. Aber nicht lange, so drückte ihn der Stab derart, dass er gezwungen war, den Spieß wieder in die Hand zu nehmen.

Als es dann gar nicht mehr gehen wollte, meinte er ärgerlich: „Ach was, ich sehe nicht ein, wozu das Ding gut sein soll. Das ist ja keine Hilfe, sondern nur ein Hindernis“, nahm die Stange mit beiden Händen und warf sie in den Wald hinein.

Erleichtert ging er weiter. Aber was erblickten seine Augen, als er, aus dem Wald tretend, am letzten Baum vorbeikam? Da lehnte ja sein Stab, der ihm kurz vorher zerbrochen, heil und unversehrt an einem Baumstamm neben dem Weg.

„Mein lieber Stab“, rief der Bote erfreut, „da bist du ja wieder? Bist mir nur ein Stück voraus, wie mir scheint. Warte, ein andermal werde ich dich nicht so leicht aus der Hand geben!“

Mit glänzenden Augen griff er nach dem alten Wanderstab und zog fröhlich weiter. Wie er sich nun die ganze Sache mit dem Stab genau überlegte, kam er zur Einsicht, hier müsse wohl Rübezahl seine Hand im Spiel gehabt haben. Ihm war sicherlich der Stab mit der goldenen Rinde zuzuschreiben, er hatte wahrscheinlich den Stock vertauscht. Und dass die schwere Stange, die er in seiner Unvernunft im Wald weggeworfen, aus Gold war, schien dem armen Botengänger nun klar auf der Hand zu liegen.

Doch es nützte nichts, dass er eilends den Weg zurück nahm und eifrig nach der Stange suchte: er fand sie trotz verzweifelten Suchens nicht mehr.

Zusammengetragen von Irene Kunc

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Landesecho-Ausgabe 7/2023

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