Als die Ergebnisse der tschechischen Parlamentswahl bekannt wurden, feierten in den sozialen Medien auch Anhänger der AfD. Doch hier liegt ein Missverständnis vor: Die ANO-Partei von Andrej Babiš ist etwas völlig anderes als die in Teilen rechtsextreme Partei in Deutschland. Und trotzdem könnte der Wahlsieg des tschechischen Populisten der AfD bald in die Hände spielen.

„Rechtspopulist Babiš gewinnt Wahl in Tschechien“, titelte die Süddeutsche Zeitung am Samstagabend. Auch andere deutsche Medien – etwa der Tagesspiegel oder Spiegel Online ordneten die Partei des ehemaligen Premierministers Babiš als „rechtspopulistisch“ ein. Gleichzeitig war in Kommentarspalten und auf Plattformen wie X und Facebook zu beobachten, wie Anhänger der Alternative für Deutschland (AfD) den Wahlsieg von Babiš bejubelten.

Babiš: Populist ohne Ideologie

Doch tatsächlich lässt sich der Populismus der 2012 von dem aus der Slowakei stammenden „Agrarmogul“ Andrej Babiš gegründeten ANO-Partei nicht eindeutig einem ideologischen Spektrum im Sinne von „links“ oder „rechts“ zuordnen. Sie präsentiert sich – und wird von vielen Wählerinnen und Wählern so gesehen – als zwar populistische, aber pragmatische Kraft in der politischen Mitte. Ihr Gründer Andrej Babiš inszeniert sich gerne als „Macher“, der den Staat wie ein Unternehmen führen will. Er verspricht Ordnung, Effizienz und soziale Sicherheit, steht aber nicht für Umsturz oder Systembruch.

Die ANO-Wählerschaft reicht von enttäuschten Sozialdemokraten (die aktuell in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sind) über konservative Kleinunternehmer bis zu staatlich Beschäftigten. Von Babiš versprechen sie sich in erster Linie soziale Sicherheit. Insbesondere Rentner konnte Babiš über die Jahre – dank Rentenerhöhungen in seiner Amtszeit – als traditionelles Wahlklientel gewinnen. Eine wie auch immer geartete politische Ideologie spielt dabei aber kaum eine Rolle.

ANO weit entfernt von völkischem Denken

Bei seiner Politik orientiert sich Babiš vor allem an der öffentlichen Meinung. Ändert sich diese, ändert auch Babiš seine Haltung wie ein Fähnchen im Wind. Zu beobachten war das besonders gut während der Corona-Pandemie, als Babiš zuerst besonders harte Maßnahmen einführte, während er nur einige Monate später eine 180-Grad-Wende vollzog und nahezu alle Corona-Maßnahmen abschaffen ließ. Die Folge waren mehr als 40.000 Corona-Tote, weltweit die zweithöchste Zahl je Million Einwohner (nach Peru).

Wenn Babišs Berater ihm morgen sagen würden, dass die Mehrheit der Bevölkerung Einwanderung aus islamischen Ländern gutheißt, würde er auch seine Haltung dazu wohl noch am selben Tag ändern.

Während die AfD mit kulturellen Feindbildern, migrationsfeindlicher Rhetorik und völkischem Denken mobilisiert, konzentriert sich Babiš überwiegend auf sozialpolitische Themen: steigende Lebenshaltungskosten, Renten, Energiepreise. Seine Gegner sind weniger Minderheiten oder Migranten, sondern „die Politiker“, „die Bürokraten in Brüssel“ oder „die ineffiziente Verwaltung“. Streitbare kulturpolitische Themen wie Gendersprache, „Wokeness“ oder LGBTQ-Rechte spielten im Wahlkampf kaum eine Rolle. Auch Babiš hat sie bisher selten aufgegriffen – nicht aus Überzeugung, sondern weil sie im tschechischen Diskurs schlicht keine politische Sprengkraft entfalten.

Das bedeutet nicht, dass Babiš unproblematisch wäre. Als faktischer Chef des Agrofert-Konzerns steht er in einem erheblichen Interessenkonflikt zwischen Politik und Unternehmertum. Nach wie vor steht er im Verdacht, im Fall „Storchennest“ EU-Gelder veruntreut zu haben. Und auch seine mutmaßliche Vergangenheit im tschechoslowakischen Geheimdienst StB wirft bis heute Fragen auf.

(K)ein Ende der Ukraine-Unterstützung?

Zugeben muss man, dass sich Babiš in letzter Zeit nach außen hin zunehmend rechts orientiert. Nach der Europawahl im vergangenen Jahr schloss sich ANO der neuen Fraktion „Patrioten für Europa“ an – gemeinsam mit Viktor Orbáns Fidesz, der österreichischen FPÖ und Marine Le Pens Rassemblement National. Innerhalb der Partei war dieser Schritt allerdings umstritten: Mehrere proeuropäische Abgeordnete warnten davor, dass eine solche Allianz das Image von ANO beschädigen könnte. Für Babiš selbst ist der Schulterschluss mit Orbán und Co. weniger Ausdruck ideologischer Überzeugung als strategischer Opportunismus – er sucht Einfluss, wo Macht zu erwarten ist.

Daher ist auch fraglich, wie ernst seine EU-kritischen Töne im Wahlkampf – etwa gegen den Green Deal – oder seine Forderung, die Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen, wirklich gemeint sind. In ersten Äußerungen nach der Wahl sprach Andrej Babiš nicht mehr von einem Ende der tschechischen Munitionsinitiative, sondern eher von einer Revision. „Wenn jemand 30 Milliarden auf Kosten der Ukraine und des Krieges verdient, gefällt uns das nicht. Ich habe dazu eine andere Meinung. Wir werden das klären. Wir werden es so machen, dass es transparent ist. Ich habe kein Problem damit, auch mit Präsident Selenskyj zu verhandeln“, erklärte Babiš unmittelbar nach der Veröffentlichung der Wahlergebnisse am Samstag.

Gleichzeitig stellte Babiš klar, dass ein Referendum über den Verbleib in der Europäischen Union, wie es die ultrarechte SPD (Freiheit und direkte Demokratie) fordert, für ihn nicht in Frage komme. Tschechien genießt aktuell ein hohes außenpolitisches Renommee, das auch Babiš ungerne verspielen möchte. Anders als Fico oder Orbán zeigte sich Babiš auf europäischer Ebene auch in der Vergangenheit eher als pragmatischer Partner.

Partner der AfD will in die Regierung

Viel hängt aber auch noch davon ab, ob ANO allein regieren wird oder ob er die ultrarechte SPD des Tschecho-Japaners Tomio Okamura mit ins Regierungsboot holt, eventuell zusammen mit der Autofahrerpartei Motoristé. Beide Parteien zeigen sich jetzt nach der Wahl überaus selbstbewusst und möchten Teil der nächsten Regierung sein. Dabei hat die SPD mit 7,8 Prozent ein eher schwaches Ergebnis eingefahren und im kommenden Abgeordnetenhaus fünf Mandate weniger. Okamura hetzt gegen Migranten, fordert den Austritt aus der EU und der NATO und setzt auf eine offen nationalistische Rhetorik. Besonders nahe steht die Partei der AfD. Auf europäischer Ebene sind sie Partner im Europäischen Parlament.

Sollte Babiš tatsächlich eine Regierung mit der ultrarechten SPD bilden – aktuell sieht es danach aus – wäre das nicht nur ein innenpolitischer Einschnitt, sondern auch eine Belastungsprobe für Tschechiens Rolle in Europa. Freuen würde sich aber sicher einer: die AfD.

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