LandesEcho-Kommentator Hans-Jörg Schmidt über die Wahl des neuen Parlamentspräsidenten Tomio Okamura von der ultrarechten SPD (Freiheit und direkte Demokratie).

Noch nie in mehr als 35 Jahren in Prag habe ich eine solche Sitzung des tschechischen Abgeordnetenhauses wie am Mittwoch erlebt. Es ging um die Kandidatur des ultrarechten Tomio Okamura (SPD) zum Parlamentspräsidenten, des „dritten Manns im Staate“. Vorgeschlagen von der künftigen Regierungskoalition unter Führung von Andrej Babiš (ANO).

Jedem außerhalb dieser Koalition war klar, dass mit Okamura der Bock zum Gärtner gemacht werden würde. Er ist der große Spalter in der tschechischen politischen Szene, rassistisch, migrationsfeindlich, fremdenfeindlich generell (seltsam genug als in Tokio geborener Tschecho-Japaner), ein Holocaust-Leugner usw. Wegen massiv fremdenfeindlicher Plakate im Wahlkampf ermittelt die Polizei gegen Okamura, den nach der Wahl sein Abgeordnetenmandat vor Strafverfolgung schützt (ähnlich wie den wohl künftigen Premier Babiš wegen Erschleichung von EU-Subventionen). 

Hayato Okamura warnte vor Wahl seines Bruders

Abgeordnete der künftigen Opposition sprachen ihm in der stundenlangen Debatte jedwede Befähigung für den wichtigen Posten ab, nannten ihn ein „Sicherheitsrisiko“ angesichts seiner Nähe zu Russland und seiner offenen Abscheu gegenüber der Ukraine und den ukrainischen Flüchtlingen in Tschechien.

Erschütternd der Auftritt seines ums sechs Jahre älteren Bruders Hayato Okamura, der christlich geprägt ist und als Christdemokrat ebenfalls dem Parlament angehört. Der schilderte das Leben der Familie Okamura, in der niemand die ultrarechte Partei seines Bruders gewählt habe. Die Mutter, die vor 14 Jahren gestorben sei, habe sich bis zuletzt große Sorgen um Tomio gemacht, der einen „moralisch labilen Charakter“ habe. Er, so der ältere Bruder, könne nur eindringlich vor seiner Wahl warnen. 

Tomio Okamura, der bisher im Parlament ein Meister der Obstruktion war und schon mal am Stück mehr als zehn Stunden geredet hat, um eine Abstimmung hinauszuzögern, trat nur ganz kurz auf und sagte zu, die Gesellschaft vereinen zu wollen – bisher taten er und seine Partei nichts als das Gegenteil.

Okamuras Koalitionspartner ducken sich weg

Der Debatte blieb er fast durchgängig fern. Er entschuldigte sich nicht für seine früheren schlimmen, auch persönlich verletzenden verbalen Auswüchse. Und er antwortete auch nicht auf ganz konkrete Fragen der oppositionellen Abgeordneten. Aus seiner eigenen Partei kamen lediglich zwei verbale Gegenangriffe, die Führung der Babiš-Truppe, die vor nicht allzu langer Zeit noch jedwede Zusammenarbeit mit Okamura ausgeschlossen hatte und nun wegen des Willens, zu regieren, umgefallen ist, versteckte sich in der Debatte und ergriff keine Partei für Okamura. Auch die dritte Koalitionspartei, die der Autofahrer, enthielt sich jeder Äußerung. Feiglinge, wohin man sah, sagten Beobachter. Vielleicht hatten sie auch ein schlechtes Gewissen, weil sie natürlich ganz genau wussten, welch „schlimmer Finger“ Okamura ist, und konnten ihn schlichtweg aus innerer Überzeugung nicht verteidigen.

Alles in allem machte die künftige Regierungstruppe den Eindruck, den Tag nur irgendwie überstehen zu wollen. Am Ende bekommt Tschechien einen hochnotpeinlichen Parlamentspräsidenten, der wiederholt mehr als deutlich gemacht hat, dass er Tschechien nicht länger in der EU und der Nato haben möchte. 

Tschechiens außenpolitisches Image gesunken

Das Ergebnis: 107 Stimmen für Okamura (die künftige Koalition verfügt über 108 Abgeordnete), 81 für seinen Gegenkandidaten. Alles wie vorher abgesprochen. Tschechien hat einen ultrarechten Parlamentspräsidenten der schlimmsten Sorte. 

Bei der AfD in Deutschland, enger Partner von Okamura, darf man den Sekt öffnen. Die Präsidentin des Deutschen Bundestages und andere europäische Parlamentspräsidenten werden sich gut überlegen müssen, ob sie Tomio Okamura irgendwann die Hand geben werden. Das außenpolitische Image Tschechiens in Europa ist von heute auf morgen erheblich gesunken!

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