Unser Autor Jürgen Barteld, Eisenbahner mit Herz und Seele, stellt Ihnen ausgewählte Bahnstrecken im deutsch-tschechischen Grenzgebiet vor, die die beiden Länder (wieder) näherbringen sollen. In dieser Ausgabe: Die Strecke Asch – Selb. Einst Motor der Textilindustrie und nach langem Aus wiederbelebt, dient die Bahn heute der nachbarschaftlichen Begegnung.
Noch nicht einmal fünf Jahre rollen wieder Personenzüge zwischen Asch (Aš) und Selb. Die allerersten Fahrten gab es jedoch bereits 1865 auf der neu geschaffenen Strecke von Hof über Asch und Franzensbad (Františkovy Lázně) nach Eger (Cheb). Diese Eisenbahn diente vor allem dem Güterverkehr. „Zuvor waren die Hofer Textilfabriken auf die teure Steinkohle aus dem sächsischen Zwickau angewiesen“, erläutert Werner Rost, Bahn-Experte der „Frankenpost“. „Auf dem neuen Schienenweg konnten die Fabrikanten die billigere böhmische Braunkohle nach Hof transportieren. Die Stadt Hof ließ gar diese Bahnstrecke im Abschnitt von Oberkotzau nach Eger auf eigene Kosten bauen! Per Pachtvertrag übernahm die Königlich Bayerische Staatsbahn den Betrieb. Der Bahnhof Eger war im 19. Jahrhundert ein Gemeinschaftsbahnhof, den sich zeitweise bis zu fünf Bahngesellschaften teilten.“
Exponierter Schicksalsort
Und gleichsam in einem Zuge prosperierten die Städte Asch und Roßbach (Hranice u Aše) im äußersten Zipfel Nordwestböhmens, vor allem die Textilindustrie kam rasch zu höchster Blüte. Umso verheerender der jähe Niedergang um 1945. Asch hatte schmerzlichsten Tribut zu zollen. Nicht wenige Wunden sind noch heute zu erkennen. Das ehedem stattliche Empfangsgebäude des Bayerischen Bahnhofs zu Asch war finsterer Ort der Vertreibung, bevor er in kommunistischer Ära zusehends verfiel. Den Massentransporten in Viehwaggons sollte kein Personenzug mehr folgen – der Eiserne Vorhang hatte sich gesenkt. Noch einmal sorgte der Übergang für Schlagzeilen, als eine Gruppe tschechischer Eisenbahner mit dem regulären Reisezug nach Asch die Grenze durchbrach. Das Ereignis vom 11. September 1951 bleibt in der Region als „Zug der Freiheit“ lebendig.
Im Kalten Krieg nur für Güter geöffnet
Stets jedoch öffneten sich die Tore über dem Gleis nach Westen für den Güterzugverkehr zwischen der Tschechoslowakei und der Bundesrepublik Deutschland, die ČSD-Loks kamen bis zur bayerischen Grenzstation Selb-Plößberg. Dennoch stand dieser Korridor ein wenig im Schatten anderer Grenzübergänge. Im Aufwind des Prager Frühlings sollte sich dies wohl ändern: Der Ascher Bahnhof erhielt einen modernen Publikums-Bau, vorbereitet für lebhaften Reiseverkehr, der dann freilich nie einsetzte, war doch das Land per „Normalisierung“ wie eingefroren. Bis schließlich frischer Wind für politisches Tauwetter sorgte und die Stacheldrahtzäune sich öffnen mussten. Aber es dauerte noch ein Jahr, bis am 3./4. November 1990 tatsächlich wieder Personenzüge von hüben nach drüben rollten, die heillos überfüllt beiderseits der Grenze von vielen Menschen jubelnd begrüßt wurden.
Protest! – Eine große Gemeinschaft von Anliegern beiderseits der Grenze forderte auf spektakuläre Weise den nun baldigen Schienen-Lückenschluss. Der bunte Zug fuhr bis direkt zum unterbrochenen „Übergang“. Foto: Jürgen Barteld
Die Euphorie währte nicht lange. In begehrlichem Blick stand fortan das Auto, neue Straßen mussten her. Eine davon zerschnitt förmlich die Bahntrasse zwischen Asch und Selb. Wer hätte da auf eine Wiederbelebung gewettet? Häuslebauer am Rande von Selb richteten sich auf ewige Ruhe ein und waren die Ersten, die gegen plötzlich auftauchende Reaktivierungspläne Sturm liefen. „Kommt sie oder kommt sie nicht?“, fragte sich hingegen die immer größer werdende Schar der Lückenschluss-Befürworter über Jahre. Ein Schlüsselereignis dürfte im Herbst 2008 die außergewöhnliche Protest-Zugfahrt von Asch aus zur Landesgrenze gewesen sein. Bürgermeister und Politiker wie der Hofer Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Friedrich (CSU), nachmals Bundesinnenminister, forderten resolut den Neubeginn des Schienenverkehrs. Auf tschechischer Seite wurde alsbald mit dem zeitgemäßen Streckenausbau, also moderner ferngesteuerter Leittechnik, begonnen. Glücklicherweise fand sich das 1968er „Dubček“-Empfangsgebäude in Asch gut erhalten.
Alternative zu extremem Autoverkehr
Geschafft! – nun muss nur noch das Schmuckband fallen: feierliche Neueröffnung der reaktivierten Bahnstrecke mit zahlreichen Prominenten aus Bayern und der Tschechischen Republik. Foto: Frank Barteld
„Wir als Stadt Asch sind sehr froh, dass die Eisenbahn von Asch nach mehr als 20 Jahren Bemühungen wieder mit dem benachbarten Deutschland verbunden ist“, sagt Pavel Klepáček , der zweite Bürgermeister. „Auch wenn wahrscheinlich die ursprünglichen Erwartungen und Prognosen, wie viele Fahrgäste den Zug zwischen den Staatsgrenzen pro Tag passieren, sich nicht erfüllten, freuen wir uns, dass die Bahn hier wieder zur Zufriedenheit Vieler von uns funktioniert. Obwohl der nahegelegene Straßenübergang zwischen den Städten Asch und Selb der verkehrsreichste Grenzübergang zwischen der Tschechischen Republik und Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf die Anzahl der Autos ist, möchten die Leute eher nicht mit dem Zug reisen. In den letzten fünf Jahren haben wir in Asch einen starken Anstieg des Autoverkehrs verzeichnet, was hauptsächlich auf den wirtschaftlichen Aufschwung zurückzuführen ist. Wir sind davon überzeugt, dass mit den wachsenden Problemen beim Parken auch viele Einwohner der Region die großen Vorteile von Bahnverbindungen entdecken werden. Reisen mit dem regionalen Egronet-Ticket ist sehr angenehm und finanziell interessant, und aus eigener Erfahrung kann ich Solches nur empfehlen.“
Wer den Zug nutzt, der sieht bei Ausfahrt aus dem Ascher Bahnhof in Richtung Selb riesige Stapel von Langholz, die per Bahn aus fernen Gebieten der Tschechischen Republik bis hierher gelangten, dann jedoch mit schweren Lkw zum großen Verarbeiter auf deutscher Seite gebracht werden müssen, weil aus Richtung Hof an der bayerisch-thüringischen Grenze ein Lückenschluss von nur fünf Kilometern seit Jahr und Tag ausgebremst wird. Und wie Bürgermeister Klepáček beteuert, werde sich seine Stadt einem neu belebten Schienengüterverkehr nicht widersetzen. Würden doch damit zig Lkw-Fahrten vermieden.