Jüngst schwächte das tschechische Parlament die Entschädigung der vor 70 Jahren enteigneten Kirchen ab. Als treibende Kraft mobilisieren die Kommunisten alte Feindbilder. Für ihren geringen Rückhalt in Tschechiens Gesellschaft tragen aber auch die Kirchen selbst Verantwortung.

Das Ergebnis war eindeutig. 106 Parlamentarier stimmten letzte Woche für die von den Kommunisten eingebrachte Gesetzesnovelle, 56 waren dagegen. Das tschechische Abgeordnetenhaus relativierte damit eine historische Geste. Im Herbst 2012 beschloss das damals bürgerlich dominierte Haus, die Kirchen für den ab 1948 vom kommunistischen Regime beschlagnahmten Besitz zu entschädigen. Durch die Kirchenrestitution sollte früheres Unrecht wiedergutgemacht werden. Linke Parteien liefen dagegen Sturm. Ein sozialdemokratisches Plakat zeigte einen mit umgerechnet fünf Milliarden Euro gefüllten Sack voll Geld, der in Bankräuber-Manier an einen Geistlichen im Messgewand übergeben wird. Gewiss war und ist das alles nicht billig: Doch diese Darstellung unterschlägt, dass der Staat nicht mehr die Priestergehälter bezahlt und so auf Dauer Geld spart.

In der Zwischenzeit herrschte relative Ruhe und die einst kirchenkämpfenden Sozialdemokraten saßen mit kirchennahen Christdemokraten in einer Regierung. Nach den Wahlen im Herbst 2017 war der Wahlsieger und Multimilliardär Andrej Babiš jedoch auf die Stimmen der unreformierten Kommunisten angewiesen. Diese forderten: Entweder das Parlament beschließt, die Restitution mit rund 450 Millionen Euro zu besteuern, oder die Regierung zerbricht. Diesem Diktat leistete das Parlament nun Folge. Interessant sind die politischen Fronten: Neben den Sozialdemokraten und der Babiš-Partei ANO unterstützte auch die rechtsradikale SPD den kommunistischen Antrag. Dabei spielt sich diese Partei gerne als Verteidigerin der „christlichen Tradition“ gegen den Islam auf. Dagegen die gesellschaftspolitisch weit von der Kirchenlehre entfernten Piraten sprachen wie die Mitte-Rechts-Parteien von einem Angriff auf den Rechtsstaat. Der Christdemokrat Marek Výborný verglich den Beschluss mit einem Dieb, der schreit: „Besteuert das, was ich gestohlen habe.“

Gegen den tschechischen Staat?

Noch absurder wurde die Debatte, als der kommunistische Fraktionschef Pavel Kováčik sagte, dass sich die Kirchen von der ursprünglichen Lehre Jesu Christi entfernt hätten. Er führt nämlich die Abgeordneten jener Partei an, die ab 1948 die Kirchen enteignete und jegliche religiöse Glaubensäußerung verfolgen ließ. Hinzu kamen sehr nationalistische Andeutungen seines Parteichefs Vojtěch Filip. Dieser sagte, dass die Kirchen dem tschechischen Staat in den entscheidenden Momenten in den Rücken gefallen seien. Damit bediente er sich eines uralten Klischees, wonach gerade die katholische Kirche nationale Interessen unterläuft oder sogar den tschechischen Staat infrage stellt. Damit wird klar, weshalb auch die Islamhasser der SPD im antikirchlichen Bündnis sind.

Möglicherweise bereiten sich einige auch auf ein rundes Jubiläum vor. Nächstes Jahr jährt sich die Schlacht am Weißen Berg zum 400. Mal. Vor den Toren Prags besiegte die Katholische Liga die böhmischen Stände. Für die absolute Herrschaftsausübung des Habsburger Kaisers Ferdinand II. und die Gegenreformation war damit der Weg frei. Auch als 1918 die Donaumonarchie implodierte und die eigenständige Tschechoslowakei entstand, stand die katholische Kirche im Ruf, für die Verbindung von Thron und Altar zu stehen. Das ist historisch nicht falsch. Der Historiker Jaroslav Šebek weist allerdings nach, dass in der Zwischenkriegszeit auch tschechische Katholiken die Verbindung von religiösem Glauben und nationaler Identität suchten. Ein Beispiel sind die Feiern zu Ehren der Slawenapostel Kyrill und Method. Nach 1989 kam die Kirche bei manchen aber wieder in den Ruf, zu deutschfreundlich zu sein. Prager Erzbischöfe wie František Tomášek und Miloslav Vlk hatten nämlich kein Problem, die Nachkriegsvertreibung der Sudetendeutschen als Unrecht zu bezeichnen. Für Hardliner wie Kommunistenchef Filip ist das natürlich Teufelszeug.

Istanbul und religiöser Populismus

Eigentlich starteten die Kirchen nach der Samtenen Revolution aus einer guten Ausgangslage: Sie gewannen durch ihre Kritik am kommunistischen Regime an Glaubwürdigkeit. Die hohe Beteiligung an den Wallfahrten der späten 1980er-Jahre war ein stiller Protest. In der Freiheit war die Euphorie aber schnell weg. Die katholische Kirchenhierarchie verschreckte mit ihrem Auftreten vor allem jüngere Menschen. Engagierte Laien haben bis heute einen schweren Stand. Hinzu kommen seltsame Exzesse des religiösen Populismus. Der Priester Petr Piťha geißelte jüngst die Istanbul-Konvention als Ausgeburt des „Homosexualismus“ und der Gender-Ideologie. Die internationale Übereinkunft zum Schutz vor häuslicher Gewalt ist auch das Lieblingsfeindbild von SPD-Parteichef Tomio Okamura. Schließlich der aktuelle Prager Erzbischof Dominik Duka näherte sich der Anti-Flüchtlingsrhetorik von Staatspräsident Miloš Zeman so sehr an, dass es selbst der katholischen Wochenzeitung Katolický týdeník zu viel wurde. Sie entschloss sich, den Text ihres eigenen Herausgebers Duka nicht zu veröffentlichen.

Die nackten Zahlen offenbaren die Versäumnisse schonungslos. Rund 80% der Tschechen sind konfessionslos. Und zwei Drittel heißen die Besteuerung der Entschädigungen gut. Wo sollten die Kirchen ansetzen? Auf politischer Ebene müssen sie sich klar werden, wer ihre besten Verbündeten sind. Liberale Bürgerliche und Piraten werden nicht ewig tolerieren, dass sich Kleriker an die ebenso xenophoben wie kirchenfeindlichen Nationalisten und Kommunisten anbiedern. Weit anspruchsvoller wird die eigene Erneuerung sein. Ein Rezept ist die Stärkung der Caritas. Der kirchliche Dienst an der Gesellschaft hat in Tschechien noch immer einen guten Ruf. Bei aller Modernisierung darf man aber auch die ländlich-traditionell geprägten Katholiken in Südmähren nicht vergessen. Ihren Kulten, Wallfahrten und Prozessionen steht ein fester Platz zu. Doch ist der Stolz auf die eigenen Traditionen der viel spannendere Ansatz als eine diffuse Angst vor allem Fremden.

Der Beitrag erschien erstmalig auf dem pragerblog des Autors.


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