Ariane Afsari (l.) vom Deutschen Kulturforum östliches Europa führt durch die geschichtsträchtige Stadt Gleiwitz (Gliwice, Oberschlesien). / Foto: Peggy Lohse

Deutsche, tschechische und polnische Vereine denken Historienprojekte neu.

„Noch vor ein paar Jahren habe ich selbst fast nichts über meine Stadt gewusst. Erst als ich das Album eines Soldaten in alten Sachen fand, begann ich, mich mit der Geschichte – auch der deutschen! – unserer Stadt Leschnitz zu beschäftigen.“ Nun will Bertold Malik vom Verein kultureller Bildungsinitiativen im polnischen Legnica das Wissen, das er sich seitdem selbst erworben hat, weitergeben. „Was wissen die jungen Leute schon von den Orten, Straßen und Häusern um sie herum? Das möchte ich von ihnen wissen und ihnen dann erzählen, was ich noch alles über die Geschichte unserer Stadt herausgefunden habe.“ Malik plant gerade einen Stadtspaziergang auf deutschen Spuren durch Leschnitz. Aber wie nur Jugendliche für alte Kamellen interessieren? 

Da kam ihm der ifa-Workshop „Lokale Geschichtsvermittlung“ im polnischen Gleiwitz (Gliwice) gerade recht. Mit 15 weiteren Organisationen von den Masuren über Nieder- und Oberschlesien bis hin zur Prager Landesversammlung konnte sich Malik an jenem Wochenende Mitte März darüber austauschen, wie zeitgemäße, ansprechende Geschichtsprojekte aussehen können. Dabei war Malik mit seiner Spaziergangsidee nicht allein. „Bis heute wusste ich gar nicht, wo der Unterschied zwischen einem Spaziergang und einer Rallye ist“, lacht Zuzana Schreiberová vom Multikulturellen Zentrum Prag. Sie führt schon seit Längerem thematische Stadtrundgänge mithilfe interaktiver Karten, Tablets und Smartphones durch. Vielleicht würde in der tschechischen Hauptstadt auch eine Schüler-Rallye zur deutschen Geschichte der Stadt gut funktionieren? Schreiberová nimmt nicht nur diese neue Idee mit.

Insgesamt vier verschiedene Stadtspaziergangsprojekte sind in Gleiwitz dabei. Aber keines gleicht dem anderen aufs Haar. Und so profitieren Laien wie Profis, Anfänger wie Erfahrene vom Input der Kollegen sowie der Expertise der Workshopleiterinnen Magdalena Lapshin und Marta Gawinek-Dagargulia. 

Wie können sie lokale Geschichte neu und vor allem gut vermitteln, wie dabei neue Technologien und Formate nutzen? Im Mittelpunkt des Workshops stehen konkrete Methoden: bereits populäre wie eben Stadtrallyes, Zeitzeugengespräche (Oral history) oder Ausstellungen sowie neue Trends wie interaktive Installationen im öffentlichen Raum, mobile Museen und interaktive Apps. Neben dem obligatorischen Netzwerken zwischen den Organisationen, die sich bisher oft noch geografisch näher sind als in der alltäglichen Arbeit, stand das kritische Reflektieren eigener Projektkonzepte im Mittelpunkt des Seminars. 

Workshopleiterinnen Magdalena Lapshin und Marta Gawinek-Dagargulia (oben, v.l.n.r.) und ifa-Kulturmanagerinnen Anna Kusa und Daria Leduck (unten v.l.n.r.)  / Fotos: Peggy Lohse

Schnell stellte sich dabei die zentrale Frage: Wann ist uns ein Projekt gelungen, welche Faktoren zeigen uns den Erfolg an? In kleinen Gruppen wird diese wie viele weitere Fragen besprochen. Denn: „Die Lösung liegt schon in uns!“, ist Gawinek-Dagargulia überzeugt. Mit viel Energie spornt sie die Grüppchen zum Überlegen an und heraus kommen letztlich wirklich für die Analyse praktikable Faktoren: Netzwerke, Nachhaltigkeit, Flexibilität, Niedrigschwelligkeit, Partizipation, Wissensvermittlung, Multiperspektivität, Unterhaltung, Interdisziplinarität, Innovation. Anhand dieser kann noch in der Planungsphase eines Projektes im Voraus sichergestellt werden, dass das vorgenommene Ziel erreicht und nicht überraschend verfehlt wird. Am Beispiel konkreter Projekte der teilnehmenden Organisationen wird die Fragestellung „Wie?“ bis in die kleinsten Details auseinandergenommen. 

Zumal die Grenzen zwischen Hobby- und Profi-Historikern in diesem Bereich immer weiter aufgebrochen werden. Lokale Geschichte vermitteln oft Menschen, die selbst weder Geschichte noch Pädagogik studiert haben. Darauf weist auch Magdalena Lapshin in ihrem Vortrag zu ausgewählten Trends in der lokalen Geschichtsvermittlung hin. Von sogenannten „Graswurzelarchiven“ bis hin zu „Offenen Galerien“ realisieren oft engagierte Amateure solche Projekte. So spiegelt es auch die Teilnehmergruppe wieder, in der sich keine Hand voll studierte Historiker finden. Das Thema Professionalisierung der eigenen Arbeit zeigte sich darum für viele als weitaus wichtiger als die theoretische Organisationsentwicklung. 

Malik und sein Leschnitzer Stadtspaziergang befinden sich noch in der Planung. Mit dem Workshop ist Malik zufrieden: Er hat zahlreiche Ideen bekommen und viel aus dem Erfahrungsschatz der Kollegen gehört. Vielleicht macht er doch eine Stadtrallye mit Wettbewerbscharakter? Oder nutzt neue Technologien für das Projekt? Oder… oder… oder…

Im Nachgang zu dem zweitägigen Workshop ist außerdem ein gemeinsames ifa-Methodenhandbuch der teilnehmenden Organisationen geplant, welches als nützliche Ideen- und Inspirationsquelle sowie zur Erfahrungsweitergabe untereinander und an Branchenkollegen dienen soll. Außerdem bekommen mit dem geplanten Heft auch deutsche Institutionen die Gelegenheit, sich über die Aktivitäten der Vereine der Deutschen Minderheit in Mittelosteuropa zu informieren und gegebenenfalls zusammenzuarbeiten.


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