Die Tschechisch-Deutschen Kulturtage sind aktuell in vollem Gange. Noch bis 10. November bringt das Festival die Region zwischen Dresden und Aussig in Schwung.
Das tschechisch-deutsche Jazzorchester Concept Art Orchestra sorgte für den Auftakt der diesjährigen Tschechisch-Deutschen Kulturtage am 24. Oktober. Das war so ganz nach dem Geschmack all jener, die sich für den deutsch-tschechischen Austausch einsetzen. Denn dass in dem Ensemble gleich vier ständige Mitglieder aus Deutschland spielen, hat keine Projektförderung geschafft. Den Musikern geht es um die Sache. Für den Auftritt in Dresden stießen sogar noch drei Mitglieder des Jugend-Jazzorchesters Sachsen (JJO) hinzu, um eine Komposition von Orchesterleiterin Štěpánka Balcerová aufzuführen, die sie für eben jenes JJO geschrieben hatte. Nicht nur in den ehrwürdigen, schon etwas mit Patina besetzten großen Veranstaltungssaal des Zentralwerks in Dresden-Pieschen brachte das Orchester Schwung.
Verbindendes Motto
Schwung, oder eigentlich Švunk, lautet nämlich auch das Motto der schon 26. Ausgabe dieses Festivals. Schon das Wort erzählt seine eigene deutsch-tschechische Geschichte, gehört es doch zu dem reichen Wortschatz, den Tschechen von ihren deutschen Mitbürgern über die Jahrhunderte übernommen und in die tschechische Sprache integriert haben. Es überrascht also nicht, dass das Motto vom tschechischen Partner des Festivals, dem Öffentlichen Saal Hraničář in Aussig (Ústí nad Labem), eingebracht wurde. Der rührige Verein, dessen Haus einst die deutschböhmische Sozialdemokratie in Aussig beherbergte, ist seit diesem Jahr offizieller und hauptverantwortlicher Partner des Festivals. Auf deutscher Seite strickt wie gehabt die Euroregion Elbe/Labe das Programm zusammen.
Damit hatten die Tschechisch-Deutschen Kulturtage erstmals nicht nur ein gemeinsames Motto, sondern sogar eins, das auf beiden Seiten der Grenze identisch geschrieben wurde. Die deutschen Partner nahmen das aus Tschechien eingebrachte Motto gern an, um der fehlenden Zuversicht und dem nicht enden wollenden Strom schlechter Nachrichten etwas Positives entgegenzusetzen. Und wem gelingt das besser als gerade den tschechischen Nachbarn, wie Dirk Hilbert, Präsident der Euroregion Elbe/Labe und Oberbürgermeister von Dresden, in seiner Eröffnungsrede treffend feststellte: „Die Tschechen haben eine bewundernswerte Eigenschaft: Sie schaffen es, auch in schwierigen Zeiten ihren Humor nicht zu verlieren.“
Auch der tschechische Vizeaußenminister Eduard Hulicius unterstrich die Bedeutung der Tschechisch-Deutschen Kulturtage: „Sie können uns durch positive Beispiele von Persönlichkeiten aus Vergangenheit und Gegenwart inspirieren, die sich für Freiheit und Demokratie eingesetzt, die Angst überwunden und sich gegen Ungerechtigkeit stellten, obwohl das negative Folgen für ihr berufliches oder persönliches Leben hatte.“
Knapp 100 Veranstaltungen
Diesem Anspruch wurde das Festival mehr als gerecht. So stellte Tomáš Kraus das Buch seines Vaters František Kraus „Gas, Gas … und dann Feuer“ vor, das nach 79 Jahren vom verdienstvollen kleinen Leipziger Verlag Hentrich & Hentrich herausgegeben wurde. Der jüdische Publizist hatte bereits kurz nach Kriegsende 1945 eines der frühesten Zeugnisse des Holocaust abgelegt, wenn nicht sogar das früheste, zumal das Buch noch im gleichen Jahr erschien.
