Tschechiens Präsident vollführt eine 180-Grad-Wende. Die Presse zeiht ihn der Heuchelei.
Verdiente Tschechen werden traditionell am Gründungstag der Tschechoslowakei Ende Oktober eines jeden Jahres geehrt. Corona hatte der stets sehr feierlichen Zeremonie im Vladislav-Saal der Prager Burg zweimal einen Strich durch die Rechnung gemacht. Am Montag war quasi Nachholtermin, am Geburtstag des Staatsgründers Tomáš G. Masaryk.
Seit Miloš Zeman Prager Burgherr ist, bleiben wichtige Menschen der Veranstaltung zunehmend fern. Am Montag fehlten unter anderem die Chefs der beiden Parlamentskammern, die in der Rangfolge der Spitzenpolitiker gleich hinter dem Staatsoberhaupt stehen. Sie fehlten aus Protest gegen Zemans über die Jahre enge Freundschaft zu Wladimir Putin.
Zwischen Zeman und Putin passte lange kein Blatt Papier. Dabei ging es nicht nur um solche vergleichsweisen Lappalien wie den russischen Corona-Impfstoff Sputnik, den Zeman im Kreml bestellen wollte. Oder makabere Witze beider über die völlige Überflüssigkeit nervender, kritischer Journalisten.
Im vergangenen Jahr, als der tschechische Geheimdienst Beweise vorlegte, wonach russische Militärspione an der Explosion eines Munitionsdepots in Mähren beteiligt gewesen seien, wiegelte Zeman ab. Die Regierung sah das anders, wies fast die komplette Mannschaft der mit Spionen gegen die Nato vollgepackten russischen Botschaft aus. Seither stand Tschechien auf Putins Feindesliste gleich nach den USA an zweiter Stelle.
Zeman hatte auch nie ein Problem, russische Konzerne mit dem Ausbau strategisch empfindlicher tschechischer Atomkraftwerke zu betrauen. Voll an Putins Seite stand Zeman immer, wenn es um die Ukraine ging. Zeman hat die Wirtschaftssanktionen der EU gegen Russland im Gefolge der Krimkrise stets abgelehnt. Die Krim habe immer zu Russland gehört. Konflikte in der Ukraine nannte er Bürgerkrieg, nicht etwa von außen geschürt. Der Maidan, der zum Sturz des pro-russischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch geführt hatte, sei alles andere als eine demokratische Revolution gewesen. Kein Wunder, dass die russische Propaganda Zeman bei jeder sich bietenden Gelegenheit wegen dessen „Unabhängigkeit“ zitierte und lobte. Das dürfte so schnell nicht wieder passieren.
Der Angriff Putins auf die Ukraine, der viele ältere Tschechen an das militärische Ende des Prager Frühlings 1968 erinnert und zu großen Demonstrationen auf dem Wenzelsplatz der Moldaustadt führte, hat Zeman zwangsläufig zu einem radikalen Umdenken in Blitzgeschwindigkeit veranlasst. Dieser Angriff sei eine „nicht provozierte Aggression“, erklärte Zeman. Er rief nun auch nach „härtesten Sanktionen“ und fügte mit Blick auf Putin hinzu: „Der Verrückte muss isoliert werden“.
Mehr noch: Zeman erklärte den gestrigen Tag zu einem Tag der Solidarität mit der Ukraine. Er ließ auf der Burg neben der tschechischen die ukrainische Flagge aufziehen und beide Nationalhymnen intonieren. Die Gäste der abendlichen Auszeichnungsveranstaltung wurden gebeten, für die Ukraine zu spenden.
Zu Beginn seiner Rede kündigte Zeman zudem an, dass er entschieden habe, dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj für dessen Mut und Tapferkeit den höchsten tschechischen Orden zu verleihen. Ausländer werden nur selten solche Ehrerweisungen zuteil. Vor ein paar Jahren zeichnete Zeman übrigens den früheren Bundeskanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder aus.
Doch die Radikalität des Wechsels nehmen Zeman nicht alle ab. Prager Kommentatoren nennen ihn am Dienstag einen „Heuchler“. Die schärfste Kritik muss sich Zeman in der Hospodářské noviny gefallen lassen, die unter anderem schrieb: „Zeman hat auf der Burg neun Jahre lang die Interessen Russlands verteidigt. Wenn der Präsident jetzt behauptet, das sei alles ein Fehler gewesen, sich in eine ukrainische Flagge hüllt und sich als anti-russischer Falke gibt, ist das völlig unglaubwürdig. Der heutige Zeman erinnert damit am ehesten an einen Kollaborateur, der 1945 schnell die Armbinde der ‚Revolutionsgarden‘ überstreift und beginnt, die Deutschen zu vertreiben.“