Die LandesEcho-Redaktion hat sich schonmal durchs tschechische Buchmesse-Programm gelesen. Hier sind sechs Empfehlungen für alle Geschmäcker.
„Gerta. Das deutsche Mädchen“
Hier bricht Tučková das Tabu um den Brünner Todesmarsch. Damals wurden in der Nacht von 30. Mai 1945 alle Brünner Deutschen bis zur österreichischen Grenze getrieben. Unter den Frauen, Kindern und alten Menschen befand sich auch die Romanfigur Gerta Schnirch mit ihrer kleinen Tochter, die sich an die Grausamkeiten dieser Nacht erinnert. Die beiden überlebten und kehrten später nach Brünn (Brno) zurück. In einem Interview beschrieb Tučková einst ihren Schock darüber, dass sie von dem Todesmarsch nie gehört hätte, obwohl sie selbst in Brünn aufgewachsen ist.
Kateřina Tučková
Bereits für ihr Debüt „Vyhnání Gerty Schnirch“ (2009), das nun als „Gerta. Ein deutsches Mädchen“ im Verlag Klak auf Deutsch erscheint, wurde Tučková (*1980) mit dem wichtigsten tschechischen Literaturpreis „Magnesia Litera“ ausgezeichnet. Sie verfasst neben Romanen auch Dramen. Aktuell arbeitet Tučková an einem Buch über Kirchenfrauen Ende des 19. Jahrhunderts. Sie ist als Ausstellungskuratorin und Festivaldirektorin von „Meeting Brno“ tätig. 2017 erhielt sie den Preis für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte des Instituts für das Studium totalitärer Regime.
ldr
„Die Bezirksstadt“
Der Sohn des Kaufmanns Štědrý kehrt überraschend in die kleine Stadt zurück. Für Kaufmann Štědrý eine Schande, die er am liebsten verbergen will. Kommt es zum Streit zwi- schen Vater und Sohn, schließt das Dienst- mädchen alle Türen. Doch in der Kleinstadt bleibt nichts geheim. Der große tschechische Romancier Karel Poláček blättert in seinem letzten Roman den ganzen Kosmos einer Bezirksstadt im Böhmen am Vorabend des Ersten Weltkriegs auf. Die Honoratioren der Stadt kommen genauso zu Wort wie die Schar der Bettler. Moderne prallt auf Provinz. Brillant geschrieben.
Karel Poláček
Der Berliner Amtsrichter Antonín Brousek, der sich vor Poláčeks Bezirksstadt bereits um eine kongeniale Neuübersetzung des Schwejk von Jaroslav Hašek verdient gemacht hat, stellt Karel Poláček zu Recht auf eine Ebene mit Hašek, Bohumil Hrabal und Milan Kundera. Dass der 1892 in eine jüdi- sche Kaufmannsfamilie geborene und in Tschechien ungemein populäre Poláček im Ausland nicht die verdiente Anerkennung erfuhr, liegt womöglich an seinem Schaffen an der Grenze von Prosa zu Journalismus. Poláček starb im Januar 1945 auf dem Todes- marsch von Auschwitz nach Gleiwitz.
stn
„Montagmorgen“
Die drei Geschichten „Mit der Straßenbahn“, „Die Qualle“ und „Montagmorgen“ entstanden zwischen 2015 und 2016 auf Tschechisch. Wie die erfolgreiche deutsche Gegenwartsschriftstellerin Judith Hermann im Nachwort betont, erzählt Petra Soukupová „ernst und klar und ganz gerade“ über den Alltag ihrer Protagonisten. Die sind jedoch nur selten glücklich. Denn „sie haben Erwartungen, die, wenn sie in Erfüllung gegangen sind, nicht dass ver- sprochene Glück mit sich bringen, sondern stattdessen erstaunlicherweise eine ratlose Leere.“
Petra Soukupová
2007 erhielt Petra Soukupová (*1982) für ih- ren Erstlingsroman „K moři“ (Ans Meer) den prestigeträchtigen Jiří-Orten-Literaturpreis für junge Autoren. Für „Zmizet“ (Verschwinden) folgte der renommierte Magnesia-Litera-Preis. Geheimnis des Erfolges? Die psychologischen Bücher Soukupovás lieben Erwachsene genauso wie Kinder. Sie schil- dert oft Probleme in familiären Konstella- tionen, und zwar in klarer Sprache. So auch im Erzählband „Montagmorgen“, den nun der tschechische Verlag Větrné Mlýny in Zusammenarbeit mit dem Wieser Verlag auf Deutsch herausbringt.
