Aus Böhmen kommt die Musik. „Sie ist der Schlüssel zum Glück“, besonders jetzt, wo Live-Musik in Kneipen und Biergärten wieder erlaubt ist.
Und so erschallt nun fast jeden Abend Musik in Pilsen (Plzeň), aus privaten Hinterhöfen ebenso wie vom weitläufigen Außengelände der Urquell-Brauerei. Durch die ohnehin offenen Türen dringt sie „bis in den Himmel hinauf“, denn die Bands spielen vor lauter Freude extra laut. Die Kneipe „Zur Chefin“ in meiner Straße hat für den ersten gemeinschaftlichen Musik-Genuss Lenka engagiert. Karaoke mit Lenka ist ein Top-Act, der heuer viel zu lange entbehrt werden musste. Denn wenn am Freitagabend bei der Chefin „Für immer juuuung“ gesungen wird, weiß jeder im gesamten Viertel, dass die Welt in Ordnung ist. Vor allem, wenn dazu der Vollmond am Himmel steht. Dann ist es noch ergreifender.
Einladung zum Karaoke-Abend in der Kneipe „Zur Chefin“. Foto: Beate Franck
Karel Gott – rauf und runter
Nicht nur dieses Lied steht in Pilsen für einen ganz besonderen „Schlüssel zum Glück“. Die Stadt hat einen Gott für sich gepachtet: Karel Gott. Obwohl er seit Mitte der 1960er Jahre weltweit als „goldene Stimme aus Prag“ galt, war Karel Gott ein waschechter Pilsener. Am 14. Juli 1939 kam er in einem nicht mehr existenten Krankenkaus im Viertel Hamburk (benannt nach dem ehemaligen Gasthof „Zur Stadt Hamburg“) gegenüber dem Hauptbahnhof zur Welt. Dass er in den Tanz-Cafés der Hauptstadt seine Karriere als Sänger begann, hat man ihm hier nicht nachgetragen. Schließlich – so haben es Nachbarn überliefert – habe bereits der kleine Bub Karel im Haus der Pilsener Oma unentwegt gesungen.
Seitdem stehen sie auf und zu ihm, egal ob „juuuung“ oder schon älter. „Zu Herzen geht jedes Stück“ – dazu trägt auch der Pilsener Rundfunk bei, der seine Songs täglich rauf und runter spielt. So lässt sich die Liste der Lieblingshits der Hörer leicht aufzustellen: 1. Lady Karneval (1968 Beitrag von Karel Gott auf dem Internationalen Musikfestival in Rio de Janeiro). 2. Alle Songs des Komponisten Karel Svoboda (z. B. der tschechische Titelsong im Film „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“).
3. Sämtliche Cover-Versionen englischer oder französischer Welthits. Eingefleischte Zuhörer mögen ohnehin alles. Und kriegen nie genug. In der täglichen Wunschsendung werden stets noch ein, zwei zusätzliche Lieder des Stars verlangt, ungeachtet seines Todes am 1. Oktober 2019.
Karel Gott war auch ein begabter Maler. Dieses Gemälde zeigt ihn, wie er sich selbst sah: Karel im Publikum bei einem Konzert 1987. Reproduktion von Beate Franck
Musikalische Experimente
Das einheimische Publikum hat allerdings noch weitere musikalische Vorlieben: Hardrock, Heavy Metal und Psychodelic Rock. Alle drei sehr laut. Kürzlich kam es eines Abends zu einer Art Wettbewerb zwischen drei Bands: den „Gaunern“ aus Pilsen, VoltAge aus Radnitz (Radnice) im Pilsner Land und Divokej Bill („Wilder Bill“) aus der Nähe von Prag. Die Einheimischen traten im Doppelpack im Biergarten einer Kneipe in Hamburk auf. Das Mini-Viertel ist über eine breite Fußgängerbrücke direkt mit dem Gelände der Brauerei verbunden. Dort spielte der „Wilde Bill“, eine landesweit bekannte Gruppe, die in Tschechien regelmäßig auf Tournee geht.
Im Biergarten dröhnte vor rund 50 Zuhörern Heavy Metal, die Boxen bis zum Anschlag aufgedreht. Fans mit Tattoos auf jedem freien Flecken Haut und gewandet in T-Shirts mit Aufschriften wie „Wir sind die Stimme des Todes“ tobten in wilden Sprüngen mit vollen Biergläsern in der Hand vor der Bühne. Fiel einer – oder mehrere – mal um, wurde er bereitwillig von anderen wieder auf die Füße gestellt. Im Brauerei-Hof gab es vor rund 500 Leuten melodiöseren Rock mit Streichinstrumental-Einlagen. Das Publikum hopste ziemlich artig am Platz auf und nieder und sang die Hits mit, ohne dabei Bier zu verschütten.
Der Sound war indes auf der Mitte der Überführung am besten. Von links die Gauner, von rechts der Wilde Bill. Untermalt vom Verkehr auf der mehrspurigen Stadtautobahn Richtung Prag, über die sich die Brücke spannt. Eindeutiger Sieger in Sachen Lautstärke: VoltAge, gefolgt von Gauner, Verkehrslärm und Wildem Bill. Dem großen Meister Karel hätte das bestimmt gefallen. Musikalischen Experimenten war er sehr zugetan. „Forever young“, den Welt-Hit von „Alphaville“, adaptierte er nicht nur auf Tschechisch und Deutsch als gefühlvollen Song. In hohem Alter interpretierte ihn Gott noch mal neu – als Gangsta-Rap mit Bushido.
Nach Karel Gotts Tod gab es im Stadtrat von Pilsen die Überlegung, zu Ehren der „goldenen Stimme“ das Theater umzubenennen. Die Theaterleute waren allerdings davon nicht begeistert und so heißt ihr Haus weiterhin nach dessen Gründer Josef Kajetan Týl. Eine andere Kulturstätte, die würdig genug gewesen wäre, den Namen Karel Gotts zu tragen, fand sich nicht.
Beim Karaoke in der Kneipe in meiner Straße spielt das keine Rolle. Wie heißt es doch so treffend: „In diesem wunderschönen Land, ist jeder ein Musikant!“ Und so singen Lenka & Co voller Inbrunst: „Für immer juuuung!“ Eine Würdigung, die aus dem Herzen kommt.