Ein wenig gespenstisch sieht die große Villa in der Na Pavím vrchu 1949/2 hoch über dem Park Santoška in Smíchov schon aus. Die Aussicht, die man hier über die Stadt genießen kann, ist atemberaubend. Aber irgendwie verleihen die großen Antennen, die das Gebäude hinter hohen Zäunen und Hecken geradezu wie ein Wald umgeben, dem Ganzen nicht so recht den Eindruck, dass es sich hier noch um einen Ort des müßigen Genießens der umgebenden Landschaft handelt.
Dabei hatte sich der ursprüngliche Eigner der Villa, der Industrielle und Bauunternehmer Otokar Kruliš-Randa, der das Gebäude in den späten 1920er Jahren bauen ließ (weshalb es oft als Krulišova-Villa bezeichnet wird), sicherlich so gedacht. Der war eine beeindruckende Persönlichkeit, ein bibliophiler Büchersammler, ein Schachmeister (und Vorsitzender der Schachvereinigung der Tschechoslowakei) und eine Zeit lang sogar Präsident des Böhmisch-Mährischen Industriellenverbandes. Während der Nazizeit legte er sich mit den neuen Machthabern des öfteren mutig an und musste sich 1940 schließlich von seinem Posten und aus der Villa zurückziehen. Stattdessen baute er seine renommierte Bibliothek in seinem neuen Anwesen im südböhmischen Defurovy Lažany auf.
Seine Prager Villa machte währenddessen harte Zeiten durch. Als im Mai 1945 der Prager Aufstand begann, zog sich eine Einheit der SS hierher zurück und verteidigte sich zwei Tage lang verbissen, bevor die Aufständischen endlich den wegen seiner Höhenlage strategisch wichtigen Punkt eroberten. Man hätte erwarten können, dass Otokar Kruliš-Randa danach die Villa wieder in Stand setzen und friedlich bewohnen hätte können. Doch der wurde erst einmal von Denunzianten der Kollaboration mit den Nazis bezichtigt. Es folgte ein glänzender Freispruch. Der half aber nichts, denn 1948 kamen die Kommunisten an die Macht und verhafteten ihn trotzdem wieder. Der Mann war ja Kapitalist und somit per se schuldig – zumindest in den Augen der Kommunisten… Die Jahre 1949/50 verbrachte er im Arbeitslager. 1953 wurde er mit fabrizierten „Beweisen“ wieder verhaftet und zu elf Jahren Haft verurteilt, die er nicht überlebte. 1958 starb er im Gefängnis. Erst 1969 wurde er postum rehabilitiert.
Die Krulišova-Villa in Prag-Smíchov. Foto: Detmar Doering
Die Villa in Smíchov wurde von den Kommunisten folgerichtig 1948 verstaatlicht und zu sinistren Zwecken genutzt, d.h. sie wurde der Staatssicherheit übergeben. Hier residierte deren „6. Verwaltung“ (VI. správa), wie die High-Tech-Abteilung mit ihren großen Abhöranlagen genannt wurde. Vor allem wurde von hier der ausländische Funk- und Radiobetrieb abgehört. Kurz vor dem Zusammenbruch des Kommunismus ließ man das Gebäude umfassend renovieren, wobei man hauptsächlich politischen Gefangenen in Zwangsarbeit die schwersten Arbeiten überließ. Die wurden jeden Tag in Bussen aus dem Gefängnis hier hinauf gekarrt.
Ein wenig über alle diese Ereignisse erfährt man heute von einer Infotafel (nur in Tschechisch), die auf dem Aussichtplatz davor aufgestellt wurde. Versuche, das Gebäude nach dem Fall des Kommunismus einer völlig anderen Bestimmung zuzuführen, scheiterten. Die Villa gehört nunmehr dem Innenministerium, das hier ein „Funkkommunikations- und Messzentrum“ betreibt. Das soll jetzt aber die Demokratie im Lande beschützen und nicht mehr dem Totalitarismus dienen. Aber eins ist klar: Der erste Eindruck, dass sich hinter dem mysteriösen Erscheinungsbild der Villa aufdrängt, trügt nicht: Hinter dem Haus verbirgt sich tatsächlich eine spannende Historie.
Ahoj aus Prag! Seit September 2016 leben wir berufsbedingt in Prag. Wir – eigentlich Rheinländer – haben sie schon voll in unser Herz geschlossen, diese Stadt! Deshalb dieser Blog, in dem wir Fotos und Kurzberichte über das posten, was diese Stadt so zu bieten hat und was wir so erleben. Wir, das sind:
Lieselotte Stockhausen-Doering und Detmar Doering
… und unser Hund Lady Edith! Wer sich in Prag einmal umschauen möchte, wird auf diesem Blog nach einiger Zeit sicher Interessantes finden, was nicht jeder zu sehen bekommt, der die Stadt besucht. Viel Spaß beim Lesen!