Mit 26,1 Prozent der Stimmen hat die Partei des Oppositionsführers Andrej Babiš die Wahl für das Europäische Parlament in Tschechien gewonnen. Zweitstärkste Kraft wurde das liberal-konservative Parteienbündnis SPOLU.
Als die Wahlergebnisse um kurz nach 23 Uhr in Tschechien bekannt gegeben wurden, brach Jubel bei der Partei ANO aus. Mit 26,1 Prozent der abgegebenen Stimmen konnte die Partei ANO gleich sieben der 21 tschechischen Sitze für das Europäische Parlament gewinnen. Bereits nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses kündigte ANOs Spitzenkandidatin bei der Europawahl, Klára Dostálová, an, den Green New Deal überarbeiten zu wollen oder einen anderen Umgang mit Migration anzustreben. „Europa ist in die falsche Richtung gegangen. Regulierung, Kontrolle, Bußgelder – das ist sicher nicht der Weg in die Zukunft. Wir müssen unsere Bürger motivieren und dürfen ihnen keine Strafen auferlegen“, sagte sie. Andrej Babiš bezeichnete das Ergebnis wiederum als große Genugtuung. „Wir betrachten das Ergebnis als großen Erfolg“, erklärt er. „Jeder weiß, dass wir ein klares Programm für die Bürger der Tschechischen Republik hatten“, sagte Babiš und verwies auf die Fixierung der Strompreise und die Verhinderung des Verbots von Verbrennermotoren.
Mit 22,3 Prozent belegte das Parteienbündnis SPOLU, bestehend aus ODS, TOP 09 und KDU-ČSL, den zweiten Platz. „Die Koalition SPOLU hat bei den Europawahlen ein gutes Ergebnis erzielt. Es ist auch eine Rückmeldung der Wähler und damit Motivation für die weitere Arbeit. Wir werden dieses Land nicht den Extremisten und Populisten überlassen“, äußerte sich Premierministet Fiala. Die Ergebnisse der Koalition SPOLU würden weder Enttäuschung noch Begeisterung hervorrufen, erklärte Fiala weiter.
Das rechtsnationale Bündis bestehend aus der Partei Přísaha und der Autofahrerpartei Motoristé sobě wurden drittstärksten Kraft in Tschechien. Insgesamt 10,3 Prozent der Wähler stimmten für dieses Bündnis. Die Koalition STAČILO! („Es reicht!“), bestehend aus KSČM, SD-SN und ČSNS, erreichte 9,6 Prozent. Es folgte das Parteienbündnis aus STAN (Bürgermeister und Unabhängige) und SLK (Persönlichkeiten für Europa) mit 8,7 Prozent. Die tschechische Piratenpartei erzielte 6,2 Prozent der Stimmen, während das rechte Bündnis aus SPD und Trikolóra 5,7 Prozent erhielt. Insgesamt lag die Wahlbeteiligung in Tschechien bei 36,5 Prozent, was einen neuen Rekord darstellt. 2019 betrug die Wahlbeteiligung lediglich 28,7 Prozent.
Europa rückt nach rechts
Blickt man auf die Wahlergebnisse in den anderen europäischen Ländern, lässt sich ein deutlicher Gewinn des rechtspopulistischen und europakritischen Lagers sehen. In Deutschland hat die Alternative für Deutschland (AfD), trotz vieler Skandale um ihren Spitzenkandidaten Maximilian Krah, 16 Prozent der abgegebenen Stimmen gewonnen. Im Vergleich zur letzten Europawahl im Jahr 2019 konnten sie ihr Wahlergebnis um 4,9 Prozent verbessern. Damit sind sie hinter der Union (CDU/CSU) die zweitstärkste Kraft in Deutschland.
In Österreich haben die Rechtspopulisten der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) sogar den Wahlsieg geholt, zum ersten Mal in einer bundesweiten Abstimmung. Laut vorläufigem Wahlergebnis liegen sie mit 25,5 Prozent knapp vor der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), die als zweitstärkste Kraft 24,7 Prozent der Stimmen bekam. „Die Österreicher haben heute ein klares Zeichen gesetzt, dass sie einen ehrlichen Wunsch nach einer positiven Veränderung mit den Freiheitlichen haben“, sagte FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky nach dem Bekanntwerden der Ergebnisse. FPÖ-Parteichef Herbert Kickl betonte, dass die nächste Stufe das Kanzleramt sein müsse. Die Nationalratswahlen finden in diesem Herbst statt.
Noch deutlicher war das Ergebnis in Frankreich. Dort gewann der Rassemblement National (deutsch: Nationalversammlung) von Marine Le Pen mit 31,4 Prozent die Wahl. Das pro-europäische Lager von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kam nach vorläufigen Hochrechnungen nur auf 15,2 Prozent der Stimmen. Das Ergebnis hat für Frankreich auch innenpolitische Konsequenzen. Nach der herben Niederlage löste Macron das Parlament auf und kündigte Neuwahlen an. “Ich kann also am Ende dieses Tages nicht so tun, als ob nichts geschehen wäre“, sagte er. Die Neuwahlen sollen am 30. Juni und 7. Juli stattfinden.
Proeuropäische Kräfte weiterhin in der Mehrheit
Trotz des Stimmenzuwachses rechtspopulistischer und europakritischer Parteien bleiben die pro-europäischen Kräfte bleiben weiterhin in der Mehrheit. Die Europäische Volkspartei (EVP) ist dabei die stärkste Kraft und besetzt nach Hochrechnungen vom Montagmorgen 184 der 720 Sitze. Zweitstärkstes Lager ist die sozialdemokratische S&D-Fraktion, die 139 Sitze bekommt, gefolgt von den Liberalen, die 80 Sitze gewonnen haben. Die rechtspopulistischen Parteibündnisse EKR und ID bekommen 73 und 58 Plätze. Hier wurden die gewonnenen Sitze der AfD nicht mitgezählt, da diese kurz vor der Wahl des Europäischen Parlaments aus der ID-Fraktion ausgeschlossen wurden. Großer Verlierer der Wahl sind die grünen Parteien. Im neuen Parlament erhalten sie 52 Sitze. Das sind 19 weniger als noch in der letzten Wahlperiode.
Wie geht es jetzt weiter?
Nachdem das EU-Wahlergebnis amtlich ist, geben die Staaten die Namen ihrer gewählten Abgeordneten weiter. Am 16. Juli beginnt dann die Legislaturperiode des neuen Parlaments. Welche Auswirkungen das Wahlergebnis auf die Europapolitik hat, bleibt zunächst abzuwarten. Grundsätzlich lässt sich jedoch sagen, dass die Mehrheitsfindung schwieriger werden könnte. Als wahrscheinlich gilt, dass EVP, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne eine lose Zusammenarbeit vereinbaren. Bereits am Sonntag hat die EVP für sich beansprucht, die Kommissionspräsidentin vorzuschlagen. Diese muss zunächst vom Europäischen Rat benannt und anschließend vom Parlament mit einer absoluten Mehrheit (mehr als 50 Prozent der Stimmen) bestätigt werden. Ursula von der Leyen, die aktuelle Kommissionspräsidentin, strebt eine zweite Amtszeit an. Dafür möchte sie nun mit den Liberalen und Sozialdemokraten sprechen. „Ich habe immer gesagt, dass ich eine breite Mehrheit für ein starkes Europa aufbauen möchte“, erklärte von der Leyen. Ihr Ziel sei es daher, den aktuellen Weg mit denjenigen fortzusetzen, die für Europa, die Ukraine und Rechtsstaatlichkeit seien.