Hatten Sie während der Wende 1989 das Gefühl, Teil der Geschichte zu sein? Diese Frage stellte sich unser Landesblogger Tim, bevor er zum Tag der offenen Tür in der Deutschen Botschaft in Prag aufbrach. 

Als ich auf dem Balkon des Botschaftsgebäudes stand und die Tafel zur Erinnerung an die Rede Genschers sah, wurde mir bewusst, an welch historischem Ort ich mich gerade befinde. 35 Jahre später ist das natürlich eine einfache Feststellung, doch 1989 muss das den Hilfe suchenden Menschen nicht klar gewesen sein. Sie wurden in eine neue, für sie völlig unklare Situation hineingeworfen. Das Chaos, das damals in der Botschaft herrschte, ist mit einigen Filmaufnahmen gut dokumentiert. Bis zum 30. September, dem Tag der Rede des Außenministers Genscher, hielten sich zeitweise bis zu 5000 Menschen auf dem Botschaftsgelände auf. 

Der 30. September 1989 und seine Folgen für die deutsche Geschichte

Zugegeben, die Botschaft besitzt einen großen Garten und bestimmt genug Raum, um ein gutes Leben zu führen. Jedoch wohnen an „normalen“ Tagen nicht einmal ansatzweise hundert Menschen darin. Doch all dies war anders im Spätsommer 1989. Viele Bürgerinnen und Bürger der damaligen DDR suchten Zuflucht in diesem Botschaftsgebäude mit Garten und warteten sehnsüchtig auf die berühmten Worte Genschers: „Wir sind heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute ihre Ausreise möglich geworden ist.” Der zweite Teil des Satzes ging im Jubel der Menschen schon beinahe unter, doch er war der wohl entscheidendste für sie. Dies alles kam mir in den Sinn, als ich auf dem Balkon stand, in den Innenhof und den Garten der Botschaft sah und die Gedenktafel betrachtete. Wie muss es damals gewesen sein, einerseits für die Menschen unten als auch für den Minister oben? Deutsche Geschichte! 

Ein mutiger Appell in schwierigen Zeiten

Am Nachmittag hörte ich eine Podiumsdiskussion, bei der unter anderem der aktuelle deutsche Botschafter in Prag, Andreas Kühne, als auch Zeitzeugen und Vertreter der jeweiligen Botschaften in Berlin und Prag zur damaligen Zeit teilnahmen. Kühne, der die Gelegenheit nutzte, um auf ein geeintes Europa hinzuweisen, das nicht selbstverständlich sei und gerade in diesen Zeiten geschützt werden müsse, beendete seine Rede mit einem Aufruf zur europäischen Zusammenarbeit. Ein weiterer Podiumsteilnehmer berichtete über die damaligen diplomatischen Beziehungen zwischen der deutschen und der tschechischen Regierung. 

Die Geschichte der diplomatischen Beziehungen Deutschland und der Tschechoslowakei

Dieses Jahr markiert außerdem 50 Jahre seit der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Tschechien bzw. der damaligen Tschechoslowakei. Nachdem Ende 1973 die BRD mit der Tschechoslowakei einen völkerrechtlichen Vertrag ausgehandelt hatte, indem die Grenzen der beiden Länder für unverletzlich erklärt wurden, konnten die diplomatischen Beziehungen wieder aufgenommen werden (“Prager Vertrag”). Damit wurde das Münchener Abkommen vom 30. September 1938 endgültig für nichtig erklärt.

Ein Aufruf zu mehr Diplomatie und europäischer Zusammenarbeit

Bei der Podiumsdiskussion gab einer der Teilnehmer eine nette Anekdote preis, in der er darauf hinwies, dass alle Seiten 1989 so fest daran arbeiteten, die Ausreise möglich zu machen, dass auch politische Rivalen wie Kanzler Kohl und Willy Brandt an einem Strang zogen.  Aufgrund der gelungenen Zusammenarbeit mit der Tschechoslowakei war es den fast 5000 Menschen schließlich möglich, ihre Ausreise zu feiern, was bis heute eines der wichtigsten Ereignisse der deutschen Geschichte darstellt.

Podiumsdiskussion mit Zeitzeugen im Festzelt der Deutschen Botschaft Prag. Foto: Tim Dantes

Liebe Leserinnen und Leser, ich bin Tim Dantes und absolviere diesen Herbst ein dreimonatiges Praktikum beim LandesEcho. Die Praktikumsstelle hat mich besonders angesprochen, da ich durch meine Familiengeschichte eine Verbindung nach Tschechien (Böhmerwald) habe. Für mich bedeutet dieses Praktikum vor allem die Erkundung eines völlig neuen Arbeitsbereichs, da ich bisher nur im Bereich Integration in der öffentlichen Verwaltung meinen Bundesfreiwilligendienst absolviert habe. Zurzeit studiere ich im Bachelor Politik, Verwaltung und Organisation an der Uni Potsdam. Ich hoffe, durch mein Studium und meine Interessen Themen aufzugreifen, die die deutsch-tschechische Verbindung widerspiegeln. Meinen Fokus möchte ich dabei besonders auf politische Themen legen, da dies mein Studienschwerpunkt ist. Außerdem freue ich mich darauf, hier im LandesBlog meine Eindrücke von dieser für mich neuen und spannenden Stadt im Herbst und Frühwinter zu teilen.

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