Landesblogger Fabian nimmt euch mit auf einen Spaziergang durch seinen Kiez in Smíchov – ein Stadtteil in Prag, für den viele Einheimische nicht die freundlichsten Worte finden. Doch zwischen Industriecharme, grünen Hügeln und quirligem Treiben hat Smichow (Smíchov) seine ganz eigenen Schätze.

Es ist ein herrlicher Sonntagnachmittag in Prag, 27 Grad und wolkenfreier Himmel. Schon beim Verlassen meiner Wohnung treffen mich warme Sonnenstrahlen durch die Fenster des Treppenhauses. Natürlich habe ich nicht an meine Sonnenbrille gedacht, weswegen mein vergessliches Ich noch einmal zurückeilen muss, um die Brille in den Untiefen meines Schrankes zu suchen. Nur gefühlte hundert Meter weiter, einmal um die Ecke, ist mein Lieblingscafé Triko zu finden. Für den bevorstehenden Spaziergang können ein Eiskaffee und ein bisschen Koffein im Blut wahrscheinlich nicht schaden. Während ich das Kaltgetränk auf einer alten Schulbank vor dem Café schlürfe, fange ich so langsam an, meine Route für den heutigen Tag zu planen. Als im Glas nur noch halbgeschmolzene Eiswürfel so vor sich hin schwimmen, breche ich auf.

Im Café Triko trinkt man Kaffee auf alten Schulbänken. Foto: Fabian Voth

Die Grünen Hügel Smíchovs

Der Weg führt bergauf, vorbei an einer Eishalle, die ihre besten Tage hinter sich hat. Oben angekommen, erreiche ich den Eingang des Parks Mrázovka, der sich auf mehreren Ebenen den Hang hinaufzieht. Am oberen Rand beginnt ein Villenviertel, in dem unter anderem auch der Sänger Karel Gott bis zu seinem Tod lebte. Ganz in der Nähe steht die Villa Bertramka, in der kein geringer als Wolfgang Amadeus Mozart 1787 und 1791 wohnte, als er in Prag die Uraufführungen seiner Werke „Don Giovanni“ und „La clemenza di Tito“ leitete. Heutzutage ist die Villa Bertramka ein Museum zum Gedenken an den Ausnahmekomponisten.

Vom Gipfel des Berges sehe ich bereits den nächsten grünen Hügel, der mir auch nicht sonderlich weit weg erscheint. Ein Abstieg, drei Straßenkreuzungen und eine steile Treppe später stehe ich im Sacré-Coeur-Park, benannt nach dem gleichnamigen Kloster nebenan. Von einer Bank aus lasse ich meinen Blick über Prag schweifen: das goldene Dach des Nationaltheaters, der markante Fernsehturm, die Kirche der Hl. Ludmila am Friedensplatz (Náměstí Míru) oder die Festung Vyšehrad sind von meiner kleinen bescheidenen Bank aus zu sehen.

Andel ist der Verkehrsknotenpunkt von Smichow. Foto: Fabian Voth

Im Herzen von Anděl

Eine Fußgängerbrücke bringt mich direkt vom Sacré-Coeur-Park aus zum Einkaufszentrum Nový Smíchov. Dort gönne ich mir ein Eis und lasse mich danach ins Herz von Anděl treiben. Hier trifft die gelbe Metro-Linie B auf ein Gewirr von Straßenbahnen. Es ist laut, chaotisch und wuselig. Seinen Namen „Engel“ verdankt Anděl einer einst berühmten Kneipe, die nach einem Fresko mit goldenem Engel benannt war. Heute steht hier ein Bürohaus des französischen Architekten Jean Nouvel – ebenfalls „Goldener Engel“ genannt – das den Platz modern prägt. Gleich daneben die alte Smichow-Synagoge, die seit 1998 ein Museum beherbergt.

Ich lasse den Trubel hinter mir und gehe Richtung Moldau. An der Palacký-Brücke angekommen, schlendere ich gemütlich über die Smichower Uferpromenade (Smíchovská náplavka). Hier reihen sich Cafés und Bars mit eigenen Bootsterrassen aneinander. Von der Promenade hat man einen perfekten Blick auf vorbeischippernde Boote, Vyšehrad und die alte Eisenbahnbrücke.

