Bohemians-Fans unterstützten ihre Kängurus auch in Corona-Zeiten lautstark. Foto: ČTK/Deml Ondřej

Eine weitere Saison unter Pandemie-Bedingungen ging für die Bohemians zu Ende.

Was für ein Jahr! Ein einziges Spiel durfte ich sehen, und zwar am 23. August 2020, erster Spieltag in Böhmen, ungewöhnlich spät wegen all der Verschiebungen, die die Seuche verursachte. Denn üblicherweise startet die hiesige Liga Ende Juli als eine der ersten in Europa. An jenem denkwürdigen Saisonstart ging es gegen die reichen Jungbunzlauer. Anstoß 18.30 Uhr, ein lauer Sonntagabend im Spätsommer, ideale Bedingungen für einen Flutlichtabend. Und dann auch noch ein souveränes 4:0! Die Kängurus im Spielrausch. Es war wie in einem Traum. Danach verfinsterte sich die Lage in Tschechien, die Ansteckungen schnellten hoch und das Land litt stark unter der zweiten Welle. Zwar rollte der Ball, aber nicht mehr für die Zuschauer im Stadion, und schon gar nicht für Fans hinter dem Erzgebirge! Tja, da saßen wir mit unseren Dauerkarten, weit weg vom Geschehen. Aber die Prager Freunde hielten uns auf dem Laufenden. Auch die Webseite der Liga, die immerhin kurze Zusammenfassungen in bewegten Bildern bietet, rettete uns ein wenig. Dennoch: Trauer und Melancholie erfüllten unser Herz. Beim Fußball wird die Digitalisierung niemals gewinnen.  Nur das Stadionerlebnis zählt wirklich, alles andere ist kalter Kaffee. Dann wurde auch noch unser Präsident angesteckt und wir mussten uns ernsthafte Sorgen machen. Intensivstation! Nach ein paar Tagen kam Entwarnung. Auch in Leipzig ein Aufatmen.

Sensationeller Sieg bei Sparta

Der Herbst brachte aber auch schöne Nachrichten aus dem Ďolíček. Zwar durfte niemand ins Stadion, aber: „Was nützt dem Menschen der große Geist, wenn er sich nicht zu helfen weiß!“, sagte meine Oma gern. Denn mit Leitern, Hebebühnen und allerlei ambulanten Hochständen abenteuerlichster Bauart wussten sich die Treuesten der Treuen zu helfen, um die zum Glück nicht allzu hohe Mauer an der Sportovní-Straße zumindest visuell zu überwinden und unsere wackeren Helden zu Höchstleistungen anzuspornen. Das war auch nötig, denn wie so oft fanden wir uns nach einem guten Start dort wieder, wo wir uns eigentlich immer befinden, wenn das Herbstwetter schlechter wird: Ziemlich weit unten in der Tabelle. Niemals hoffnungslos, aber eben auch niemals sorgenfrei. Ohnehin war es ja eine außerordentliche Saison, denn durch die sehr softe Abstiegsregelung 19/20 – alle durften bleiben, die zwei Aufsteiger Brünn und Pardubitz kamen dazu – spielten diesmal 18 Mannschaften den Meister aus, was also auch 34 Spieltage bedeutete.

Der letzte Spieltag der Hinrunde fiel auf das letzte Januar-Wochenende und führte uns Kängurus auf die Letná zu Sparta. Alles außer einer Niederlage muss man dort schon als große Überraschung werten. Und was passierte an jenem Samstagabend am 30. Januar? Wir gewannen sensationell bei Sparta! Durch ein sehr schön herausgespieltes Tor. Am linken Flügel ließ Roman Květ in der 13. Minute den Sparta-Verteidiger durch einen Haken ins Leere rutschen, dann flankte er in den Lauf von Tomáš Necid, der den Ball mit viel Gefühl nur ganz zart von seinem rechten Fuß prallen ließ für die entscheidende Richtungsänderung ins Tor. Eine Augenweide! Zwar lief Sparta danach noch fleißig an, aber ganz vergeblich. Wir konnten es uns sogar noch leisten, einen Elfer liegen zu lassen, den Spartas rumänischer Torhüter Nita stark hielt. Es war der erste Sieg der Unsrigen auf Letná seit 1996! Unvergesslich!

