Eine Konferenz im tschechischen Außenministerium beschäftigte sich mit Fragen rund um die Gräber der ehemaligen deutschen Bevölkerung in der heutigen Tschechischen Republik sowie mit Gräbern anderer nationaler Minderheiten.

Über Jahrhunderte hinweg lebte auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik eine bedeutende Zahl Deutscher, über drei Millionen waren es vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In vielen Ortschaften erinnert daran heute – bald 80 Jahre nach der Vertreibung der deutschen Bevölkerung – nur noch wenig. „In manchen Orten sind die Gräber das letzte Zeugnis der deutschen Minderheit in der Tschechischen Republik“, sagt auch Klára Šimáčková Laurenčíková, Beauftragte der tschechischen Regierung für nationale Minderheiten. Neben Außenminister Jan Lipavský (Piraten), Botschafter Andreas Künne und Martin Herbert Dzingel, stellvertretender Vorsitzender des Regierungsrates für nationale Minderheiten und gleichzeitig Präsident der Landesversammlung der deutschen Vereine (LV), eröffnete sie am 28. April 2023 eine vom tschechischen Regierungsrat organisierte Konferenz im Černín-Palais, dem Sitz des tschechischen Außenministeriums, welche sich mit den Fragen rund um die deutschen Gräber beschäftigte.

Vor allem ging es dabei um die Frage, wie die Gräber als gemeinsames deutsch-tschechisches kulturhistorisches Erbe in die Zukunft gerettet werden können. Denn dass sich ein großer Teil der Friedhöfe und Gräber in einem katastrophalen und nicht selten pietätlosen Zustand befindet, ist ein offenes Geheimnis. Viele der heute in Deutschland oder Österreich lebenden Nachkommen wollen oder können sich nicht um die Pflege der Gräber kümmern (zur Zeit des Eisernen Vorhangs war das auch praktisch kaum möglich), den Gemeinden wiederum fehlen häufig die finanziellen Mittel, um die Grabstätten in einen würdevollen Zustand zu bringen.

Wie viele deutsche Gräber gibt es?

Wie viele deutsche Gräber heute noch in der Tschechischen Republik existieren, ist nicht genau bekannt. Die Landesversammlung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Gräber der ehemaligen deutschen Bevölkerung zu erhalten, schätzt, dass ihre Zahl in die Hunderttausende geht. In einem Pilotprojekt vor drei Jahren hatte die LV exemplarisch 50 Friedhöfe in den Bezirken Karlsbad (Karlovy Vary) und Aussig (Ústí nad Labem) besucht und dokumentiert. Allein auf diesen Friedhöfen zählte die LV über 15 000 deutsche Gräber.

Nicht zuletzt ist es eine Definitionssache, ob man eine Grabstätte als deutsch betrachtet oder nicht. In ihrer Erhebung berücksichtigte die LV vor allem jene Gräber, die deutsche Inschriften tragen oder auf denen eindeutig deutsche Namen stehen. Viele Grabstätten sind aber so verfallen und die Grabsteine so verwittert, dass man eine eindeutige Nationalität zwar nicht zuweisen kann, aber letztlich befinden sich viele der Friedhöfe in Orten, die früher eine überwiegend deutsche Bevölkerung aufwiesen. Eine weitere offene Frage ist die Kategorisierung der Grabstätten. Neben einfachen Gräbern mit Grabstein befinden sich auf vielen Friedhöfen auch Gruften und Mausoleen, die wiederum eine besondere Herangehensweise bei der Sanierung bedürfen.

„Die genaue Zahl der Gräber lässt sich nur schwer einschätzen. Ich gehe davon aus, dass es sich um etwa 25 bis 28 Prozent der heutigen Grabstätten in der Tschechischen Republik handelt“, sagt Roman Bláha, der einer Arbeitsgruppe im nationalen Minderheitenrat zur Lösung der Frage deutscher und anderer Gräber angehört. Im Jahr 2016 hatte der Regierungsrat die Arbeitsgruppe eingesetzt, die zu dem Thema Gespräche auf verschiedenen Ebenen der Politik führte und unter anderem ein Handbuch zur Pflege von Gräbern nationaler Minderheiten herausgab, wie Milan Pospíšil, Sekretär des Regierungsrates für nationale Minderheiten a.D, rekapitulierte. In einem Bericht forderte die Arbeitsgruppe das Ministerium für regionale Entwicklung zur Ausarbeitung eines Förderprogramms auf, dieses sah sich in der Sache aber nicht zuständig.

Über den rechtlichen Rahmen der Problematik informierte auf der Konferenz Tomáš Kotrlý vom tschechischen Ministerium für regionale Entwicklung. Neben der Frage nach der Zuständigkeit für den Erhalt und die Pflege der Gräber stellte er als Kernfrage heraus, wie mit den menschlichen Überresten auf den Friedhöfen verfahren werden soll. Ob etwa eine Exhumierung der Gebeine (etwa zum Zwecke einer Umbettung) erlaubt sei, ist rechtlich nicht genau geklärt. Auch das bereits erwähnte Handbuch zur Pflege der Gräber hält sich an dieser Stelle vage. Die Totenruhe zähle im Zweifel mehr als etwa Schönheitsaspekte auf den Friedhöfen.

