Das Programm „Ein Jahr an der Grenze“ vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds verfolgt den Zweck, Akteure im deutsch-tschechischen Grenzgebiet miteinander zu vernetzen. Bis zum 28. Februar können sich engagierte Menschen wieder für das Programm bewerben. Nele Steiling ist seit knapp einem Jahr in der Region Aussig tätig und gibt einen Einblick in ihre Arbeit.
LE: Wie würdest Du das Zusammenleben in der deutsch-tschechischen Grenzregion beschreiben?
Es ist einfach, sich in eine Blase zu begeben und sich mit Menschen zu umgeben, die sowieso Interesse aneinander haben. Das verzerrt das Bild: In der Realität sind die wenigsten Menschen im deutsch-tschechischen Kosmos aktiv. Das möchte ich ändern.
LE: Wo setzt das Programm „Ein Jahr an der Grenze“ an?
Das Programm richtet sich an Leute, die im Grenzgebiet, so 40 bis 50 Kilometer beiderseits der Grenze leben und ein Netzwerk haben. Und an die Organisationen und Vereine und Menschen, die noch nicht in der deutsch-tschechischen Bubble drin sind, die noch nicht vernetzt sind.
Nele Steiling, Jahrgang 1998, kommt aus dem Münsterland in Nordrhein-Westfalen. Für ein Freiwilliges Soziales Jahr ging es für die Studentin nach Tschechien, zur Gedenkstätte Theresienstadt. Nach einer Beschäftigung am Kulturzentrum Řehlovice bei Aussig ( Ústí nad Labem) verschlug es Nele Steiling nach Prag. Neben Ihrer Tätigkeit bei „Ein Jahr an der Grenze“ studiert sie im Masterstudiengang Philosophie.
LE: Und wie gehst Du auf die einzelnen Akteure zu?
Ganz viel läuft über Leute, zu denen ich schon Kontakt hatte, die aber noch nicht aktiv waren. Zum Beispiel kenne ich gerade in Ústí nad Labem mehrere Künstlerinnen und Künstler, die einfach nur Bilder malen. Und mit denen gibt es jetzt den Plan, ein Malwochenende zu machen, mit einem deutschen Lektoren oder mit einer Person aus Deutschland, die zum Beispiel eine bestimmte Maltechnik vorstellt. Mit der Idee hatten sie sich vorher noch nie beschäftigt und sie fänden das spannend, sich mit anderen Menschen aus Deutschland zusammenzutun. Ich habe das Privileg, dass ich vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds bezahlt werde. Sie hätten vielleicht sonst gar nicht die Zeit dafür, einen Partner zu finden.
LE: Nimm uns doch mal tiefer mit in die Aussiger Region, wo du hauptsächlich aktiv bist. Mit welchen Akteuren hast du dort zu tun?
Ich habe jetzt schon ein paar Monate Kontakt zu den Bibliotheken in Pirna und in Děčín und versuche, mit denen eine längerfristige Partnerschaft anzustreben. Ich war schon bei Treffen dabei und habe vor allem gedolmetscht. Das Ziel ist, gemeinsame Lesungen zu veranstalten und sich bei den deutsch-tschechischen Kulturtagen zu engagieren. Langfristig geht es auch darum, Projektgelder zu beantragen. Dann gibt es Institutionen, wie die Heymannbaude in Gohrisch, gegenüber von Bad Schandau. Das ist so ein kleines Kulturzentrum. Die machen ganz viel mit Tanz und lokaler Kultur und sind sehr aktiv. Und ansonsten versuche ich zum Beispiel mit Pfadfindern, Chören und Familienzentren zu arbeiten.
LE: Das sind jetzt alles erfolgreiche Beispiele für deutsch-tschechische Zusammenarbeit. Du sagtest aber, dass es nicht ganz selbstverständlich ist, wenn Projekte so gut laufen, weil man sich am Ende doch sehr in einer deutsch-tschechischen Kultur-Bubble bewegt. Die Menschen außerhalb dieser Blase schienen weniger interessiert an grenzübergreifenden Projekten. Wie hoch sollte die Frustrationstoleranz sein, wenn man sich bis zum 28. Februar als Programmmanager bei „Ein Jahr an der Grenze“ bewerben will?
