LandesBlog-Autorin Sarah Tekath vor zehn Jahren in ihrer Lieblingsstadt / Foto: privat

Auch nach zehn Jahren holt der Charme der tschechischen Hauptstadt unsere Autorin immer wieder ein. Überall in der Welt.

Der erste Impuls, wenn man sich an etwas zurückerinnert, was im vorherigen Jahrzehnt passiert ist, ist vermutlich der Gedanke: „Mist, ich werde alt“. Ich bin da sicher keine Ausnahme, denn ich frage mich tatsächlich, wie es wirklich schon zehn Jahre her sein kann, dass ich nach Prag gezogen bin. Grund dafür war ein Praktikum, damals noch bei der Landeszeitung. Angesetzt war mein Aufenthalt auf drei Monate. Am Ende wurden es gut zwei Jahre.

Einerseits ist seitdem so viel passiert, dass es gefühlt für ein ganzes Leben reicht. Andererseits fühlt es sich an, als hätte ich diese wunderschöne Stadt erst gestern verlassen. Sie fehlt mir nach wie vor.

Kind der „Goldenen Stadt“

Meine ersten Tage in Prag verbrachte ich damals mit Weinen, bis buchstäblich keine Tränen mehr übrigblieben. Weil ich (obwohl schon 23) irgendwie wohl doch noch ein Kind war, das plötzlich der großen Welt gegenüberstand, mit niemandem außer sich selbst als Unterstützung in einem fremden Land. Aber geweint habe ich auch wieder, als ich dann Abschied nehmen musste von der „Goldenen Stadt“, ihrer Atmosphäre, ihrer Geschichte und all den – mehr oder weniger leichten – Lektionen fürs Leben. Und noch heute werde ich sehnsüchtig, wenn ich über Prag schreibe oder Menschen erzählen höre, die dort waren.

Unglaubliche Ruhe und die Stille

Ich hatte das Glück, eine Wohnung im zauberhaften Vinohrady zu finden, mit einer gigantischen Dachterrasse in Richtung des Rieger-Parks. Für mich gab es kaum etwas Schöneres, als im Sommer der Sonne dabei zuzusehen, wie sie hinter den Hügeln verschwindet und die Stadt mit ihrem majestätischen, rotgoldenen Licht noch ein bisschen unglaublicher macht. Diese ruhige Atmosphäre ist etwas, was ich seitdem nirgendwo auf der Welt habe finden können.

Einer meiner Lieblingsmomente in Prag war es immer, abends oder in der Nacht alleine spazieren zu gehen – meist im jüdischen Viertel. Ich habe die absolute Stille geliebt, besonders, wenn gerade frischer Schnee gefallen war und selbst meine eigenen Schritte nicht zu hören waren. Ich liebte die Stärke der alten Häuser, die schon so lange dort stehen und auch mich mit Leichtigkeit überdauern werden. Und das Gefühl von allgegenwärtiger Geschichte, die dieser Stadt mit jedem Atemzug aus allen Poren flutet, von Phantasie, Zauber und Golems.

Mein Prag in den Niederlanden

Mittlerweile wohne ich seit fast fünf Jahren in Amsterdam und Ruhe ist tatsächlich etwas, was sich hier kaum finden lässt. Zweifelsohne ist die niederländische Kultur sehr viel extrovertierter als die tschechische, trotzdem favorisiere ich den Typen Mensch, der tatsächlich nur dann redet, wenn er etwas zu sagen hat.

Mir fehlt die kluge, beinahe philosophische Atmosphäre in Prag: die Zeitung lesenden Menschen in den Cafés, wo schon Kafka sich einst inspirieren ließ, und die Leser in der U-Bahn, die ihre Bücher wie einen Schatz noch zusätzlich in Zeitungspapier eingeschlagen haben. Vermutlich hat sich das mittlerweile im Zeitalter der Smartphones auch sehr stark verändert, aber ich bewahre mir gerne meine romantisch-verklärten Erinnerungen. Vielleicht fürchte ich mich auch gerade deswegen so davor, nach Prag zurückzukehren, sei es nur für einen kurzen Besuch – weil ich Angst habe, dass sich die Stadt, die mich verändert hat, auch selbst bis zur Unkenntlichkeit verändert hat.

Ein Stück von mir in Prag

LandesBlog-Autorin Sarah Tekath vor zehn Jahren in ihrer Lieblingsstadt / Foto: privatIch bin mir sicher, dass ich für Amsterdam nie die Zuneigung, Nostalgie und Dankbarkeit empfinden werde, die mich überkommt, wenn ich mich an Prag erinnere, Bücher lese, mich zurückträume oder Reportagen darüber im Fernsehen sehe.

Auch wenn die Zeit sicher nicht einfach war, ich oft nicht wusste, wohin, ich meine Richtung verloren und den falschen Menschen vertraut habe, war Prag trotzdem ein Schritt und eine Zeit, die ich niemals würde missen wollen. Weil sie mich sicher fast erwachsen und zu der Person gemacht hat, die ich heute bin. Deswegen wird Prag für mich wohl immer die schönste Stadt der Welt bleiben. Weil sie ein Stück von meinem Herzen einfach behalten hat.

Die Autorin war von 2009 bis 2011 in Prag und damals u.a. Praktikantin bei der Landeszeitung (dem Vorgänger des heutigen LandesEcho). Sie sagt: „Auch wenn ich schon lange nicht mehr in Prag wohne, habe ich doch noch Heimweh.“


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