ldr
„Der Fehler“
„Meine Bücher sollen keine kurzweilige Wochenendlektüre sein“, sagte Marek Šindelka einmal. Das ist sein erster, 2008 erschienener Roman keinesfalls. Kryštofs Welt sind die Pflanzen. So kommt es, dass aus dem Eigenbrötler ein Schmuggler seltener Orchideen wird. Doch bevor es richtig losgeht, ist der Hauptheld bereits tot und es ist an Kommissar Antonín Brom, aufzuklären, wer Kryštof eigentlich ist. Die kurzweilige Prosa ist ein Buch über zwei Kindheitsfreunde, die unterschiedlicher nicht sein können. Und Pflanzen in allen Nuancen.
Marek Šindelka
Zu den erfolgreichsten tschechischen Autoren gehört derzeit Marek Šindelka. Der Mittdreißiger gewann für seine Prosa bereits zweimal den wichtigsten tschechischen Literaturpreis Magnesia Litera. Sein Debüt 2005 war aber ein Gedichtband. Für seine Vielseitigkeit spricht, dass der erste nun auf Deutsch vorliegende Roman „Der Fehler“ auch als Comic verlegt wurde. Sein jüngster, zweiter Comic (das Zeichnen übernahmen Kollegen) greift auf einen realen Kriminalfall von Gewalt an Kindern und einer Frau, die sich als Kind ausgibt, zurück.
stn
„PÉRÁK. Der Superheld aus Prag.“
Im März 1939 wurde Prag von der deutschen Wehrmacht besetzt. Die tschechische Sprache verschwand von der Straße. Im Verborgenen und nur auf Tschechisch entstand die Sage vom Pérák, dem Sprungfedermann, der angeblich gar vom Vyšehrad über die Moldau springen konnte. Mal galt er als übernatürlicher Ganove, mal als Superheld. 80 Jahre später erscheint seine Geschichte nun in deutscher Sprache: als satirischer Action-Roman mit Hintergrundinformationen und Illustrationen zu Pérák selbst, seinen Prager Wirkungsstätten und dem Leben im besetzten Prag.
Petr Stančík
Der Schriftsteller, Lyriker und Dramatiker Petr Stančík (1968) ist einer der wichtigsten Autoren Tschechiens. Er erfreut seine Leser mit einer Mischung aus Fakten, Mystik, Humor und ungezügelter Phantasie. Für seinen 2014 erschienenen Roman „Mlýn na mumie“ (Die Mumienmühle) erhielt er Tschechiens renommiertesten Literaturpreis Magnesia Litera. Der Bestseller wurde bislang in fünf Sprachen übersetzt. Stančík, der Regie in Prag studierte, widmet sich heute ausschließlich dem Schreiben. Er lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in der Nähe von Prag.
plo
„Das magische Klassenzimmer“
Drei neue Mitschüler mischen das Leben einer 3. Klasse auf. Die geheimnisvollen Hokus, Pokus und Fidibus können zaubern und spielen ihren Mitschülern und Lehrern damit oft lustig mit. Ivona Březinová und der Zeichner Jaromír F. Palme erzählen in zehn kurzweiligen Geschichten auch von ganz „erwachsenen Problemen“ wie Vorurteilen, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit: „‚Zick zack Zigeunerpack! Schwarz wie die Nacht!‘ Die drei Jungen blieben stehen. ‚Wir sind keine Zigeuner, sondern Roma‘, schrie Hokus (…)“ Bisher ist das Buch auf Tschechisch, Französisch, Serbisch, Slowakisch und auch Romanes erschienen.
Ivona Březinová
Die Schriftstellerin Ivona Březinová (1964) stammt aus dem nordböhmischen Ústí nad Labem (Aussig) und wollte schon als Kind Schriftstellerin werden. Sie arbeitete einige Zeit als Dozentin für tschechische Literatur an der dortigen Universität. Mittlerweile lebt und arbeitet sie in Prag. Seit der Geburt ihrer zwei Töchter schreibt sie selbst Kinderbücher. 1996 erschien ihr Erstlingswerk „Zrcátko pro Markétu“ (Spiegel für Markéta). Seitdem sind mehr als 30 Bücher von ihr erschienen. Březinová leitet Kurse für kreatives Schreiben an der Literaturakademie in Prag sowie Talkshows und Autorenlesungen. Sie hat viele nationale Preise erhalten.
plo
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Dass der Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds auch Buchpublikationen fördert, ist wenig bekannt. Nun präsentiert er seine Arbeit bei der Buchmesse.