Über klappernde Schienen und ein vom Tagebau bedrohtes Viadukt: Auf der Strecke von Grottau nach Zittau fährt man in nur neun Minuten durch drei Länder.
Für viele Reisende ist die Strecke von Reichenberg (Liberec) nach Zittau Teil des täglichen Arbeits- oder Schulwegs. Ab Grottau (Hrádek nad Nisou) sind es sechseinhalb Kilometer bei neun Minuten Fahrzeit im Zug der Länderbahn, die hier unter dem Markennamen „trilex“ auf der Linie L7 unterwegs ist. Am Bahnhof des Grenzstädtchens Grottau im Dreiländereck aus Tschechien, Polen und Deutschland fällt uns bereits am Empfangsgebäude der auf tschechischem Gebiet untypische Baustil auf. Der Weg zu den Bahnsteigen führt nicht etwa durch große Flügeltüren ebenerdig auf den Hausbahnsteig, sondern es geht zunächst hinab in die Unterführung auf den Mittelbahnsteig. Wie kam es zu dieser eigentümlichen Bauweise? Nun, die Bahnstrecke von Zittau nach Reichenberg wurde nach sächsischen Vorschriften von der Zittau-Reichenberger Eisenbahngesellschaft angelegt und durch die Königlich-Sächsische Staatseisenbahn betrieben. In Sachsen waren Mittelbahnsteige schon damals keine Seltenheit. Dem Streckenbau ging ein längerer Streit zwischen dem Königreichen Sachsen und Preußen um die Linienführung in die nordböhmische Industriestadt voraus. Während Preußen von Görlitz und über das Isergebirge Reichenberg erreichen wollte, strebte Sachsen dies von Löbau kommend über Zittau entlang der Neiße an. 1853 setzte sich zunächst Sachsen durch. Das der Donaumonarchie eher feindlich gesinnte Preußen kam erst 1872 zu einem Staatsvertrag. 1859 wurde die hier beschriebene Bahnlinie eröffnet, die Verbindung nach Görlitz konnte erst 16 Jahre später fertiggestellt werden.
„trilex“-Züge auf der Dreiländereck-Linie 7 im Bahnhof Grottau. Foto: Jürgen Barteld
Polen stellt sich stur
Nach etwa einem Kilometer Fahrt wird der Zug plötzlich langsamer und poltert über spürbar ausgefahrene Gleise. Die Vielfahrer wissen sofort: Wir sind jetzt in Polen. Bereits seit Jahren kämpfen der Freistaat Sachsen und der Liberecký kraj (Region Reichenberg) um einen Ausbau dieser wichtigen Bahnstrecke im äußersten Südwesten Polens, bisher vergeblich. Nun stimmt es natürlich, dass diese knapp drei Kilometer für die polnische Eisenbahn keinerlei direkten Nutzen haben, denn es fehlt ihnen schlichtweg an einer Verbindung zum übrigen polnischen Netz. Ein Ausbau scheint den Verantwortlichen vielleicht auch gar nicht so dringend, denn der Streckenabschnitt ist auch in desolatem Zustand eine kleine Goldgrube: Der dichte Personenverkehr bedeutet gute Einnahmen aus den Trassengebühren. Während wir so nachdenken, sehen wir auf der parallelen Straße die Autos und LKWs dahinsausen. Einst drängte die deutsche Seite auf eine Fortsetzung der B178 in Richtung Reichenberg. Jetzt ist es Deutschland selbst, das den Weiterbau der Autobahn A4 seit Jahren verschleppt. Ist der bisher nicht erfolgte Bahnausbau vielleicht eine polnische Retourkutsche?
Auf der kurzen, langsamen Passage durch die polnische Wildnis, hier noch ein Zug der Deutschen Bahn. Foto: Felix Bührdel
Ein kurzer Blick nach links aus dem Fenster. Greifbar nah scheint das Zittauer Gebirge, während wir durch die kleine Ortschaft Großporitsch (Porajów) rumpeln. Der Bahnübergang in der Mitte des Ortes wurde bereits mehrfach im Rahmen von Streckenjubiläen genutzt, um für einen Ausbau der Strecke sowie die Errichtung eines Haltepunktes zu werben. Der Erfolg blieb aus. Zeitweise gab es sogar Überlegungen, den Ort mit polnischen Zügen im Durchgangsverkehr über Zittau anzufahren. Letztendlich sprach das Kosten-Nutzen-Verhältnis aber eine zu eindeutige Sprache für den Straßenverkehr.
Einfluss des polnischen Tagebaus
Wenig später sehen wir rechts der Bahn in etwa 200 Metern Entfernung ein gehöftartiges Gelände. Als Kasernen errichtet, wurden die Gebäude von den Zittwerken genutzt, einem Tochterunternehmen des Flugzeugbauers Junkers. Traurige Bekanntheit erlangte das Werk als Außenstelle des KZ Groß-Rosen und ab Mai 1945 als Gefangenenlager der Roten Armee. Zeitweise besaß das Gelände auch einen Bahnanschluss, der inzwischen aber nur noch zu erahnen ist.
Kurze Zeit später rollen wir auf das Neißeviadukt. Das 741 Meter lange und bis zu 18 Meter hohe Viadukt gehört auch heute noch zu den größten Eisenbahnbrücken in Sachsen. Die wieder ruhigere Fahrt verrät es: Das Viadukt, vor einigen Jahren saniert, wird durch die Deutsche Bahn unterhalten. Allerdings ist das Bauwerk bedroht. Seit Jahren senkt sich der Untergrund und das hinterlässt auch an der Brücke seine Spuren. Verantwortlich dafür ist der polnische Großtagebau Turów, wenige Kilometer nordöstlich von Zittau. Mit einer Tiefe von über 200 Metern bedroht der Tagebau nicht nur die Trinkwasserversorgung tschechischer Orte im Friedländer Zipfel, auch das Zittauer Becken bekommt die Folgen des sinkenden Grundwasserspiegels zunehmend zu spüren.
Unter dem Viadukt sehen wir zunächst die Neiße, womit wir wieder deutschen Boden erreicht haben, dann die Gleise der Schmalspurbahn, die aus dem Zittauer Gebirge kommend parallel zu unseren Gleisen in Richtung Zittauer „Hauptbahnhof“ strebt. Unmittelbar neben dem Viadukt lag früher der Abzweig Neißebrücke der Kleinbahn: Die erste Zittauer Schmalspurstrecke führte nämlich nicht ins Gebirge, sondern über die Neiße in Richtung Friedland. Aber das ist eine andere Geschichte.
Wir kommen in Zittau an und halten am Mittelbahnsteig. Genau wie in Grottau, nur ist das hier nichts Außergewöhnliches. Sofort fällt uns auf, dass der Bahnhof unlängst an die aktuellen Standards angepasst wurde. Dass dabei aber Signale so auf den Bahnsteigen montiert wurden, dass Geländer erforderlich wurden, damit keine wartenden Fahrgäste die Signalsicht behindern, ist leider auch nicht außergewöhnlich, sondern irgendwie typisch deutsch.