Die Forscherin Pavla Plachá stellte ihre Studien zu tschechoslowakischen Frauen im KZ Ravensbrück vor. Zeitzeuge der Veranstaltung in der Dresdner Gedenkstätte Münchner Platz war Miroslav Kunštát, dessen Mutter Miroslava Kunštátová-Majerová aus politischen Gründen nach Ravensbrück deportiert worden war und dessen Onkel, also Bruder der Mutter, in der ehemaligen Hinrichtungsstätte am Münchner Platz von den Nazis ermordet worden war. Zwei von vielen eindrücklichen Veranstaltungen mit nicht gerade leichter Kost, die aber auf großes Interesse stießen.
Überhaupt steuerten die Kulturtage auf eines der besucherstärksten Jahre zu. Bei Redaktionsschluss nach sieben von 18 Veranstaltungstagen waren es bereits über 1500 Besucher. Gleichzeitig war das Programm mit knapp 100 Veranstaltungen eines der umfangreichsten der letzten Jahre. Das liegt daran, dass die Organisatoren zunehmend auch außerhalb Dresdens präsent sein möchten. Der kleinere Teil der Veranstaltungen findet auf der tschechischen Seite statt.
Ausflüge in die Region
Ganz oben auf der Beliebtheitsskala stand das Konzert der Letní kapela von Grafiker, Dichter und Musiker Jaromír 99, bei dem als Sondergast auch Jaroslav Rudiš auftrat. Die Kulturtage waren zugleich regelrechte Jaromír-99-Festspiele, kehrte der Künstler doch noch für eine Ausstellung seiner Arbeiten nach Dresden zurück. Absoluter Hit war auch der zweite Jahrgang des Marmeladenwettbewerbs „Jam Session“. Das noch junge Format hat sich schnell etabliert. Die Veranstalter hoffen das auch für die tschechische Literaturnacht am 9. November auf der Festung Königstein.
Besonders beliebt waren die geführten Ausflüge, sei es nach Aussig oder Prag, zum Schloss Groß Priesen (Velké Březno) mit Konzert, auf den Spuren der Moderne im sächsisch-tschechischen Grenzgebiet oder eine Wanderung durch verschwundene Orte des Böhmischen Mittelgebirges. In Gegenrichtung funktionierte das noch nicht ganz. Exkursionen in die Gartenstadt Hellerau oder nach Schloss Kuckuckstein waren weniger gut ausgebucht. Das Angebot soll aber mindestens beibehalten werden. Überhaupt ist zu erwarten, dass die Zusammenarbeit von Euroregion Elbe/Labe und Hraničář weitere Früchte trägt, die schon in diesem Jahr sichtbar waren.
Wie wichtig die Tschechisch-Deutschen Kulturtage nicht nur für die Präsentation tschechischer Kultur in Deutschland sind, zeigte sich gleich mehrfach. So war der Auftritt des Concept Art Orchestra in Dresden ihre erster und auch letzter in diesem Jahr. In Tschechien waren sie noch gar nicht aufgetreten. Für das Konzert von Fanfán Tulipán war das Konzert im ausverkauften Saxstall Pohrsdorf eine echte Frischekur. Die Jazzcombo kann sich zwar über fehlende Auftritte in Tschechien nicht ganz beklagen, konnte aber ihre neue CD vor vier Jahren wegen Corona zunächst auch nicht präsentieren. Nela Parmová (früher Rywiková) stellte ihr zweites Buch „Kinder der Wut“ vor, das in Deutschland noch recht neu, in Tschechien aber schon sieben Jahre alt ist und keinen Nachfolger finden konnte. Lesungen in Tschechien sind meist noch seltener und vor allem schlechter besucht, sagt sie. Kultur hat es in dieser von Corona, Inflation und Krieg beeinflussten Zeit immer noch nicht leicht. Insofern wurden die Tschechisch-Deutschen Kulturtage ihrem eigenen Motto mehr als gerecht.
Die Tschechisch-Deutschen Kulturtage finden noch bis zum 10. November statt. Ausführliche Programminformationen unter www.tdkt.info