Die Smichower Uferpromenade bietet einen perfekten Blick auf den Vyšehrad-Hügel. Foto: Fabian Voth

Industrieller Charme an der Moldau

Nicht weit vom Wasser entfernt, liegt die größte Brauerei Prags: Staropramen. Sie ist einer der letzten Zeugen der Industrieblüte Smichows. Im 19. Jahrhundert siedelte sich vermehrt Industrie an, was Smichow zu einem der ikonischen Arbeiter- und Industrieviertel Prags machte. Mittlerweile mussten diese größtenteils für Büro- und Einkaufszentren weichen. Als ich die Straßen durchquere, um langsam wieder Richtung Anděl zu kommen, fällt mir erst auf, wie riesig die Staropramen-Brauerei ist. Das Areal erstreckt sich vom Ufer bis zum Busterminal Anděl, wo ich auf ein Schild stoße, das für Führungen in der Brauerei wirbt. Das Busterminal ist zugegebenermaßen nicht da schönste. Es ist rau und wirkt vor allem nachts ein wenig schummrig. Da ist es fast umso kurioser, dass sich direkt nebenan einer der hippsten Streetfood-Märkte in Prag, das „Manifesto“ angesiedelt hat. Hier gibt es kulinarische Spezialitäten aus aller Welt, die man am Wochenende mit live aufgelegter House Musik genießen kann. Auf der anderen Seite des Busterminals, auf dem ehemaligen Güterbahnhof, wird derzeit das Projekt „Smíchov City“ realisiert, welches mit einer Gesamtfläche von knapp 20 Hektar die größte Urbanisierung im Zentrum der Stadt seit der Gründung von Vinohrady ist.

Seit über einem Jahrhundert braut Staropramen sein Bier in Smichow. Foto: Fabian Voth 

Kulturzentrum Smichow

Auf dem Heimweg führt es mich an meinem absoluten Geheimtipp vorbei: dem Kulturzentrum Smichow (Komunitní prostor Smíchov). Untergebracht in einer evangelischen Kirche, ist es ein Treffpunkt für Familien, Studierende und Senioren. Das Programm reicht von Kultur- und Bildungsangeboten bis zu Nachbarschaftstreffen. Unter der Woche verwandelt sich der Ort in ein kleines Café, in dem man entspannt ein Feierabendbier oder einen Cappuccino trinken kann. Die familiäre Atmosphäre und das entspannte Ambiente lassen mich immer wieder gerne vorbeischauen. Insbesondere der Innenhof vor der Kirche lädt zum Verweilen ein, vor allem in lauen Sommernächten. 

Smichow ist für mich ein besonderer Kiez. Natürlich spricht aus mir die voreingenommene Sicht, weil ich hier wohne. Trotzdem denke ich, dass Smichow all jenes vereint, was ein Viertel lebendig macht. Eine freundliche Nachbarschaft, schöne Cafés, grüne Ecken zum Entspannen und eine raue, ehrliche Seite, die auf mich durchaus sympathisch wirkt und sich von den blank polierten Ecken Prags abhebt.

Unter der Woche betreibt das Kulturzentrum Smichow ein kleines Café mit Außenbereich. Foto: Fabian Voth

Liebe Leserinnen und Leser, mein Name ist Fabian und ich freue mich sehr, diesen Sommer ein dreimonatiges Praktikum beim LandesEcho zu absolvieren. Ich komme aus Berlin und habe dort an der Freien Universität Politikwissenschaften studiert. Zwischen Seminaren und Vorlesungen habe ich für die institutseigene OSI-Zeitung geschrieben und dabei Freude am journalistischen Arbeiten entdeckt. Von dem Praktikum beim LandesEcho erhoffe ich mir spannende Einblicke in den Redaktionsalltag, einen näheren Blick auf das Leben der deutschen Minderheit in Tschechien und die Möglichkeit, mein Interesse für politische und kulturelle Themen einzubringen. Neben meiner großen Leidenschaft für Hertha BSC gehe ich gerne in Museen oder stürze mich ins Berliner Nachtleben. Als Großstadtkind freue ich mich besonders auf neue Eindrücke in Prag – und darauf, Sie in den kommenden Wochen daran teilhaben zu lassen.

das könnte sie auch interessieren

Spaziergang durch Prags schönsten Stadtteil: Vinohrady

Prag ist eine Stadt voller Geschichte, Kultur und atemberaubender Architektur. Doch wenn man abseits von Touristenmassen in der Altstadt schlendert, entdeckt man Vinohrady. Einen Stadtteil, der mit seinem Charme, seinen grünen Parks und seinen stilvollen Jugendstilbauten begeistert. An einem sonnigen Herbsttag macht sich unser LandesBlogger Tim auf den Weg, um dieses Viertel zu erkunden.

Mehr…

Werden Sie noch heute LandesECHO-Leser.

Mit einem Abo des LandesECHO sind Sie immer auf dem Laufenden, was sich in den deutsch-tschechischen Beziehungen tut - in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft oder Kultur. Sie unterstützen eine unabhängige, nichtkommerzielle und meinungsfreudige Zeitschrift. Außerdem erfahren Sie mehr über die deutsche Minderheit, ihre Geschichte und ihr Leben in der Tschechischen Republik. Für weitere Informationen klicken Sie hier.