Letztes Heimspiel mit tragischer Verspätung

Vom 21. bis zum 33. Spieltag, blieben wir ungeschlagen. Für zwölf Spiele! Das war nah am Rekord von 14 Spielen. Der Gegner beim letzten Heimspiel am Pfingstsonntag hieß Sparta und leider unterlagen wir mit 1:2. Da wäre ich eigentlich zu meinem zweiten Spiel in dieser Saison im Stadion gewesen, aber mein Zug, der EC 379 Kiel-Prag, blieb 20 Kilometer vor Holešovice stehen. Personenschaden. So dicht vor Prag! Drei Stunden Verspätung. Statt um 15.36 Uhr am Prager Hauptbahnhof anzulanden, war ich erst zu den Schlusschören gegen 18.45 Uhr am Stadion. Um 17.00 Uhr war Anstoß. Als ich am Wochenende darauf meinen böhmischen Freund Jaroslav Rudiš bei „Leipzig liest Extra“ traf, dem ich von meinem Malheur berichtet hatte, gab er folgende Anekdote: Er hatte in der Zeitschrift der Deutschen Bahn „mobil“ einen Beitrag über die Schönheit der Strecke Berlin – Prag unter besonderer Berücksichtigung des Elbsandsteingebirges geschrieben. Dafür wurde er zu einer Fahrt auf dem Lokführerstand von Dresden nach Prag eingeladen. Im Gespräch mit dem Lokführer erwähnte er meinen weitgehend gescheiterten Ausflug. Darauf der Lokführer: „Jo jo, das war ich! Mein Zwölfter!“ In 40 Dienstjahren für die České dráhy. Diesmal war es kein Selbstmörder, sondern zwei volltrunkene Radfahrer, die mit ihren Rädern über die Gleise wollten. Einer hat es noch geschafft. Auch seine Bemerkung, dass es bei den disziplinierten Deutschen immer Selbstmörder seien, bei den lässigen Tschechen aber oft Unfälle, wurde hier tragisch bestätigt.

Durch ihre erstaunliche Serie im Frühjahr landete die Bohemka sehr komfortabel auf dem 10. Tabellenplatz. Eine sehr gute Platzierung, denn unser Etat gehört zu den schmalsten der Liga. Wie immer haben wir aus wenig viel gemacht. Meister wurde Slavia, fast schon langweilig, gefolgt von Sparta, ebenso. Gablonz wurde Dritter, die Überraschung dieser Saison war der 1. FC Slovácko, der die erfolgsverwöhnten Pilsner noch hinter sich lassen konnte. Runter müssen der Schlesische FC Troppau, die Brünner und endlich der 1. FK Pribram. Aufgestiegen ist der FC Königgrätz. Spannend wird über den Sommer, wie viele der tschechischen Klubs sich für die Gruppenphasen der europäischen Ligen qualifizieren können. Dagegen ist die EM eigentlich völlig überflüssig. Nach diesem Jahr ein solches Turnier durchzuziehen, ist ein schwerer Irrtum der UEFA. Aber die schwebt eben in einem ganz anderen Kosmos mit einer ganz anderen Ökonomie. Und das Geld muss schließlich fließen, sonst können die Funktionäre sich nicht mehr so schön mühelos die Taschen füllen. Und das alles noch dazu als Großzirkus in zehn Ländern. So viel sinnloses Reisen! Was für eine Idiotie!

Der Autor ist Herausgeber des Leipziger Stadtmagazins Kreuzer.


 Dieser Beitrag erschien in der Juni-Ausgabe des LandesEcho.

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