Saftig grüne Hügel prägen die Landschaft, Blütenduft liegt in der Luft. Im Hintergrund hört man die Kirchturmglocke schlagen. Schafe am Ortseingang mustern einen jeden Besucher zunächst misstrauisch, bevor sie ihn mit einem Blöken passieren lassen. Die Dorfbewohner verlassen in Trachten die Kirche. Willkommen im rumänischen Eibenthal.
Ja, Sie haben richtig gelesen! Dem Namen nach zu urteilen könnte dieses Dörfchen auch in Deutschland liegen. Das tut es aber nicht und es wohnen auch keine Deutschen dort, sondern Tschechen. Um den Zusammenhang zwischen dem deutschen Namen eines tschechischen Dorfes und dessen Lage im Südwesten Rumäniens zu verstehen, hilft ein Blick in die Vergangenheit.
Wir versetzen uns also ins 18. Jahrhundert zurück. Nach dem Ende der Türkenkriege siedelte die österreichische Krone vorwiegend katholische und damit meist deutsche Siedler zu den im Banat lebenden Serben an. Dabei handelte es sich um Franken, Pfälzer, Elsässer und viele mehr, die auch als Donauschwaben bezeichnet werden. Es kamen jedoch auch Menschen aus anderen Teilen der Donaumonarchie in den rumänischen Teil des Banats, darunter einige – vorwiegend aus Böhmen stammende – Tschechen. Die ersten tschechischen Siedler zogen wegen der Holzwirtschaft in diese Gegend. Darauf weist auch der deutsche Name schon hin, denn einst war die Landschaft um das Dörfchen Eibenthal von Eiben geprägt.
Eine weitere Besiedlungswelle in den Jahren 1826/27 war dann militärisch organisiert, um die Grenzregion vor gegnerischen Angriffen zu schützen. Dass der Ortsname ausgerechnet Deutsch ist, hängt wohl lediglich mit dem Deutschen als einer der Amtssprachen der Donaumonarchie zusammen. Nebenher haben die sechs tschechischen Siedlungen nämlich meist auch noch eine rumänische, ungarische und selbstverständlich eine tschechische Bezeichnung. Im Fall von Eibenthal wären das „Tiszafa“ (ungarisch) und „Tisové Údolí“ (tschechisch), der rumänische Name gleicht dem deutschen.
Meine Reise nach Eibenthal vor zwei Jahren ähnelte einer Zeitreise in die romantisierte Vergangenheit. Noch rund 200 Jahre nach der Besiedlung konnte ich dort nämlich eine ganz andere Welt erleben. Eine Welt, in der die Uhren scheinbar noch langsamer ticken und das schnelle Alltagsleben einer tiefen inneren Entspannung und Zufriedenheit weicht. Eiben gibt es zwar heutzutage nicht mehr besonders viele, gekocht wird aber noch immer über dem Feuer und der Käse wird von Hand gemacht. Eine Polizeistation im Dorf gibt es nicht, weil die schlichtweg nicht nötig ist und jeder sich mit jedem versteht. Bei meinem Besuch haben wir (50 Personen) auf einem Bauernhof geschlafen, einige von uns in Zelten, andere auf dem Heuboden. Morgens wurden wir wahlweise von dem Gegacker der Hühner oder der dem Ruf der Hofkuh geweckt. Vielleicht waren es genau diese Einfachheit und Naturverbundenheit des dortigen Lebens, die mich so begeistert haben.
Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – haben die Dörfer heutzutage mit Bevölkerungsschwund zu kämpfen. Immer mehr junge Leute ziehen in die Tschechische Republik oder zumindest in „den Westen“. Die besseren Lebensverhältnisse sind es, die sie dorthin locken. Gerade in den abgeschiedenen, kleineren Siedlungen gibt es häufig kein Wasser aus der Leitung, es mangelt an Medikamenten und die Entfernung von 30 Kilometern zum nächsten Dorf wirkt ebenfalls abschreckend. Somit bleibt besonders der ältere Teil der Bevölkerung zurück.
Die Abgeschiedenheit der tschechischen Dörfer wirkt sich auch auf die dortige Sprache aus: Verglichen mit dem modernen Tschechisch weist das Banater Tschechisch zwar einen weniger umfassenden Wortschatz, dafür aber noch viele Archaismen auf und liegt somit in einer noch sehr ursprünglichen Form vor. Mit dem Tschechischen wachsen die Kinder dort übrigens meist als Muttersprache auf. Es wird auch in den Dorfschulen, die jeweils von etwa zehn bis dreißig Kindern besucht werden, unterrichtet.
Diese Zahl mag gering erscheinen, doch es leben auch nur rund 300 Menschen in Eibenthal. Einmal im Jahr platzt das Dörfchen dann aber aus allen Nähten, wenn im Sommer ein tschechisches Musikfestival stattfindet. Unter Kennern gilt es als das beste tschechische Festival überhaupt. Dann fährt ein Sonderzug von Prag über Brünn (Brno) – selbstverständlich mit viel Bier an Bord – bis ins rumänische Orschowa (Orșova), nur 40 Kilometer entfernt von Eibenthal. In diesen Tagen stürmen die rund 1100 tschechischen Touristen den Ort.
Obwohl der Tourismus als Einnahmequelle gilt und daher gern gesehen ist, gibt es manchmal Beschwerden seitens der Anwohner über das Benehmen der tschechischen Besucher. Traditionell spielt der Glaube in der Gegend eine sehr wichtige Rolle, weshalb mitunter schon die unangemessene Bekleidung Aufsehen erregt. Damit sich der Festivaltourismus ab sofort ein bisschen nachhaltiger für die ansässige Bevölkerung wie auch für die Festivalbesucher selbst gestaltet, gibt es für dieses Jahr einen alternativen Plan. Der sieht vor, dass die tschechischen Besucher auch schon vor dem eigentlichen Festival anreisen können, um das ursprüngliche Banat, seine Bewohner und seine Kultur kennenzulernen – eine gute Idee, wie ich finde.
Es sei jedem nur empfohlen, diese wunderschöne und geschichtsträchtige Gegend einmal zu besuchen. Wen die kleinen und einfachen Dinge des Lebens begeistern, wer angesichts der Gastfreundlichkeit von Einheimischen förmlich aufblüht, wer eine nahezu unberührte Natur entdecken möchte, der ist dort wahrscheinlich sehr gut aufgehoben.
Pa, sziasztok, bis bald und ahoj.
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