Demographische Probleme, eine hohe Inflation und leere Staatskassen zwingen Tschechiens Regierung dazu, das Rentensystem zu reformieren. Das stößt auf massive Proteste. Tschechien müsse aber genauso wie Deutschland das Problem lösen, dass immer weniger Arbeitnehmer für immer mehr Rentner arbeiten müssen, meint unser Autor Hans-Jörg Schmidt.

Die Demonstration von etwa 2000 Gewerkschaftern am vergangenen Mittwoch vor dem Regierungsamt in Prag gegen die Rentenreform glich aus zwei Gründen einer Farce. Das liberal-konservative Kabinett von Petr Fiala hatte – lange geplant – seine Tagung in die schlesische Region verlegt. Als die Gewerkschafter in Prag lautstark protestierten, saßen die Minister im 243 Kilometer entfernten Freiwaldau (Jesenik) am Fuß des Altvatergebirges beieinander.

Der zweite Grund: Unter den Rednern auf der Demonstration war auch ein prominenter Oppositionspolitiker – Andrej Babiš. Als früherer Premier hatte er wie kein anderer die Rentner gehätschelt, weil sie seine wichtigste Wählergruppe darstellten. Da wurden jedem Rentner auch gleich mal 5000 Kronen (ca. 200 Euro) außer der Reihe aufs Konto überwiesen. Geld, das die Beschenkten gar nicht wirklich brauchten, weil sie die am besten abgesicherte Bevölkerungsgruppe sind. Die Rentner reichten die Spende denn auch fast durchweg an Kinder und Enkel weiter. Das Geld erhöhte aber sofort wieder die Staatsschulden.

Mit den von Babiš zerrütteten Staatsfinanzen hat die jetzige Regierung Fiala zu kämpfen. Ein „Opfer“: die Rentner, was Babiš auf der Demonstration nutzte, um die Gewerkschafter zu unterstützen. Der Regierung ist aber auch ein Gesetz auf die Füße gefallen, dem sie einst selbst zugestimmt hatten.

Umstrittene Rentenreform

Worum geht es: Jedes Jahr werden in Tschechien die Renten automatisch um die Inflationsrate und um die Hälfte der Reallohnsteigerung angehoben. Derzeit liegen sie bei 48 Prozent des Durchschnittslohns, das entspricht etwa dem Wert in Deutschland. Steigen die Verbraucherpreise im Jahr um mehr als fünf Prozent, werden Anpassungen fällig. Die nächste Anpassung im Juni wäre exorbitant ausgefallen, weil die Teuerung in Tschechien nach Corona und wegen des Ukraine-Krieges bei etwa 17 Prozent liegt.

Hier nun ist die aktuelle Regierung eingeschritten und kürzte die geplante Anpassung. Präsident Petr Pavel genehmigt die Kürzung wegen der finanziellen Nöte des Staates zwar, plädierte aber dafür, dass in der Sache das Verfassungsgericht entscheiden soll. Auch wenn die Anpassung gekürzt wird, übersteigen die Renten im Sommer erstmals die Grenze von 20.000 Kronen (ca. 800 Euro). Beim Antritt der Regierung vor eineinhalb Jahren lag die Durchschnittsrente noch bei 15.400 Kronen (ca. 616 Euro). „Würde das so weitergehen, würde das die Solidarität unter den Generationen gefährden“, warnte Arbeits- und Sozialminister Marian Jurečka (KDU-ČSL).

Tschechien muss sein demographisches Problem lösen

Die zusätzliche, weit größere Aufgabe, wartet aber noch auf eine Lösung: Tschechien hat ein fast identisches demographisches Problem wie Deutschland. Auch im Nachbarland steigt die Zahl der Rentner im Vergleich zu den Beschäftigten, die die aktuellen Rentenzahlungen erarbeiten müssen. Derzeit sind 2,4 Millionen Tschechen, ein Viertel der Bevölkerung, rentenberechtigt. Tendenz steigend. Um ein völlig neues Rentengesetz haben sich die bisherigen Regierungen gedrückt, weil seine Auswirkungen unbeliebt sind.

Zu sozialistischen Zeiten, als einfach Geld gedruckt wurde, wenn es gebraucht wurde, war alles einfacher. Frauen des Jahrgangs 1950 mit zwei Kindern genossen da mit 58 Jahren und vier Monaten ihre Rente, Männer mit 62 Jahren und sechs Monaten.

Rente mit 68?

Derzeit gehen alle Beschäftigten ab Jahrgang 1971 mit 65 Jahren und mindestens 35 Arbeitsjahren in Rente. Da sich jedoch auch die Lebenserwartung dank immer besserer Gesundheitsvorsorge erhöht, erscheint ein späteres Renteneinstiegsalter unumgänglich. Die Rede ist von 68 Jahren, was der eigentliche Grund für die jetzige Demonstration war. Minister Jurečka bestreitet die Zahl 68, will Eintrittsalter nach Berufsgruppen sortiert einführen. Private Vorsorge ist in Tschechien bisher ein Fremdwort, sieht man davon ab, dass die Tschechen deutlich mehr Wohneigentum besitzen als etwa die Deutschen, was sich im Alter auszahlt. Wie auch immer – die Rentenfrage soll noch in diesem Jahr auf lange Zeit geklärt werden. Damit die Rente wieder sicher wird. Weitere Demonstrationen sind ebenso sicher.

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