In Eger lernen Grundschüler Mathematik, Sachkunde und weitere Fächer auch auf Deutsch. Ein Erfolgsmodell, das bald an vielen Schulen des Landes eingeführt werden könnte.
Es ist Donnerstagvormittag an der 6. Grundschule in Eger (Cheb). In der Klasse 2c können sich die Kinder im Mathematik-Unterricht kaum auf den Stühlen halten. Zwei Schüler stehen vorne an der Tafel, jeder eine Fliegenklatsche in der Hand. „Was ist sieben mal zwei?“, fragt Lehrer Maximilian Teubner. Es dauert ein paar Sekunden, dann schlägt Bruno als Erster auf die richtige Antwort und wiederholt sie laut für alle anderen: „Vierzehn!“. Sogleich schießen in der Klasse die Arme in die Höhe, alle wollen drankommen und eine Rechenaufgabe lösen.
Mit ähnlicher Begeisterung geht es in der nächsten Stunde weiter, im Sachkundeunterricht ist der menschliche Körper dran. Klassenlehrerin Klára Baniunynská erklärt auf Tschechisch kurz die Aufgabe: Im Klassenzimmer sind Karten mit bildlichen Darstellungen verschiedener Körperteile versteckt. Die Schüler sollen die Karten finden und dann zurück am Platz überlegen, wie ihr Wort auf Deutsch heißt. Kurz herrscht lautes Gewusel, dann haben alle eine Karte entdeckt und sind zurück an ihrem Platz, ungeduldig, wann es endlich weitergeht. „Eliška, was für eine Karte hast Du?“, fragt Lehrer Maximilian Teubner. „Die Zunge“, kommt die Antwort wie aus der Pistole. Nachdem alle dran waren und ihr Wort sagen durften, werden die Vokabeln auch schriftlich geübt.
Mit Spiel und Spaß zur deutschen Sprache
Die 6. Grundschule in Eger bietet einen erweiterten Deutsch-Fremdsprachenunterricht an. Seit fast drei Jahren gibt es neben den „normalen“ Klassenverbänden auch eine bilinguale Klasse, wie zum Beispiel die 2c. Hier haben die Kinder bereits ab der ersten Klasse neben dem klassischen Deutsch-Fremdsprachenunterricht einige Stunden pro Woche zusätzlich zweisprachigen deutsch-tschechischen Unterricht in nichtsprachlichen Fächern wie Mathematik, Heimat- und Sachkunde, Musik, Kunst oder Sport. In der ersten Klasse sind es vier Stunden pro Woche, bis zur fünften Klasse steigt der Anteil des bilingualen Unterrichts auf fünf Stunden.
Generell sind im zweisprachigen Unterricht zwei Lehrer im Klassenraum anwesend und gestalten die Stunden im Tandem. „In der Regel läuft der Unterricht so ab, dass der Stoff in der ersten Hälfte der Stunde ganz normal auf Tschechisch durchgenommen wird. Dann komme ich und wiederhole das mit den Kindern auf Deutsch. Falls noch Fragen aufkommen, klären wir das auf Tschechisch“, erklärt Maximilian Teubner, der als Lehrer am Gymnasium in Eger arbeitet und einen Vormittag pro Woche den zweisprachigen Unterricht an der 6. Grundschule mitgestaltet. Dabei geht es eher weniger streng zu. „Im normalen Unterricht lernen die Kinder eher streng nach einem Lehrbuch. Bei dem zweisprachigen Unterricht gibt es viel mehr Möglichkeiten, spielerisch zu unterrichten. Beispielsweise kann man den Wortschatz sehr gut spielerisch trainieren, auch bei Rechenübungen funktioniert der Ansatz sehr gut“, sagt Teubner.
Vor allem geht es darum, dass die Kinder in einen natürlichen Kontakt mit der Sprache kommen und möglichst viel gesprochen wird. In der ersten und zweiten Klasse sollen die Schüler zunächst mit der deutschen Sprache bekannt gemacht und ein passives Sprachverständnis aufgebaut werden. Aktives Sprechen und die richtige Grammatik kommen allmählich dazu.
Woher kommen Personal und Finanzen?
