Im Jahr 1968 kam eine Gruppe US-Amerikaner ins 21 Kilometer von Prag entfernte Davle, um dort die Moldau zu überqueren. Was hat es mit dieser Geschichte auf sich?
Im März 1945 rückten amerikanische Truppen zum Rhein vor, um von dort aus in das Herz des Nazireiches vorzudringen. Leider hatte Hitler alle Brücken sprengen lassen. Nur eine intakte gab es noch. Aber wo? Die Amerikaner suchten und suchten. Erst im Jahr 1968 fanden sie sie in der Ortschaft Davle. Dort herrschten seltsamerweise Kommunisten und keine Nazis. Und der Rhein war es auch nicht, sondern die Moldau. Egal: Unbeirrt stürmten sie vor den Augen der verblüfften Tschechoslowaken beherzt die…
Moment, das stimmt irgendwie nicht…!? Fangen wir von vorne an. Die Amerikaner waren tatsächlich im März 1945 zum Rhein vorgerückt und Hitler hatte die Zerstörung der Brücken angeordnet, um den Vormarsch zu verhindern. Nur die Sprengung der Brücke von Remagen misslang den Nazitruppen. Man hatte wohl zu lange damit gewartet, weil sie die letzte Fluchtmöglichkeit für deutsche Zivilisten war, die vor der anrückenden Front und dem Kriegsgeschehen flohen. Ein später Versuch der Sprengung verursachte nur kleinere Schäden. Die Amerikaner nutzten die Gelegenheit und rückten dann am 7. März über den Rhein vor. Der Versuch der Wehrmacht, die Brücke zurückzuerobern, scheiterte und Hitler ließ die Wehrmachtsoffiziere, denen es nicht gelungen war, die Brücke vor Ankunft der Amerikaner zu sprengen, kurzerhand hinrichten. Aber: Mit dem Heldenstück der Überquerung des Rheins durch die US-Army war das Ende Hitler-Deutschlands einen entscheidenden Schritt nähergerückt.
Aber was hat das mit Davle, der Moldau und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik zu tun, in der auf einmal die US-Army aufgetaucht sein soll? Die Geschichte ist fast so interessant wie die eigentliche Einnahme der Remagener Brücke und in jeder Hinsicht ungewöhnlich. Sie beginnt in Hollywood. Die heldenhafte Erstürmung der Brücke war ja geradezu der ideale Stoff für einen richtigen Kriegsfilm mit viel Action und gloriosem amerikanischem Heldentum. Das Projekt reifte in den 1960er Jahren heran und bald machten sich Regisseur John Guillermin und Produzent David L. Wolper auf die Suche nach einem geeigneten Drehort. Man wurde fündig in der Tschechoslowakei. Das dürfte den heutigen Betrachter erstaunen, herrschte doch damals der Kalte Krieg und das Land gehörte eindeutig dem kommunistischen Bannkreis an. Aber vielleicht dennoch nicht ganz so eindeutig, denn es zeichnte sich schon der berühmte Prager Frühling ab – eine leichte Liberalisierungsbewegung innerhalb des Systems. Dabei öffnete sich das Land auch dem Westen gegenüber. US-tschechoslowakische Filmkooperationen waren auf einmal gar nicht so selten. So wurden zum Beispiel viele Folgen der bekannten US-Trickfilmserie Tom & Jerry in Prag produziert.
