80 Jahre nach der Vertreibung der Deutschen luden die Deutsche Botschaft Prag und die Landesversammlung zu einer Konferenz. Tschechische und deutsche Gäste aus Politik, Kultur und Zivilgesellschaft diskutierten offen über Erinnerung, Verantwortung – und darüber, wie Versöhnung heute gelingen kann.

Unter dem Titel „80 Jahre Vertreibung – Verdrängen, Gedenken, Aufarbeiten“ fand am Montag, den 16. Juni 2025, in der Deutschen Botschaft Prag eine Konferenz statt. Eingeladen hatte die Botschaft gemeinsam mit der Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik. Zwei Podiumsdiskussionen, Grußworte und persönliche Beiträge rückten das Thema der Vertreibung der Deutschen aus der damaligen Tschechoslowakei ins Zentrum – und öffneten Raum für einen ehrlichen Dialog über Erinnerungskultur in Tschechien.

Aufarbeitung trotz Widerstände

Petra Dachtler, Gesandte der Botschaft in Prag, erinnerte in ihrer Begrüßung an den langen Weg, den die deutsch-tschechische Verständigung gehen musste: „Das Gedenken in Tschechien an deutsche Opfer der Nachkriegszeit erforderte Mut und es brauchte Zeit.“ Erst die Deutsch-Tschechische Erklärung von 1997 hatte es ermöglicht, dass politische Fragen der Gegenwart von der Aufarbeitung der Vergangenheit getrennt betrachtet werden konnten. Dachtler dankte all jenen engagierten Menschen und Initiativen, die sich „nicht abschrecken ließen“ und trotz Widerständen an der Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen arbeiteten. Viele der von Dachtler Angesprochenen waren in der Botschaft unter den Gästen.

„Die Vertreibung war eine menschliche und existenzielle Katastrophe – nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für ihre Herkunftsländer“, betonte Martin Herbert Dzingel, Präsident der Landesversammlung, in seiner Begrüßung. Ein ehrliches Gedenken bedeute, auch Schuld anzuerkennen – auf beiden Seiten.

Auch Christa Naaß, Generalsekretärin des Sudetendeutschen Rates, plädierte in ihrem Impulsvortrag für eine Erinnerungskultur, die nicht relativiert, sondern verbindet. Die Geschichte dürfe nicht getrennt betrachtet werden: „Es war richtig, dass es immer wieder zivilgesellschaftliche Initiativen gab, um die Eiszeit zu überwinden.“ In einem zweiten Impulsvortrag sprach der Historiker Matěj Spurný über die lange Verdrängungsgeschichte der Vertreibung in der tschechischen Gesellschaft.

Neue Formen des Erinnerns

Im anschließenden ersten Panel diskutierten – moderiert von Journalist Tomáš Lindner – Regisseur Jiří Havelka, der Historiker und Senator Martin Krsek, der Leiter des Festivals Meeting Brno Petr Kalousek und die Bürgermeisterin von Weckelsdorf (Teplice nad Metují) Věra Prokopová, wie in Tschechien heute an die Vertreibung erinnert wird. Kalousek erklärte, dass Projekte wie der Brünner Versöhnungsmarsch zeigten, wie sich neue Formen des Erinnerns etablierten. Für seine Bemühungen um die deutsch-tschechische Versöhnung erhielt Meeting Brno kürzlich den Menschenrechtspreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Deutlich wurde in dem Panel auch, dass eine Auseinandersetzung mit der lokalen Geschichte zur regionalen Identität beitragen kann.

Bürgermeisterin Věra Prokopová schilderte eindrücklich die Widerstände, mit denen die Initiatoren zur Errichtung eines Versöhnungskreuzes für die Opfer des Massakers von Weckelsdorf konfrontiert waren. Es war im Jahr 2002 das erste Denkmal dieser Art. Erst in den letzten Jahren habe sich die öffentliche Haltung gewandelt – auch dank engagierter Einzelpersonen und persönlicher Beziehungen.

V.l.n.r.: Tomáš Lindner, Věra Prokopová, Martin Krsek, Jiří Havelka, Petr Kalousek. Foto: Martin Herbert Dzingel

Begegnung statt Belehrung

Das zweite Panel rückte kulturelles Erbe und heutige Perspektiven der deutschsprachigen Minderheit in den Fokus. Die Autorin und Leiterin des Hauses der deutsch-tschechischen Verständigung in Gablonz (Jablonec nad Nisou), Petra Laurin, der ehemalige Kulturminister Daniel Herman, der Germanist Vít Dovalil, der Vorsitzende des Vereins DoKrajin und Organisator des Festivals Königsmühle, Petr Mikšíček, und Antikomplex-Projektmanagerin Maja Konstantinović diskutierten unter der Moderation von Lucie Römer, wie Kunst, Sprache und persönliche Begegnungen Brücken bauen können. Dabei ging es auch um neue gesetzliche Rahmenbedingungen für die deutsche Sprache in Tschechien und um Herausforderungen im Bildungsbereich.

V.l.n.r.: Lucie Römer, Daniel Herman, Petr Mikšíček, Petra Laurin, Maja Konstantinović, Vít Dovalil. Foto: Martin Herbert Dzingel

Die Veranstaltung zeigte, dass Erinnerungskultur in Tschechien kein Randthema mehr ist – sondern ein Feld, das wächst, differenzierter wird und von einer neuen Generation mitgestaltet wird. Oder, wie man aus vielen Beiträgen heraushören konnte: Gedenken beginnt dort, wo man aufhört, sich gegenseitig die Geschichte vorzuhalten – und beginnt, sie gemeinsam zu erzählen.

Hinweis: Ergänzend zu der Veranstaltung an der Deutschen Botschaft gibt das LandesEcho mit der nächsten Ausgabe vom Juli 2025 eine Sonderbeilage zum Thema „80 Jahre Vertreibung – Gedenken in Tschechien“ heraus. Darin stellen wir ausgewählte Initiativen und Projekte aus Tschechien vor, die sich mit dem Thema beschäftigen. Wenn Sie die nächste Ausgabe mit der Sonderbeilage erhalten möchten, bitten wir um eine Bestellung bis 27. Juni 2025 an redaktion@landesecho.cz. Unsere Preise und Konditionen finden Sie hier: https://landesecho.cz/kontodaten/pakete/

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