Der 35-Jährige Maximilian Teubner stammt ursprünglich aus dem etwa 30 Kilometer entfernten Marktredwitz, nach dem Studium in Regensburg, Prag und Berlin zog es ihn zurück in die deutsch-tschechische Grenzregion. Inzwischen lebt er seit einigen Jahren in Eger und ist einer der beiden muttersprachlichen Lehrkräfte, die die 6. Grundschule gewinnen konnte. Für die Schule ist das ein Glücksfall, denn muttersprachliche Deutschlehrer sind eine wahre Seltenheit auf dem tschechischen Arbeitsmarkt. „Qualifiziertes deutschsprachiges Personal zu finden, ist in der Grenzregion ein Problem, denn das Arbeitsangebot in Deutschland ist finanziell verlockender“, weiß auch Štěpánka Černá, Direktorin der 6. Grundschule in Eger. „Aber wir versuchen Bedingungen zu schaffen, damit es ihnen bei uns gefällt und sie bei uns bleiben“, fügt sie hinzu. Bisher habe man den Personalbedarf immer noch sicherstellen können. Ab dem kommenden Schuljahr wird auch eine Lehrerin aus Waldsassen in Teilzeit an der Grundschule in Eger unterrichten.
Neben dem Personal sind aber auch die Finanzen ein großes Problem. „Die Stadt Eger trägt finanziell zur Sicherstellung der bilingualen Klassen bei, daneben sind wir auf Sponsoren angewiesen, die beispielsweise Fahrtkosten ins Ausland übernehmen oder Gelder für Lehrmittel bereitstellen“, berichtet Direktorin Černá. Weder vom Karlsbader Bezirk noch vom tschechischen Schulministerium erhalte man finanzielle Unterstützung.
Dabei geht das Projekt des zweisprachigen Unterrichts an der 6. Grundschule in Eger auf eine Initiative des Regierungsrats für nationale Minderheiten zurück. Die damalige Regierungsbeauftragte für Menschenrechte und nationale Minderheiten, Helena Válková (ANO), hatte sich zusammen mit der Landesversammlung der deutschen Vereine für die Einführung des zweisprachigen Unterrichts an ausgewählten Pilotschulen eingesetzt. Ursprünglich war vorgesehen, in Kooperation mit den angrenzenden deutschen Bundesländern muttersprachliche Lehrkräfte zu gewinnen und nach Tschechien zu entsenden. Am Ende verhinderten das die Corona-Pandemie, zahlreiche bürokratische Hürden und nicht zuletzt der allgemeine Lehrermangel in Deutschland. Lehrkräfte, die vor Ort gebraucht werden, können schließlich nicht entsandt werden. „Am Ende mussten wir uns selbst kümmern“, erinnert sich Černá.
Und der finanzielle Druck auf die Schulen nimmt zu. Ab dem kommenden Schuljahr soll die Höchstzahl der aus dem Staatshaushalt finanzierten Unterrichtsstunden bei Grund- und Mittelschulen um im Schnitt fünf Prozent gesenkt werden, so eine neue Verordnung der tschechischen Regierung, welche die Staatsverschuldung verringern will und dazu umfangreiche Sparmaßnahmen bei den Staatsausgaben vorgenommen hat. „Wir werden uns also nach anderen Finanzierungsquellen umschauen müssen. Das könnten Projektgelder sein oder wir müssen die Stadt um mehr Geld bitten“, sagt Černá.
Zwei bilinguale Klassen ab dem nächsten Schuljahr
Doch das Interesse an den zweisprachigen Klassen ist enorm. Die Erkenntnis, dass das frühzeitige Lernen einer Fremdsprache zahlreiche positive Effekte auf die geistige und soziale Entwicklung der Kinder hat, ist bei vielen Eltern angekommen. Gegenüber dem Englischen, das alle Kinder ab der dritten Klasse verpflichtend lernen, ist Deutsch als erste Fremdsprache naheliegend, und das im doppelten Sinn: Von Eger ins benachbarte Waldsassen sind es etwa zehn Kilometer, nicht einmal 15 Minuten mit dem Auto.