Als man also im Sommer 1968 in der (kommunistischen) Tschechoslowakei den geplanten Film ,,The Bridge at Remagen“ (Die Brücke von Remagen) mit großem amerikanischen (z.B. George Segal und Robert Vaughan) und deutschem Staraufgebot (z.B. Sonja Ziemann) drehen wollte, fand man eigentlich ideale Drehbedingungen vor. Bei Prag gab es die in der Zwischenkriegszeit erbauten großen Barrandov-Filmstudios, die Hollywood-Format hatten. Die Statisten waren billig. Es gab günstige Drehorte für Außenaufnahmen. In der nördlich von Prag gelegenen Stadt Most gab es ein altes Stadtviertel, das wegen des Braunkohleabbaus abgerissen werden sollte, und deshalb für richtig fetzige und realistische Straßenkampfszenen genutzt werden konnte. Und dann war da noch die Brücke. Die fand man rund 20 Kilometer südlich von Prag an der Moldau in der kleinen Ortschaft Davle. Nun ja, wenn man sich heute bei einem Ausflug in die – übrigens landschaftlich sehr, sehr schöne – Umgebung des Ortes, die Davle-Brücke anschaut, kann man es eigentlich nicht glauben. Es handelt sich heute um eine recht kleine Fußgängerbrücke, über die Großfahrzeuge, etwa richtige Panzer, kaum hinüberkämen.
Der US-Amerikanische Film ,,The Bridge at Remagen“ wurde an der Davle-Brücke gedreht. Foto: Detmar Doering.
Die originale Brücke von Remagen (Ludendorff Brücke), die zwischen 1916 und 1918 über den Rhein gebaut wurde, war nämlich ein Bauwerk von recht gigantischen Ausmaßen. 398 Meter lang, mit zwei großen Eisenbahnspuren und Gehwegen an den Seiten, die schon für sich fast so breit waren wie die gesamte Brücke von Davle. Beide Enden waren mit riesigen pseudo-mittelalterlichen Wehrtürmen geschmückt. Natürlich wäre es optimal gewesen, den Film am Originalschauplatz zu drehen. Nur war die Brücke 10 Tage nach ihrer Einnahme durch die Amerikaner zusammengestürzt. Es standen nur noch die Wehrtürme und bis 1976 (als sie abgerissen wurden, weil sie der Schifffahrt hinderlich waren) zwei Pfeiler. Hier konnte man nichts mehr drehen. Die lediglich 141 Meter lange Davle Brücke (Baujahr 1905) war zwar prinzipiell ähnlich als Stahlträgerbrücke konzipiert, war aber nur einspurig für kleine Regionalzüge angelegt. Sie ergänzte damit im Sinne einer irgendwie in beide Fahrtrichtungen funktionierenden Streckenführung die schon 1897 gebaute und ebenfalls einspurige Eisenbahnbrücke bei Vrané-Skochovice, die sich etwa 3,5 Kilometer flussabwärts befindet.
Wie dem auch sei. Der Filmdreh verlangte den Beteiligten allerlei ab. Das fing schon mit der glaubwürdigen Kulisse an. Die Davle-Brücke wurde mit zusätzlichen Trägern ausgestattet, die sie größer erscheinen ließen. Auch stellte man an beiden Seite so etwas wie vage Nachbauten der Wehrtürme des Originals auf. Die Kameraführung war so geschickt, dass man nur dann, wenn man weiß, wie klein die Brücke realiter ist, ahnt, dass das niemals die kolossale echte Brücke von Remagen sein kann, über die ganze Panzerarmeen fuhren. Der Film lässt die Davle-Brücke beeindruckend erscheinen. Da die Remagener Original-Brücke am Ostufer des Rheins in einen Tunnel mündete, grub man auf in Davle einen kleinen Pseudotunnel in den gegenüber liegenden Felsen. Das soll enorme Geldsummen verschlungen haben. Sowieso sparte man an nichts. Rund 5000 meist tschechoslowakische Statisten, die in Nazi- oder US-Uniformen steckten, überfluteten geradezu das kleine Örtchen. Unmassen von Panzern, Jeeps und anderen Militärfahrzeugen mit deutschen, aber vor allem amerikanischen Abzeichen, hatte man aus alten Beständen der tschechoslowakischen und der österreichischen Armee, aber auch aus dem Requisitenlager von Barrandov zusammengeklaubt. Mitten im Kalten Krieg dürfte manch ein Bürger des Ortes über diesen Anblick verwirrt gewesen sein. Damit war er nicht alleine.
