Unser Autor Jürgen Barteld, Eisenbahner mit Herz und Seele, stellt Ihnen ausgewählte Bahnstrecken im deutsch-tschechischen Grenzgebiet vor, die die beiden Länder (wieder) näherbringen sollen. Diesmal betrachten wir die Strecke zwischen Graslitz und Klingenthal.
Wind, Wetter und allen politischen Zeiten trotzte das Einfahrsignal des Bahnhofs Klingenthal, auf böhmischem Gebiet stehend, standhaft. Der große Flügel hatte sich im Mai 1945 ein letztes Mal auf „Halt“ gesenkt. So sollte es für ein halbes Jahrhundert bleiben. Die sich alsbald als Bruderländer gebenden ČSR und DDR ließen es nicht zu, dass sich die Bewohner des Zwodau (Svatava)-Tales auf kurzem Wege begegneten. Eine untilgbare Schande. Es musste erst das Lüftchen der Samtenen Revolution wehen und auf der anderen Seite das kleine dem großen Deutschland beitreten, um entstandene Lücken zu schließen. Was nicht einfach war: Bei Graslitz (Kraslice) – Klingenthal stand zwar das Signal noch und das Gleis lag bis zur Staatsgrenze. Jedoch wurde die straßenüberführende Brücke auf sächsischer Seite 1976 abgebaut…
Die Graslitzer haben rasch gehandelt
Noch bis zum Mai 1952 hatte die ČSD ihre Züge von Falkenau (Sokolov) bis dicht an die Grenze zum weitgehend verlassenen Ortsteil Markhausen, nun Hraničná genannt, geführt. Und diesen Gedanken nahmen beherzte Graslitzer, voran der Bürgermeister, gemeinsam mit Freunden von außerhalb zu Beginn der 1990er Jahre erneut auf. Sie packten zu und legten den Gleiskörper wieder frei – stets besagtes Signal im Blick. Noch musste der Schienen-Lückenschluss ja wie ein Traum erscheinen. Denn parallel zur Bahn verläuft die alte Straßenverbindung nach Klingenthal, die seit 1991 als Grenzübergang für Fußgänger geöffnet ist. Im Nu sorgte ein ständig wachsender deutscher Besucherstrom für regen Taxi- und Busverkehr auf tschechischer Seite, der allerdings mit dem Fahrbahnausbau eingestellt werden musste. Nun wollten aber die Graslitzer Geschäftsleute und Restaurantbetreiber weiter ein wenig am D-Mark-Glück des vormaligen Brudervolkes teilhaben. Umgehend organisierten die Anlieger zusammen mit den Eisenbahnfreunden des ortsansässigen Klubs im Herbst 1994 einen Pendelzugverkehr mit den historischen „Hurvinek“-Triebwagen über die ca. vier Kilometer zwischen dem Bahnhof Graslitz und dem provisorisch wiedererrichteten Haltepunkt Markhausen an der Grenze, den die Nutzer von Klingenthal auf kurzem Wege erreichen konnten. Eine Aktion, die es vergleichbar auf deutscher Seite genehmigungshalber wohl nicht gegeben hätte!
EXPO 2000 ließ die Lücke schließen
Doch auch bei den sächsischen Nachbarn tat sich etwas, mit Ausgangspunkt in Hannover. Im Vorfeld der EXPO 2000 wurde zu wirkungsvollen externen Projekten aufgerufen, was sofort Widerhall fand, und zwar in konzertierter Aktion der Entscheider in Sachen Schienenpersonennahverkehr beim Dresdner Wirtschaftsministerium sowie Verkehrsverbund Vogtland samt der noch jungen Vogtlandbahn. Es gelang vortrefflich, auf den Expo-Zug aufzuspringen, sprich: Die ersten neuen leichten „RegioSprinter“- Triebwagen anzuschaffen, dazu einen modernen Betriebshof zu bauen und das grenzüberschreitende Nahverkehrssystem EgroNet auf die Schiene zu stellen. Eine der Linien ist die von Zwickau via Klingenthal – Graslitz nach Falkenau. Es fehlte dafür „nur“ die besagte Brücke. Solche entstand in kurzer Zeit als Behelfskonstruktion, über die am 28. Mai 2000 der erste Zug rollte und die bereits im folgenden Sommer durch die heutige Stabbogenbrücke ersetzt wurde.
Modernisiert – grundverschieden hüben und drüben
Modernisiert zeigt sich die Bahnlinie beiderseits der Grenze. Doch während dies zwischen Graslitz und Falkenau mit Bedacht und mit Blick in die Zukunft geschah, z.B. durch die erhaltenen Nebengleise für allfällige Zugkreuzungen bzw. Verlademöglichkeiten, entfernte die Deutsche Bahn in Klingenthal alle „nicht betriebsnotwendigen“ Anlagen. Das stattliche Empfangsgebäude ist abgerissen, vom einst mehrgleisigen Bahnhof blieb ein einziger Bahnsteig, ein profaner Haltepunkt wie sonst wo auf dem Lande. Während nahe des Musikinstrumentenbauerstädtchens die millionenteure, fragwürdige Skisprung-Weltcup-„Vogtland-Arena“ entstand, ist nicht mal mehr ein Gleis vorhanden, auf dem ein etwaiger Wettkampfbesucher-Sonderzug abgestellt werden könnte! Mehr noch: Bei einer solchen Zugfahrt müsste der Regelverkehr pausieren.
Seit 2003 fuhren die „Vogtlandbahn“-Züge von Zwickau bis Falkenau durch, an den Wochenenden gar bis Karlsbad, was auch heute noch touristisch beworben wird. Betrieblich kooperiert wurde mit dem tschechischen Bahnunternehmen Viamont, das die Zwodautal-Strecke übernahm, gefolgt von der nunmehr hier tätigen GWTrain. Der Personalwechsel auf den Zügen findet – da Klingenthal kein Bahnhof mehr ist – in Zwotental statt (weshalb auch zur Corona-Zeit die Züge hier bzw. in Graslitz enden).
Ein Blick zurück: Im Jahr 2002, die Bundespolizei kontrollierte und zählte noch, passierten über 73 000 Fahrgäste die Grenze per Zug. Obwohl der Straßenübergang seit Oktober 2001 geöffnet war. Spitzenwert dürfte aber der vom Mai 2004 gewesen sein: 11 300 Bahn-Reisende. Der EU-Beitritt Tschechiens lässt grüßen. Seither ist das Fahrgastaufkommen auf sächsischer Seite auf derzeit nicht einmal 200 grenzüberschreitende Passagiere pro Tag gesunken. Die Linie wird zwischen Falkenstein und Klingenthal (- Graslitz) als bestandsgefährdet eingestuft. Ganz anders dagegen ist das Bild im Böhmischen: Die nun teils gar halbstündlich verkehrenden Züge von und nach Falkenau werden rege genutzt. Scheinbar ist eine neue, magische Grenze entstanden – mit grundverschiedener Mentalität in der Verkehrsmittelwahl. Wohl nicht von ungefähr soll der Vogtlandkreis die meisten Pkw pro Haushalt aufweisen…