„Die bilinguale Klasse war für mich eine klare Entscheidung“, sagt Bohuslava Hlavničková, deren Tochter die Klasse 2c besucht. „Wir wohnen nah an der deutschen Grenze, deshalb halte ich Deutschkenntnisse für selbstverständlich.“ Dass Hlavničková so denkt, ist aber wenig überraschend. Als stellvertretende Schulleiterin koordiniert sie den bilingualen Unterricht an der 6. Grundschule. Daneben eröffnet die deutsche Sprache berufliche Chancen in vielen verschiedenen Bereichen, etwa in der internationalen und speziell deutsch-tschechischen Geschäftswelt, im Tourismus, in der Wissenschaft und Forschung sowie in kulturellen Institutionen und Medien.
Aufgrund des großen Interesses werden an der 6. Grundschule in Eger im kommenden Schuljahr gleich zwei bilinguale erste Klassen beginnen. „Für unsere Schule hat das eine große Bedeutung. Zu uns werden auch Kinder aus weiteren Orten und Gegenden kommen“, so Direktorin Černá. Im gesamten Karlsbader Bezirk ist die 6. Grundschule in Eger die einzige, die bilingualen deutsch-tschechischen Unterricht anbietet. Zumindest bis zur fünften Klasse. Denn noch gänzlich ungeklärt ist die Frage, ob es in der zweiten Grundschulstufe, also ab der sechsten bis zur neunten Klasse, mit dem zweisprachigen Unterricht weitergeht. „Das könnten wir nicht mehr aus dem staatlichen Budget finanzieren“, ist sich Černá sicher. Auch qualifizierte Lehrkräfte müssten dann dafür gefunden werden.
Hoffnung auf Europäische Charta
Eine mögliche Lösung hat die Tschechische Republik womöglich selbst geliefert, als sie sich Ende vergangenen Jahres dazu entschied, Teil III der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen in insgesamt acht Landkreisen auf die deutsche Sprache anzuwenden. Dazu gehören alle Kreise des Bezirks Karlsbad, Aussig (Ústi nad Labem), Reichenberg (Liberec), Böhmisch Krummau (Český Krumlov), Troppau (Opava) und Zwittau (Svitavy) stellvertretend für alle deutschen Sprachinseln. Tschechien hat Deutsch in diesen Gebieten als Minderheitensprache anerkannt und sich u.a. dazu verpflichtet, an allen öffentlichen Kindergärten, Grund-, Sekundar- und Berufsschulen zweisprachigen Unterricht mit einem deutschsprachigen Wochenstundenanteil von mindestens 50 Prozent anzubieten, also finanziell und personell zu gewährleisten. Gemäß den Verpflichtungen, denen Tschechien zustimmte, darf der zweisprachige Unterricht nicht von Anträgen von Schülern oder Eltern oder Mindestschülerzahlen abhängig gemacht werden.
Dass die deutsche Sprache diesen neuen rechtlichen Status in den genannten Gebieten erreicht hat, ist ein Verdienst der Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik. Gemeinsam mit dem Regierungsamt für nationale Minderheiten hatte der Dachverband der deutschen Minderheit vor etwa fünf Jahren einen entsprechenden Antrag eingereicht. Am 28. Februar sind die Bestimmungen nach langen und schwierigen Verhandlungen offiziell in Kraft getreten. Die Landesversammlung möchte nun auf die Umsetzung der Maßnahmen hinwirken, wie deren Präsident und Geschäftsführer Martin Herbert Dzingel erklärt: „Im Moment sammeln wir den Bedarf in den Regionen, machen Werbung für die Umsetzung der Maßnahmen und klären auf, was der Schutz durch Teil III bedeutet und was man damit erreichen kann. Wenn wir ein Konzept haben – daran arbeiten wir – werden wir die entsprechenden Behörden ansprechen, mit ihnen verhandeln und sie bitten, die Umsetzung auf die Weise vorzunehmen, wie sich die Tschechische Republik auch dazu verpflichtet hat.“
In den betroffenen Regionen werden sich bald viele die Frage stellen, wie der zweisprachige Unterricht in der Praxis umgesetzt werden soll. Die 6. Grundschule zeigt bereits, wie es funktionieren kann.
Dieser beitrag erschien zuerst in der landesecho-ausgabe 6/2024
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