Als deutscher Fußballfan in Prag ist man arm dran, meint unser Kolumnist Hans-Jörg Schmidt.
Ich unterlaufe zwar schon seit Jahren die Vorschriften des deutschen privaten Marktführers für Sportübertragungen, weil ich meinen Verein, Borussia Dortmund, live sehen möchte. Mit einer Adresse in Deutschland und einer Satellitenschüssel bin ich da auch in Prag dabei. Die Spiele montags oder freitags überträgt jedoch ein anderer Sender, den ich auch mit Tricks nicht an der Moldau empfangen kann. Was bleibt, ist der Gang in eine Sportbar in Prag.
Die letzte, die ich jüngst besucht habe, sieht mich aber nie wieder. Die finstere Kneipe unweit der neuen „Partymeile“ Dlouhá třída war von vornherein auf Ausländer „spezialisiert“. Ein einheimisches tschechisches Bier, das nicht mal schmeckt, kostete dort sage und schreibe 99 Kronen (vier Euro) – im Normalfall maximal die Hälfte.
Doch das wirkliche Problem ist ein anderes: Die seltsame Lokalität ist offenkundig erst in zweiter Linie für Fußballfans gemacht. Ein Türsteher lockt ganz andere Gäste in das hyperteuere Etablissement, nämlich große Gruppen von Briten, die von der Insel mit einem Billigflieger in Prag einschweben, um hier Junggesellenabschiede zu feiern. Was sich dabei abspielt, spottet jeder Beschreibung.
Die in der Regel bereits volltrunkenen Briten benehmen sich, als gehöre ihnen die Welt. Sie grölen, so sie nicht mehr nur noch lallen können, schütten in großer Geschwindigkeit wahllos alles, was reichlich Promille hat, in sich hinein, fallen auch schon mal von den Stühlen, begrapschen die Serviererinnen, die einem nur Leid tun können, und versuchen sich bestenfalls an Selfies, die die künftigen Ehefrauen der Noch-Junggesellen hoffentlich nie zu sehen bekommen werden.
Am Ende zahlen sie horrende Rechnungen, auf denen Tag und Monat draufgeschlagen werden. Überprüfen können diese seltsamen Gäste eh nichts mehr. Nach einer halben Stunde nötigt man sie, das Lokal wieder zu verlassen. Zehn Minuten später wird die nächste derartige Truppe reingelotst.
Dass der Fußballabend für meine Mannschaft auch noch mit einer unerwarteten Niederlage endete, wurde fast zur Nebensache. Ich wäre auch so keine Minute nach dem Abpfiff länger dort geblieben. Meine tschechische Begleiterin, ebenfalls Fan unseres Vereins, war fassungslos: „Weshalb hat eigentlich die große Masse der Tschechen panische Angst vor Kriegsflüchtlingen? Wahrscheinlich müssten die alle mal solche ‚Touristen’ aus dem vermeintlich zivilisierten Großbritannien erleben.“
Auch dem neuen Prager Oberbürgermeister Zdeněk Hřib geht der Sauftourismus gegen den Strich. Er hat einen „Nacht-Bürgermeister“ installiert, der mit seinen Mannen die betrunkenen Partygänger in der Altstadt unter Kontrolle bringen soll. Doch Prag sitzt zwischen zwei Stühlen: Abschrecken will man Touristen ja auch nicht. Immerhin sorgen sie ja Jahr für Jahr für zehn Milliarden Euro Umsatz. Auch meine Ex-Sportbar macht am Ende ein gutes Geschäft.
Was mich angeht: Spiele, die ich nicht mehr live sehen kann, höre ich mir künftig – wie früher – zuhause im ARD-Radio an.
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