Als Mitgründer der „Patrioten für Europa“ habe Ex-Premier Andrej Babiš den Sieg von ANO bei den Europawahlen völlig entwertet, meint unser Kommentator Luboš Palata. Den Regierungsparteien könnte das bei den kommenden Parlamentswahlen im nächsten Jahr helfen, gegen Babiš zu mobilisieren.

Zehn Jahre lang gab es zwei Welten. In der einen existierte die Partei ANO im Europäischen Parlament, wo sie Teil der stark pro-europäischen liberalen Fraktion Renew Europe war, in der anderen Welt gab es die Partei ANO in Tschechien und vor allem Andrej Babiš und dessen Auftreten. In diesen zehn Jahren haben sich diese beiden Welten immer weiter voneinander entfernt. Die Gesichter der Bewegung im Europäischen Parlament, zuerst der erste tschechische EU-Kommissar Pavel Telička und letztes Jahr Dita Charanzová und viele andere, trennten sich schlichtweg von ANO und von Andrej Babiš.

Nach dem Abgang von Charanzová im letzten Jahr verstärkte sich die anti-europäische Rhetorik von Babiš noch erheblich. In der Wahlkampagne von ANO bei den Europawahlen war nichts mehr liberal oder proeuropäisch. Schließlich setzte Babiš, nach dem Vorbild des ungarischen Premierministers Viktor Orbán, auch hinter die Unterstützung der Ukraine in ihrem Kampf gegen die russische Aggression ein Fragezeichen.

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Noch Ende Juni schien es, dass ANO versuchen würde, die liberale Fraktion davon zu überzeugen, dass das alles nur Wahlkampf gewesen sei und in der Fraktion bleiben würde. Doch dann befahl Andrej Babiš selbst resolut den Austritt. „Wir sind in die Wahlen gegangen, um gegen illegale Migration zu kämpfen, um den Green Deal zu ändern, der die europäische Industrie und Landwirtschaft zerstört und negative Auswirkungen auf unsere Bürger hat. Auf Grundlage der Verhandlungen kamen wir zu dem Schluss, dass Renew einfach andere Ansichten hat als die Bewegung ANO“, begründete der ANO-Chef. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als Viktor Orbáns Verhandlungen über einen Beitritt zur gemäßigt kritischen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (ECR) gescheitert waren und er ankündigte, Partner für die Gründung seiner eigenen Fraktion zu suchen.

Keine mitteleuropäische Fraktion

Schließlich trafen sich Babiš und Orbán Ende Juni zur Gründung der Fraktion namens „Patrioten für Europa“ in Wien, wo sie als Dritten im Bunde den Chef der rechtsextremen Freiheitlichen, Herbert Kickl, fanden. Dieser führt mit 27 Prozent die Umfragewerte in Österreich an, wobei die regierende Österreichische Volkspartei und die Sozialdemokraten einige Prozentpunkte hinter ihm zurückliegen. Kickl versucht, seinen Vorsprung mit immer härterer antiukrainischer, antieuropäischer und Antimigrationsrhetorik zu vergrößern und ist die extremste Figur der Dreiergruppe, die sich in Wien traf. Die Freiheitlichen sind traditionell auch stark antitschechisch.

„Heute haben wir mit Viktor Orbán und Herbert Kickl eine neue Fraktion im Europäischen Parlament gegründet, die Patrioten für Europa. Wir werden die europäische Politik so verändern, dass sie wieder den Nationen und unseren Menschen dient. Wir werden nationale Souveränität vor Föderalismus, Freiheit vor Anordnungen und Frieden vor Krieg priorisieren“, erklärte Babiš in Wien. Einige Tage schien es dann, als könnte auf dieser Basis eine Art mitteleuropäische Fraktion entstehen. Doch sowohl die Partei Smer des slowakischen Premierministers Robert Fico als auch die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit von Jarosław Kaczyński überlegten es sich anders.

„Mit seinem Orbán-Schachzug hat Babiš den Sieg der ANO bei den Europawahlen vollständig entwertet, den Regierungsparteien jedoch die Möglichkeit gegeben, ANO als antieuropäisch und als eine mit der extremen Rechten paktierende Partei zu bezeichnen.“

So begann ein großes Feilschen darüber, wie es weitergehen soll. Die Rettung brachten Marine Le Pens Nationale Sammelbewegung, die um den Sieg bei den heimischen Parlamentswahlen kämpfte, und die von ihr geführte Fraktion Identität und Demokratie (ID). Obwohl es sich um eine Fraktion handelte, die im Europäischen Parlament isoliert war, stellte sie der Babiš-Orbán-Gruppe ein Sekretariat und Parlamentsbeamte zur Verfügung. Für Marine Le Pen war die Verbindung vorteilhaft, weil sie den Namen und das Image und änderte und durch die Eingliederung von Babiš und Orbán sich weiter von der offen extremen Rechten hin zu etwas Akzeptablerem bewegte. Ein weiterer Vorteil war die Schaffung der drittgrößten Kraft im Europäischen Parlament.

Mit den Patrioten in die Isolation

Doch damit war es auch schon zu Ende. Um die Patrioten herum errichtete die neue europäische „Regierungs“-Mehrheit, die Mitte Juli Ursula von der Leyen für weitere fünf Jahre im Amt bestätigte, eine Brandmauer. Und ließ ihre Europaabgeordneten schlichtweg in keine Ämter. Die Patrioten bekamen nicht einmal einen der 14 Vizepräsidentenplätze im Parlament und sind auch nicht in der Führung eines einzigen Ausschusses vertreten. Mit seinem Orbán-Schachzug hat Babiš den Sieg der ANO bei den Europawahlen vollständig entwertet, den Regierungsparteien jedoch die Möglichkeit gegeben, ANO als antieuropäisch und als eine mit der extremen Rechten paktierende Partei zu bezeichnen. Dies könnte eine beträchtliche Rolle bei den tschechischen Wahlen im nächsten Jahr spielen, bei denen es möglich sein wird, proeuropäische Wähler gegen Babiš zu mobilisieren. Man kann nur hoffen, dass zu diesem Zeitpunkt noch die Mehrheit der Tschechen proeuropäisch eingestellt sein wird.

Der Autor ist Europa-Redakteur der Tageszeitung Deník

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