Hoch. Ganz oft habe ich eine Gruppe von Leuten oder einen kleinen Verein, die richtig Lust haben, etwas auf die Beine zu stellen. Und dann gibt es auf der anderen Seite keinen Partner. Oder es ist einfach kein Interesse da. Ich habe sehr viel mehr mit Menschen in Tschechien zu tun als mit Menschen in Deutschland. Häufig scheitert es auch nicht am Interesse, sondern an der Zeit. Da sagen die Deutschen: ‚In zwei Monaten? Das geht gar nicht. Wir haben unseren Jahresurlaub schon geplant.’ Da sind einfach Unterschiede zwischen Deutschen und Tschechen zu spüren – auch in finanzieller und zeitlicher Hinsicht. Im letzten Frühjahr war es sehr viel einfacher, mit Leuten ins Gespräch zu kommen als jetzt. Gerade in Deutschland haben die Leute aktuell ganz andere Probleme – vor allem in den Dörfern. Da sagen die Leute, wir haben theoretisch ganz viel Interesse, aber wir haben weder das Geld noch die Zeit noch das Personal, um irgendein Projekt zu starten. Also muss man eine extrem hohe Frustrationstoleranz und ganz viel Zeit mitbringen. Und dann hoffen, dass sich die Leute in ein paar Monaten wieder melden oder man muss nochmal nachhaken.
LE: Nationale Grenzen stehen in Europa wieder viel stärker im Fokus als noch vor einem Jahr. Inwiefern haben die Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Tschechien Einfluss auf Deine Projektarbeit?
Ich glaube tatsächlich, dass das so akut bei ganz vielen noch gar nicht angekommen ist. Ich glaube, dass das eher über längere Zeit etwas mit den Leuten machen wird. Grenzkontrollen hatten wir ja während Corona schon. Aktuell werden die Grenzkontrollen einfach als Ärgernis wahrgenommen: Eine Bekannte von mir hat letztens ihr Konzert in Dresden verpasst, weil sie auf der Autobahn wegen der Grenzkontrollen im Stau stand. Aber ich habe Angst davor, was das über die Jahre mit den Menschen macht.
LE: Warum ist das Programm „Ein Jahr an der Grenze“ deiner Meinung nach gerade jetzt so wichtig?
Das klingt ein bisschen abgedroschen, aber wir leben gerade in einer Zeit, in der die Extreme immer weiter auseinander gehen. In einer Zeit, in der viel Unverständnis untereinander herrscht. Was es meiner Meinung braucht, ist eine Zusammenarbeit – über nationale Grenzen, aber auch über alle sozialen Schichten und Interessengebiete hinweg. Gerade im deutsch-tschechischen Kontext bekommt man zum Beispiel viele Menschen über das Interesse an Sprache zusammen. Alleine auf der tschechischen Seite gibt es in Ústí nad Labem, in Děčín oder in Litomeřice Deutsch-Stammtische, wo ganz viele Leute hinkommen, weil sie einfach deutsch reden wollen. Das ist eine bunte Mischung an Leuten, die sich aus Versehen zu dem Stammtisch verirren, weil sie gerade in dem Café sitzen, in dem der Stammtisch stattfindet, aus Rentnern, die ihr Deutsch aufbessern, und aus Deutschen, die an dem Ort wohnen und einfach Tschechen treffen wollen. Von diesen lustigen, coolen, durchmischten Versammlungen braucht es meiner Meinung nach mehr. Deshalb ist grenzüberschreitende Zusammenarbeit so wichtig. Das Programm „Ein Jahr an der Grenze“ hilft, Brücken zwischen den Menschen zu schlagen.
LE: Wem würdest Du die Teilnahme an dem Programm „Ein Jahr an der Grenze“ empfehlen? Und sollte man Tschechisch sprechen können?
Grundlegende Tschechischkenntnisse sind extrem wichtig. Mein Tschechisch ist nicht perfekt, aber es reicht, um sich zu verständigen. Wenn man sich mit Leuten trifft, kann man ja nicht erwarten, dass jeder Englisch spricht. Es ist lediglich in der Hälfte der Fälle so, dass eine Person die jeweils andere Sprache beherrscht. Wenn du da nicht das sprachliche Bindeglied sein kannst, wird es schwer. Ansonsten brauchst du, abgesehen von den Sprachkenntnissen, ganz viel Elan und – wie angesprochen – eine hohe Frustrationstoleranz. Und ganz viel Enthusiasmus, du darfst nicht aufgeben und musst dich selbst motivieren können. Zudem ist es extrem von Vorteil, die deutsch-tschechische Grenzregion und vielleicht schon ein paar Menschen zu kennen. Am besten Menschen, die selbst in Vereinsstrukturen aktiv sind. Dass man schon einmal ein paar Ansatzpunkte hat, wenn man anfängt. Aber Motivation ist einfach das Wichtigste.
Das Gespräch führten Lennard Halfmann und Hannah Meurer
Auch für 2025/26 sucht der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds „engagierte und kreative Menschen aus der deutsch-tschechischen Grenzregion, die sich aktiv an der Förderung grenzüberschreitender Projekte beteiligen möchten“. Bewerbungsfrist ist der 28. Februar. Mehr Informationen zum Programm und zur Bewerbung hier: https://www.zukunftsfonds.cz/ein-jahr-an-der-grenze-geht-in-die-nachste-runde-melden-sie-sich-jetzt-an/