Hessens Ministerpräsident hat anscheinend vergessen, wo sein Bundesland liegt. Die Forderung Boris Rheins (CDU) nach Grenzkontrollen zu Tschechien ist Wahlkampf auf Kosten der Nachbarschaft und verkennt die Realität der Grenzregion, schreibt unser Kommentator.

Es ist Landtagswahl in Hessen und der Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) scheint sich in Populismus auf Kosten der deutsch-tschechischen Grenzregion zu versuchen. Gegenüber der Funke-Mediengruppe forderte er gegen illegale Migration die Wiedereinführung von Einreisekontrollen an der Grenze zu Tschechien.

Grenzregion wird Wahlkampfthema in Hessen

Diese Nachricht verwundert, hat Hessen doch bekanntlich nicht einmal eine Grenze zu Tschechien. Der hessischen Hauptstadt sind Frankreich und Belgien sogar näher als die böhmischen Wälder. Dennoch würde der hessische Ministerpräsident gerade dort gerne Grenzkontrollen installieren. Weiß er am Ende selbst nicht, wo sein Bundesland liegt?

Davon kann bei bestem Willen nicht ausgegangen werden, vielmehr handelt es sich dabei um Wahlkampf. Seine Hauptkonkurrentin ist die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die für Grenzkontrollen zuständig wäre. Zwar verzeichnen die Grenzen zu Österreich, Polen, Tschechien und der Schweiz aus deutscher Sicht die meisten Fälle irregulärer Grenzübertritte. In Tschechien stiegen diese aber nur um 50 Prozent an, während der Anstieg in Deutschland insgesamt bei 220 Prozent liegt.

Doch um Zahlen geht es bei der Forderung nicht. Mit dem Thema Migration lassen sich Stimmen fangen, noch dazu, nachdem sich Rheins Konkurrentin so deutlich gegen Kontrollen an der tschechischen Grenze aussprach. Gemeinsam mit dem tschechischen Innenminister Vít Rakušan (STAN) erklärte Nancy Faeser im Mai diese Maßnahmen für unnötig. Ein gefundenes Wahlkampfthema, noch dazu, wenn die Folgen ihn selbst und Hessens Einwohner kaum berühren.

Kontrollen treffen in erster Linie die Bürger beider Länder

Andere würden diese Grenzkontrollen allerdings durchaus berühren: die Bewohner von Tschechien und der Grenzregion. Tschechien sieht keinen Grund für Kontrollen, für Ministerpräsident Petr Fiala (ODS) seien sie der letzte Schritt. Die Freizügigkeit sei einer der größten Vorteile der Europäischen Union. Von Grenzkontrollen seien nicht nur illegale Migranten betroffen, sondern in erster Linie die Bürger beider Länder. Das erklärte er im Mai bei seinem Besuch in Regensburg in Bayern.

Wie Recht er damit hat, sieht man mit Blick auf die Zeit der Corona-Beschränkungen. Die Grenzschließungen waren ein tiefer Einschnitt in das Leben vieler in der Grenzregion. Die Freude über die zurückgewonnene Freiheit im Anschluss war enorm. Hier die Freizügigkeit von Waren und Personen zu torpedieren, darf nur in absoluten Ausnahmefällen passieren, denn sie schneiden tief in das Leben an der Grenze. Zahlreiche Initiativen und Forderungen der Einwohner haben dies bewiesen.

Populismus auf Kosten der Nachbarschaft

Intensive Kontrollen behindern aber nicht nur einen regen und unkomplizierten Austausch befreundeter Nachbarn. Auch Pendler würden unter den stundenlangen Staus an der Grenze leiden, hinzu kommt der wirtschaftliche Schaden durch die Verzögerungen in der Logistik. Deutschland ist Tschechiens Hauptwirtschaftspartner, vor allem in der Automobilindustrie, und würde sich mit Grenzkontrollen ins eigene Fleisch schneiden.

Die Forderung verkennt die Realität in der Grenzregion und ist letztendlich nichts als Wahlkampf auf Kosten der deutsch-tschechischen Nachbarschaft sowie des größten Vorteils der EU, der Freizügigkeit. In Hessen wird das anscheinend gerne für etwas Populismus gegen die Konkurrenz geopfert.

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