Jeden Samstag zeigen wir Ihnen Artikel aus unserem Archiv, die unsere Leserinnen und Leser besonders spannend fanden. Es folgt der zweite Teil: Helena Faberová aus Budweis setzt sich seit vier Jahrzehnten für die Verständigung von Tschechen und Deutschen ein.
Alles begann klammheimlich. In den späten 1970er-Jahre lernte Helena Faberová eine Frau kennen, von der sie nur eines wusste: Dass sie aus München war. Bei dieser Frau handelte es sich um Maria Weiß. Etwa zwei Mal im Jahr fuhr sie mit dem Auto nach Tschechien. Auf ihrer Fahrt über den Eisernen Vorhang hinweg nahm sie Vitamine, Medikamente, Kleidung und Literatur für Kinder und Erwachsene mit. Faberová muss das genau wissen. Als Ökonomin im katholischen Bistum Budweis koordinierte sie nämlich die Verteilung der Hilfsgüter. Sie sorgte dafür, dass die Gaben ihre Empfänger erreichten. Warum aber die Geheimniskrämerei? Faberová sagt, dass in der sozialistischen Tschechoslowakei die Devise galt: „Nicht genau nachfragen!“ Zu groß war die Angst, dass die Geheimpolizei von der katholischen Aktivität im Verborgenen Wind bekam.
Nach der Samtenen Revolution von 1989 offenbarte sich Maria Weiß. Sie kam auf Helena Faberová zu und fragte: „Willst Du unser Mitglied werden?“ Mit „uns“ meinte sie die Ackermann-Gemeinde. Das ist ein Verband sudetendeutscher Katholiken, der schon zu kommunistischen Zeiten die Kirche im heutigen Tschechien unterstützte. Zusammen mit dem Generalsekretär Franz Olbert prägte Weiß die „Osthilfe“ der Ackermann-Gemeinde. Sie war in der grenzüberschreitenden Tätigkeit eine Pionierin. Sie pflegte auch die menschlichen Kontakte. Zusammen mit tschechischen Katholiken nahm sie an Wallfahrten ins südböhmische Gojau teil. Was entgegnete Faberová dem Angebot der Frau, die über die Jahre hinweg zu ihrer Freundin wurde? Sie sagte zu. Ihre Bedingung war aber, dass sie sich erst im Ruhestand für die Ackermann-Gemeinde engagieren werde. Denn sie hatte noch einiges vor. Faberová leitete nach der politischen Wende die Caritas in Budweis. Bis zu ihrer Pension wollte sie dieser Aufgabe all ihre Kräfte widmen.
„Geburtshelferin“ der Sdružení Ackermann-Gemeinde
Als das Werk in Budweis vollendet war, erhielt die engagierte Katholikin eine Einladung ins Prager Emmauskloster. An dem Treffen ging es um die Frage, wie die Ackermann-Gemeinde dauerhaft in Tschechien verankert werden kann. Helena Faberová erschien durch ihre Erfahrung bei der Caritas für Führungsrolle prädestiniert. Und wurde am 6. Februar 1999 zur ersten Vorsitzenden der Sdružení Ackermann-Gemeinde gewählt. Diese Bürgervereinigung, die in diesem Frühjahr ihren 20. Geburtstag feiert, sollte die tschechische Schwester der Ackermann-Gemeinde sein. Sie bietet den auf tschechischem Gebiet lebenden Mitstreitern eine Heimat. Denn mit ihrem Einsatz für eine Versöhnung von Tschechen und Deutschen gewann die Ackermann-Gemeinde auch in Tschechien Anhänger. Zusammen mit tschechischen Partnern etablierte sie nach der Samtenen Revolution die jährlichen Dialogforen in Iglau und Marienbad. In einer Zeit, in der die Beneš-Dekrete für Polemik sorgten und die Deutsch-Tschechische Erklärung von 1997 eine ferne Utopie war, eröffneten sie einen wertvollen Gesprächskanal.
Helena Faberová lagen die oft hitzig geführten Debatten um Geschichtsdeutungen immer fern. Sie, die der Philosoph Jan Sokol als „Geburtshelferin“ der Sdružení Ackermann-Gemeinde bezeichnete, verfolgte einen anderen Ansatz. „Die menschlichen Beziehungen stärken“ – das bezeichnet Faberová als ihr Motto. Zusammen mit ihren Kollegen organisierte sie zahlreiche Ausflüge und Wallfahrten. Und auch die Gründung der Jugendorganisation Spirála ging auf ihre Initiative zurück. Es zeigt sich, dass Faberová eine Verfechterin der praktischen Versöhnung ist. Sie sagt : „Deklarationen und persönliche Verarbeitung, das sind zwei verschiedene Dinge.“ Und sie macht auch Unterschiede zur Ackermann-Gemeinde in Deutschland deutlich. Sie erklärt, dass die Sdružení Ackermann-Gemeinde stärker ökumenisch orientiert ist. Dies lässt sich mit unterschiedlichen Voraussetzungen erklären: Die Ackermann-Gemeinde war und ist vor allem im katholischen Süddeutschland stark. Dort ließen sich die meisten der vertriebenen Deutschen nieder. Hingegen im mehrheitlich konfessionslosen Tschechien ist die Situation anders. Und es erscheint noch sinnvoller als ohnehin, wenn die Gläubigen die Schismen der Kirchengeschichte überwinden.
Für einen weltoffenen Glauben
Das Inklusive entspricht auch den tiefsten Überzeugungen Helena Faberovás. Sie steht für einen weltoffenen Glauben ein. „Ich bin lieber in der Ökumene als in meiner eigenen Pfarrei“, bringt sie ihre Haltung auf den Punkt. Über ihre Zeit als „Bücherschmugglerin“ in Budweis erzählt sie stolz: „Es waren nicht nur Werke über Heilige und Katechismus, sondern auch aktuelle Romane dabei.“ Zugleich ist Faberová mit aktuellen Entwicklungen in der Kirche nicht immer einverstanden. Sie sagt, die Menschen seien vor 1989 zu größeren Opfern bereit und der christliche Glaube tiefergehender gewesen. Als für sie wichtige christliche Werte nennt sie Versöhnung, gegenseitige Hilfe und die Pflege menschlicher Beziehungen. Papst Franziskus bezeichnet Faberová als einen „guten, menschlichen Papst“. Sehr Mühe hat sie aber mit manchen Strömungen im Katholizismus, die sich gegen andere Religionen positionieren. Sie sagt, Fanatismus gebe es bei Muslimen und auch bei Christen.
Wie kam es aber dazu, dass sich die heute 83-Jährige ihr halbes Leben lang für die Verständigung von Deutschen und Tschechen einsetzte? Sehr viel hat es mit ihren familiären Wurzeln zu tun. Helena Faberová erzählt, dass sie in eine tschechisch-deutsche Familie hineingeboren wurde. Ihre Mutter war Deutsche, sie selbst wurde aber tschechisch erzogen. Die doppelte Verbundenheit machte es für sie zu Zeiten der polemischen Debatte über die deutsch-tschechische Vergangenheit nicht immer einfach. Umso mehr freut sich Faberová darüber, dass sie im Nachhinein sehr viel Anerkennung für ihr Wirken erfuhr.