Europabegeisterte junge Menschen trafen sich Ende Oktober in Prag, um sich über die deutsch-tschechischen Beziehungen auszutauschen.

Es begann mit einer Niederlage. Die Fußballmannschaft der deutschen Botschaft in Prag verlor gegen die des tschechischen Außenministeriums mit 4:7. Dies erzählte der Deutsche Botschafter Christoph Israng zu Beginn der am letzten Oktoberwochenende abgehaltenen Konferenz der tschechischen „Jungen Europäer“ (Mladí Evropané) und der „Jungen Europäischen Förderalisten“ (JEF) aus Deutschland. Das viertägige Treffen in Prag war ganz auf die deutsch-tschechischen Beziehungen ausgerichtet. Denn Herausforderungen gibt es natürlich nicht nur auf dem Rasen: Tschechien schwanke zwischen der Orientierung an Deutschland und einer engeren Kooperation der V4-Staaten, sagte der bayerische JEF-Vorsitzende Robin Mudry. Dies müsse nun in ganzer Tiefe, mit historischen Hintergründen und im europäischen Rahmen diskutiert werden. Denn für die jungen Proeuropäer kommt tschechisch-deutsche Nachbarschaft nur in einem starken Europa infrage.

Die Fußball-Anekdote des Botschafters war nicht nur ein lockerer Einstieg, sondern auch ein Statement. Er wolle zuerst über die Gegenwart reden, sagte Israng. Danach erzählte er von einer neuen BMW-Teststrecke in Westböhmen, wo auch Autopilot-Wagen fahren können sollen. Also verläuft alles harmonisch? Nicht ganz. Der Diplomat sieht die bilateralen Beziehungen „noch nicht auf Autopilot“. Immer wieder komme es zu Irritationen. Seit der 1997 verabschiedeten Deutsch-Tschechischen Erklärung hätten die historischen Streitthemen zwar an Brisanz verloren. Klar wird aber auch: Ohne das gemeinsame Wort zu NS-Verbrechen und Vertreibung ist die heutige Kooperation nicht denkbar.

Die Erklärung von 1997 heute

Der Weg zur Deutsch-Tschechischen Erklärung war kein leichter. Dies verdeutlichte bei der Prager Konferenz der frühere tschechische Parlamentsabgeordnete Daniel Kroupa. Er selbst sagte den Deutschen in den frühen 1990er-Jahren: „Es hat keinen Sinn, über die Annullierung der Beneš-Dekrete zu diskutieren“. Doch von einem moralischen Standpunkt aus verurteilte Kroupa die Vertreibung der Deutschen klipp und klar. Anekdotisch erzählte er, dass der für seine Ausfälle gegen die Sudetendeutschen bekannte, heutige tschechische Präsident Miloš Zeman die deutsch-tschechische Erklärung mit „sehr viel Kräuterschnaps“ feierte. Heute sorgt sich Kroupa über ein „degeneriertes nationales Denken“. Aber einen europäischen Superstaat, so der promovierte Philosoph, wolle er auch nicht.

Scheinbar über allen nationalen Zugehörigkeiten schwebt dagegen Peter Barton. Der Leiter des Prager Büros der Sudetendeutschen Landsmannschaft stellte sich dem Publikum als „Mitteleuropäer“ vor. Und er verkörpert dies mit seiner tschechisch-bayerisch-ungarischen Vita. Bei seinem Plädoyer für einen übernationalen böhmischen Landespatriotismus kann man sich aber auch fragen: Passt dieses letztmals im Habsburgerreich verbreitete Prinzip noch in die heutige Zeit? Hinzu kommt, dass die von Barton gelobten Daniel Herman und Michaela Marksová-Tominová, die als (ehemalige) tschechische Regierungsmitglieder auf dem Sudetendeutschen Tag sprachen, fast keine politische Rolle mehr spielen. Vielleicht braucht es in der tschechischen Politik ja langsam neue Ansprechpartner?

Frischer Politikwind

Für frischen Wind könnte dabei František Kopřiva sorgen. Der 1995 geborene Piratenpolitiker ist der jüngste tschechische Parlamentsabgeordnete. Ihn trafen die in etwa gleichaltrigen Europabegeisterten aus Deutschland und Tschechien zu einer Fragerunde. Seine liberale und proeuropäische Haltung verbarg Kopřiva nicht. Er sagte, er wolle noch die Errichtung einer Europäischen Föderation erleben. Und auch für Flüchtlingshilfe zeigte er sich offen. Gleichzeitig plädierte er für Realismus: Man müsse in Tschechien Schritt für Schritt vorgehen. Statt von oben herab zu agieren, würden die Piraten so viel wie möglich mit den Menschen reden. Auffällig war bei dem Treffen der Optimismus, den Kopřiva ausstrahlte. Der weitreichende Vormarsch der Populisten scheint ihn nicht zu beirren.

junge europaeer konferenz niklas zimmermann

Viel desillusionierter klang dagegen Jaroslav Šonka. Der Journalist und Politologe beklagte, dass sich Tschechien immer mehr vor der Welt verschließe. Politik und Medien würden nur die negativen Seiten von Migration hervorheben. Er nahm an, dass in Tschechien 75 Prozent für eine Partei wie die AfD stimmen würden. Mit diesem düsteren Bild waren einige Konferenzteilnehmende nicht einverstanden. Auch dass Šonka Deutschland einseitig als Musterbeispiel für Weltoffenheit darstellte, überzeugte nicht. Fraglos benannte er einige wichtige Punkte. Es hätte der Diskussion aber gutgetan, wenn auf jemand auf dem Podium – wie ursprünglich vorgesehen – eine Gegenposition vertreten hätte.

Zurück zur Geschichte

Noch einmal der Geschichte widmete sich der Historiker und Holocaust-Überlebende Toman Brod. Er sprach über das Verhältnis zu den Deutschen seit der Ersten Tschechoslowakischen Republik. Beeindruckend daran war: Der heute 89-Jährige litt selbst unter deutscher Gewaltpolitik, setzte sich danach jedoch dezidiert für die Verständigung ein. Seiner Meinung nach muss die Vertreibung der Deutschen in Tschechien weiter aufgearbeitet werden. Brod sagte aber auch, der Impuls müsse von den Tschechen selbst kommen. Äußerer Druck habe bisher immer kontraproduktiv gewirkt.

Was war der Gewinn der viertägigen Zusammenkunft? Auf jeden Fall haben engagierte junge Menschen in beiden Ländern einen vielfältigen Einblick in die deutsch-tschechischen Beziehungen gewonnen. Gerade die gewiss nicht einfachen historischen Themen gingen tief. Das ist schon ein Wert an sich. Mindestens so wichtig sind auch die gelebten menschlichen Beziehungen. Man war auch abends bei Bier, gutem Essen und im Prager Nachtleben beisammen. Für die junge Generation spricht auch ihre Mobilität: Viele der Teilnehmenden leben oder lebten schon im Nachbarland. Das sollte ein gutes Omen sein – für das im kommenden Herbst geplante nächste Treffen und die Nachbarschaft inmitten Europas.


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Noch einmal also Miloš Zeman auf der Prager Burg. Einer winzigen Mehrheit nur verdankt das politische Urgestein von der Moldau seine zweite Amtszeit als tschechischer Präsident. Aber Mehrheit ist Mehrheit. Was bedeutet der mit Sicherheit letzte Sieg, den der 73-jährige, alles andere als fitte Politprofi, in seinem langen politischen Leben eingefahren hat?

 

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