Die Wohnungen in den drei riesigen Hausblöcken in Komotau sind sehr begehrt und nicht nur deshalb etwas Besonderes.
Bei Miloň und Helena Houda sollte man nicht mit der Tür ins Haus fallen. Denn hinter der Wohnungstür führt eine Treppe sofort hinab in die Wohnung. „Bei unseren Nachbarn ist es umgekehrt, da geht die Treppe gleich nach oben“, erklärt Miloň Houda. Von dem tristen langen Flur aus sind die ausgeklügelten Wohnungsschnitte nicht zu erahnen. Und erst recht nicht von außen. Die drei 18-Geschosser am Rande von Komotau (Chomutov) wirken eher wie riesige Wohnmaschinen.
Doch das Innere überrascht: Die Wohnung der Houdas erstreckt sich über zwei Etagen. Eine halbe Treppe abwärts im Zwischengeschoss zu der einen Seite des Hauses hin befinden sich Schlaf- und Kinderzimmer mit Loggia sowie WC und Bad. Eine weitere Treppe tiefer zur anderen Seite des Hauses hin erstreckt sich eine geräumige Wohnküche wieder mit Loggia und einem überwältigenden Blick über Komotau. „In den unteren Stockwerken gehen die Wohnungen sogar über drei Etagen“, weiß Houda.
Frankreich, Berlin und Komotau
Die drei Wohnriegel entstanden in den 1970er Jahren in Anlehnung an den Kollektivwohnungsbau des französischen Architekten Le Corbusier im Stil des Brutalismus. Dessen Unité d’Habitation (Wohneinheit) stehen in Marseille und eine in Berlin. Die in Komotau sind allerdings nur von Le Corbusier inspiriert. Der Architekt war Rudolf Bergr aus Aussig (Ústí nad Labem).
„Den Großteil der Wohnungen plante man als Maisonette, um mehr Licht zu erhalten“, sagt Jan Rödling vom Verein „Kuprospěchu“, der sich schon länger mit den Häusern beschäftigt und nun eine Ausstellung organisiert hat. Das Licht kommt bis auf wenige Ausnahmen immer aus zwei gegensätzlichen Himmelsrichtungen. Gleichzeitig wirken die Wohnungen größer als sie sind. Die von Houdas zum Beispiel misst nur 73 Quadratmeter. Für die Familie mit drei Kindern ganz schön klein. „Unserem ältesten konnten wir zum Glück eine 1-Zimmer-Wohnung auf der Etage kaufen“, sagt Houda.
Die Houdas wohnen seit 1994 in dem einstigen Neubaugebiet, das Komotau mit der Nachbarstadt Görkau (Jirkov) verbindet. „Damals bekam ich die Wohnung über meinen Arbeitgeber, die Nordböhmischen Tagebaue“, sagt Miloň Houda. „In Komotau nennen alle die Häuser nur die ‚Experimente’“, so Rödling weiter. Das kommt von ihrer Bauweise, die nicht wie sonst üblich im Plattenbau erfolgte, sondern durch vor Ort gegossene Betonteile. Das brachte für die sozialistische Planwirtschaft erhebliche Probleme und Verzögerungen mit sich. „In der Zeit wurde viel gebaut, nicht nur Wohnsiedlungen, sondern auch Kraftwerke, Kaufhallen, Kindergärten und Schulen, so dass die Kapazitäten fehlten“, erzählt Rödling. Am Ende entstanden statt der geplanten sechs Wohnriegel nur drei.
Der Grund für das städtebauliche Experiment war pragmatisch. Komotau wuchs rasant und brauchte schnell viele Wohnungen. „Außerdem ging die Staatsführung ähnlich wie in Most (Brüx) davon aus, dass die Altstadt dem Tagebau weichen muss“, erzählt Rödling. Also plante sie ein völlig neues Stadtgebiet, das Komotau mit Görkau verbinden und zu einer Doppelstadt mit bis zu 100.000 Einwohnern werden sollte. Der Anspruch wurde im Laufe der Zeit den Realitäten angepasst und Komotau „zum Glück nicht abgebaggert“, wie Rödling sagt. Heute wohnen in den einstigen Neubaugebieten gerade einmal 30.000 Menschen.
Kita auf dem Dach
Doch trotz aller Probleme wurden die drei Häuser vollendet. Mit jeweils 230 Wohnungen nahmen sie so viele Menschen auf wie kein Plattenbau es konnte. Vor allem boten sie ein einmaliges Wohnangebot. Es gab gemeinsame Wasch- und Trockenräume auf den sieben Fluretagen. Dort waren nach französischem Vorbild zusätzlich Restaurants und Läden geplant. Le Corbusier plante die vertikale Stadt. Die Einwohner sollten zum Einkaufen das Haus nicht verlassen müssen. Das wurde aber schon in der Planungszeit wieder gestrichen, ebenso wie die Kita auf dem Dach. Im ersten Haus wurden auf dem Dach zumindest die Leitungen für einen Swimmingpool gelegt, gebaut wurde auch er nie.
„Das kollektive Wohnen konnte sich nicht durchsetzen. Die Einwohner stellten sich lieber eine Waschmaschine in die eigene Wohnung“, erzählt Rödling. Die einzigen Räume außerhalb der Wohnung, die heute noch genutzt werden, sind die Keller. Jedoch nicht im Untergeschoss, sondern in luftiger Höhe auf den Fluren. „Von außen sind sie an den kleinen Fenstern zu erkennen“, sagt Rödling.
Im Untergeschoss gab es dagegen schon damals eine Tiefgarage. „Der Platz reicht aber nicht für alle“, sagt Miloň Houda. Wird ein Platz frei, wird er deshalb verlost. Nicht nur die Parkplätze sind begehrt, auch die Wohnungen selbst. „Anders als sonst in Komotau gibt es hier keinen Leerstand“, sagt Jan Rödling, was Miloň Houda bestätigt. Mit einer Million Kronen (rund 40.000 Euro) für eine Wohnung ist der Preis für Komotauer Verhältnisse recht hoch. Wie die meisten Bewohner haben auch die Houdas ihre Wohnung längst gekauft. Sie wollen hier nicht mehr weg.