Inzwischen waren die Hardliner der tschecho-slowakischen Kommunisten und die Sowjetunion gleichermaßen irritiert über die Liberalisierungen des Prager Frühlings. Und auch über den Film. Immer wieder kreisten sowjetische Helikopter und Flugzeuge über dem Drehort. Die Prawda streute Vermutungen des KGB, unter dem Vorwand einen Film zu drehen, wollten die amerikanischen Klassenfeinde ein „geheimes Waffenlager“ anlegen. Auch der ADN, der Nachrichtendienst der „DDR“, mutmaßte, dies sei eine „Tarnoperation der CIA“. Man versuche Agenten und Sprengstoff ins Land zu schmuggeln. Um die so realistischen Effekte des Kriegsfilms zu ermöglichen, hatten die amerikanischen Filmmacher nun tatsächlich auch allerlei Sprengstoffe und Feuerwerkskörper mitgebracht. Die wurden ständig von der tschechoslowakischen Polizei untersucht, die überhaupt anfing, störend in den Verlauf der Dreharbeiten einzugreifen. Aber das war nur das Vorspiel.
Am 20. August 1968 beendeten von der Sowjetunion angeführte Truppen des Warschauer Paktes durch ihren Einmarsch in die Tschechoslowakei den Prager Frühling mit Gewalt. Der Film war noch nicht vollständig fertig gedreht, als das geschah. Die Filmarbeiten mussten sofort abgebrochen werden. „No shooting today because of shooting“, bemerkt das Filmtagebuch, kein (Film-)Schießen wegen (richtigem) Schießen. Insbesondere die amerikanische Filmcrew musste sich schnellstens absetzen. Einige schafften das mit eigenen oder schnell besorgten Fahrzeugen via Pilsen nach Nürnberg (die Grenze war noch weitgehend offen). Für die restlichen Mitglieder besorgte Produzent Wolper 20 Taxis, die es bis nach Gmünd in Österreich schafften. Die restlichen Filmaufnahmen drehte man improvisiert in Deutschland und Italien. Diese unliebsame Unterbrechung merkt man dem dem damals sehr erfolgreichen Film kaum an. In den USA kam er im August 1969 in die Kinos, in Deutschland im November des selben Jahres. Die Bürger der Tschechoslowakei bekamen erst nach dem Ende des Kommunismus 1989 die Gelegenheit, jenen Film zu sehen, der in ihrem Land gedreht worden war, und an dem auch viele Bürger des Landes als Statisten oder vereinzelt gar als Schauspieler (z.B. Karel Mareš) mitgewirkt hatten.
Neben der Davle-Brücke wurde 1991 eine Betonbrücke für Autoverkehr erbaut. Foto: Detmar Doering.
Nachdem sich der Lärm und der Trubel der Filmaufnahmen gelegt hatte, durch den die Brücke einmal den Atemhauch der Geschichte verspüren durfte, als hier mitten in den Zeiten des Kommunismus amerikanische GI und Militärfahrzeuge herumkreuzen durften, wurde es wieder ruhiger in Davle. Der regionale Zugverkehr, der während der Dreharbeiten unterbrochen war, nahm den Betrieb auf, bis er in den 1970er Jahren aus Rationaliserungsgründen wegen abnehmender Zugfrequenz aufgegeben wurde. Die Brücke wurde zur Fussgängerbrücke umgebaut und selbige wurde 1991 noch einmal kräftig renoviert. Dank des Filmes war sie ja endgültig zu einer Art Kulturdenkmal geworden. Im selben Jahr 1991 wurde 250 Meter flussaufwärts eine moderne Betonbrücke für den Autoverkehr eröffnet, um Davle noch besser an den Verkehr anzubinden. Unter den Brücken fließt ruhig die Moldau, die hier und heute eine interessante Geschichte erzählen könnte.