Um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, greift die tschechische Regierung zu radikalen Maßnahmen und schränkt die Reisefreiheit massiv ein. Schengen ist damit außer Kraft gesetzt. Ist das angemessen, fragt man sich in Deutschland und Österreich, aber auch in Tschechien selbst.
Tschechien schließt in der Nacht zu Samstag seine Grenze. Ab Samstagfrüh ist bis auf einige Ausnahmen keine Einreise für Ausländer mehr möglich. Tschechen wiederum dürfen nicht raus. Die Nachricht ist ein Schock für alle, die die Freizügigkeit des Reisens in Europa und nicht nur dort schätzen gelernt haben. Diese Maßnahme ist natürlich auch Gift für alles, was freien Handel, Austausch und Begegnung ausmacht.
Es wurde wiederholt gefragt, ob es überhaupt erlaubt ist und Schengen damit nicht außer Kraft gesetzt ist. Zweimal ja. Ja, Schengen gilt nicht mehr. Ein Überschreiten der grünen Grenze ist eine Straftat mit schmerzlichen Folgen. Und ja, es ist erlaubt. Schengen wurde bereits in der Vergangenheit teilweise außer Kraft gesetzt, wenn die Umstände das erforderten. In der Regel wurde das vorher kommuniziert bzw. bei der Europäischen Kommission angekündigt.
Genau dieser Ernstfall ist jetzt eingetreten. Wir haben keine normalen Zeiten mehr. Italien ist bereits abgeschottet. Was ist das für eine Begründung, dass man das erst tun darf, wenn nichts anderes mehr wirkt und die Fallzahlen und Todesfälle bereits unerträglich hoch sind? Drastische Maßnahmen sind auch gerechtfertigt, wenn es wie in Tschechien noch gar keine Todesfälle gibt, aber wahrscheinlich ist, dass es dazu ganz massiv kommt, wenn das nicht verhindert wird.
Das war übrigens auch ein gewichtiges Argument, dass Deutschland aus tschechischer Sicht zu den Risikoländern zählt. Zuvor hatte die Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem nach wochenlangem Schweigen ersten Auftritt in der Corona-Krise eingeräumt, dass sich bis zu 70 Prozent der Deutschen anstecken könnten. Ja, es war ein Konjunktiv, der sich von Berechnungen von Experten ableitete, für den Fall, dass nichts unternommen wird. Nicht nur der Premierminister der Tschechischen Republik, Andrej Babiš, legte diesen Satz aber so aus, dass Deutschland das auf sich zukommen lässt und die 70 Prozent Infizierte in Kauf nimmt. Es war sicher nicht der einzige Grund, aber in diesem Moment hat sich Deutschland aus tschechischer Sicht auf die Seite der Risikoländer geschlagen.
Natürlich wäre eine europäische Lösung das beste gewesen. Allerdings ist sie auch weiterhin noch möglich. Der Austausch funktioniert. Tschechien hat eine Ausnahmeregelung zugelassen, die auch Pendlern ermöglicht, im kleinen Grenzverkehr auf Arbeit zu kommen. Nach Intervention durch den österreichischen Innenminister wurde dieser Radius sogar auf 100 Kilometer vergrößert. Nicht für alle ist das aufgrund großer Umwege machbar. Aber diese Regelung gilt in beiden Richtungen. Dahinter steckt das Bewusstsein, dass eine weitere Ausbreitung des Coronavirus weniger durch Arbeitspendler entsteht, sondern vielmehr durch den ungesteuerten Tourismus. Die Zahl der Touristen ging allerdings sogar im sonst schon um diese Jahreszeit gut besuchten Prag zuletzt deutlich zurück.
Premier Andrej Babiš hat bekräftigt, die Maßnahmen jederzeit zu verschärfen, so dies nötig sei. Über kurz oder lang werden Deutschland bzw. die Bundesländer ähnliche Maßnahmen ergreifen, wenn sie es mit der Verlangsamung bzw. Eindämmung der Infektionen ernst meinen. Und auch sie dürfen das. Übrigens, wo kein Kläger, dort kein Richter. Kein Land – und erst recht nicht Brüssel – wird jetzt ernsthaft einschreiten wollen, wenn Länder wie Tschechien, Österreich oder die Slowakei ihre Grenzen schließen.
Jemand machte dieser Tage ein Angebot: Lasst uns darauf hoffen, dass durch die harten Maßnahmen die weitere Ausbreitung des Coronavirus gestoppt wird, alle Infizierten wieder gesund werden bzw. die Zahl der Toten nicht wesentlich weiter steigt. Danach darf dann ruhig kritisiert werden, dass die Maßnahmen überzogen waren. Mit diesem Deal könnte ich gut leben.