Roman Bláha (rechts) widmet seine gesamte Freizeit dem Besuch und der Dokumentation von Friedhöfen in der Tschechischen Republik. Bisher hat er 5938 Friedhöfe dokumentiert. Davon hat er 3700 persönlich besucht. Links Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, sowie 2.v.l. Ulf-Bernd Brossmann, ebenfalls von der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Foto: Johanna Flint

Wie können die Gräber gerettet werden?

Die auf der Konferenz geladenen Experten waren sich einig, dass der Zustand der deutschen Gräber insgesamt als sehr schlecht zu bewerten ist. „Die Devastation schreitet voran“, mahnte Stanislav Děd vom Verein Omnium, der auf der Konferenz die Situation deutscher Gräber am Beispiel von Komotau (Chomutov) näherbrachte. Am Ende seines Vortrags regte Děd an, die Friedhöfe oder Gräber als Denkmäler zu deklarieren, um ihren Schutz besser zu gewährleisten.

Mit der Problematik der deutschen Gräber beschäftigt sich auch ein Forscherteam, das an der Technologischen Agentur der Tschechischen Republik (TAČR) angesiedelt ist. Durch die exemplarische Erfassung und Kartierung deutscher Gräber in Falkenau (Sokolov), Neuhaus (Jindřichův Hradec) und Troppau (Opava) möchte das Projekt eine qualitative Grundlage für ein bilaterales Abkommen zwischen der Tschechischen Republik und Deutschland im Bereich der Pflege deutscher Gräber schaffen. Am Ende sollen so neben einer Datenbank zu den deutschen Gräbern auch Vorschläge für ein Förderprogramm für Gemeinden oder Vereine erarbeitet werden, erklärten Lukáš Novotný und Petr Štěpánek, die dem Forscherteam angehören. Laut Tomáš Jelinek, dem Geschäftsführer des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, sei es notwendig, dass neben der Dokumentation der Gräber und Friedhöfe eine Kategorisierung und Methodik entwickelt werden, nach der Fördermittel zugewiesen werden können. „Es fehlt noch eine Dachstruktur, eine Plattform, die diese Methodik formuliert und die Datenbank verwaltet“, so Jelinek. Klar sei aber, dass es ein Prozess sein müsse, in den die gesamte Gesellschaft einbezogen wird. Unterstützen möchte der Zukunftsfonds vor allem die Teile der Bürgergesellschaft, die sich aktiv für den Erhalt und die Pflege der Grabstätten einsetzen. Eine offene Frage bleibt, wie auch Gemeinden, in denen sich bislang niemand für die ehemaligen deutschen Friedhöfe einsetzt, zu einem Engagement bewegt werden können.

Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, sieht vor allem den tschechischen Staat in der Pflicht. „Es gibt schon viele positive Beispiele, die auf Einzelinitiativen zurückgehen. Diese lokalen Initiativen muss man unterstützen, aber der Staat muss die Verantwortung tragen“, so Posselt. Ulf-Bernd Brossmann, der gemeinsam mit Posselt angereist war, bot die Zusammenarbeit der Sudetendeutschen zur Lösung der Gräber-Problematik an. Die Landsmannschaft möchte sich u.a. auch in den finalen Entwurf einbringen, der Ende des Jahres der tschechischen Regierung vorgelegt werden soll. „Die Friedhöfe sind eine Chance für eine gemeinsame deutsch-tschechische Erinnerungskultur“, so Brossmann.

Im zweiten Block der Konferenz „Ziele und wie sie zu erreichen sind“ – moderiert von Lucie Römer (Mitte) – diskutierten v.l.n.r.: Filip Smola (Bürgermeister von Markt Eisenstein), Petr Štěpánek (TAČR), Tomáš Jelinek (Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds) und Ulf-Bernd Brossmann (Sudetendeutsche Landsmannschaft). Foto: Johanna Flint

Auf den Willen kommt es an

Mit der Gräber-Problematik ist die deutsche Minderheit in Tschechien aber nicht allein. Alexej Kelin (russische Minderheit), Olga Mandová (ukrainische Minderheit) und Alena Kovářová (belarussische Minderheit) gaben einen Überblick über die Situation der Gräber ihrer jeweiligen Nationalitäten. Obzwar kein offizieller Teil des Programms kamen auf der Konferenz auch die slowakischen und jüdischen Gräber zur Sprache. Tomáš Kraus vom „Institut der Theresienstädter Initiative“ (Institut Terezínské iniciativy) regte an, zur Problematik der jüdischen Gräber eine eigene Konferenz zu initiieren.

Abschließend zeigten Filip Smola, Bürgermeister von Markt Eisenstein (Železná Ruda), und Štepánka Šichová, Geschäftsführerin des Vereins für deutsch-tschechische Verständigung in Trautenau (Trutnov), anhand ihrer Beispiele vor Ort, dass es neben finanziellen Mitteln aber vor allem den Willen – auf lokaler politischer Ebene oder auf der Ebene von Vereinen und Einzelpersonen – benötigt, um etwas zu bewegen.

Zu einer finalen Lösung der Problematik der deutschen Gräber konnte die Konferenz noch nicht kommen, aber sie rückte näher. Bis zum Herbst soll ein Gremium mit den wichtigsten Akteuren Lösungsvorschläge zusammentragen, bevor der Regierungsrat für nationale Minderheit der tschechischen Regierung einen finalen Vorschlag vorlegt, kündigte Martin H. Dzingel an.

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