Markus Meckel, der letzte Außenminister der DDR, blickt in seiner Autobiographie auf ein bewegtes Leben im Kontext großer politischer Umbrüche und Widerstand zurück.
Der protestantische Pfarrer war einer der Mitbegründer der sozialdemokratischen Partei der DDR (SDP), für vier Monate Außenminister der zerfallenden DDR und bis 2009 Mitglied des deutschen Bundestages. Warum die Erinnerung an die Verhandlungen um die Wiedervereinigung dennoch einen bitteren Nachgeschmack bei ihm hinterließen, erzählt er in seinem Werk „Zu wandeln die Zeiten“.
Vor 30 Jahren, am 12. September 1990, wurde in Moskau der Zwei-plus-Vier-Vertrag unterzeichnet, mit dem das vereinigte Deutschland seine Souveränität erlangte. Einer der sechs beteiligten Außenminister aber war nicht mehr anwesend: Markus Meckel. Der Sozialdemokrat hatte am 12. April desselben Jahres den Posten des Außenministers in der ersten und einzigen frei gewählten Regierung der DDR übernommen, musste diesen aber bereits am 20. August wieder verlassen. Seine Partei fühlte sich einmal mehr vom CDU-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière provoziert und kündigte, kurz vor dem Ziel der Wiedervereinigung, die Koalition.
Zum Beobachter degradiert
Nicht nur deshalb ist Meckels Blick zurück mit Bitternis erfüllt. Schon als er die Bühne der Zwei-plus-Vier-Diplomatie betrat, waren die Weichen weitgehend gestellt. Er könne hier zwar mitsprechen, bedeuteten ihm die Kollegen freundlich, aber bestimmt. Ändern aber könne er nichts. Die Kommunikationsstränge liefen an Berlin vorbei, die wesentlichen Entscheidungen fielen im Dreieck Washington-Bonn-Moskau.
Was Bundeskanzler Helmut Kohl und Michail Gorbatschow im Sommer 1990 im Kaukasus beredeten, erfuhr er aus den Medien. So war es auch, als Gorbatschow dem amerikanischen Präsidenten George Bush völlig unerwartet die NATO-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands zugestand. Meckel tappte im Dunkeln und verausgabte sich öffentlich weiter für seine Idee einer blockfreien, denuklearisierten Zone kollektiver Sicherheit in Mitteleuropa.
Kein Respekt für den Widerstand
Auch der Bonner Außenminister Hans-Dietrich Genscher und sein Amt hielten die „Amateure“ in Berlin möglichst fern vom Informationsfluss und Verhandlungsgeschehen. Noch jetzt ist Meckels Empörung über die „maßlose Anmaßung und Ignoranz“ der „Bonner“ zu spüren, als diese mit Moskau den Abzug der sowjetischen Truppen aus Deutschland, also vom Boden der DDR, ohne Teilnahme der DDR-Regierung verhandelten und vereinbarten. Ähnliche Gefühle bewegen ihn, wenn er schildert, wie Vertreter des Goethe-Instituts ihm vorschlugen, ihnen die wertvollen Immobilien der DDR-Kulturinstitute im Ausland zu überlassen, das Personal aber zu entlassen. In die gleiche Rubrik fällt Genschers Entscheidung, keinen einzigen DDR-Diplomaten in das Bonner Auswärtige Amt zu übernehmen, wohl aber eine Reihe von Botschaftsgebäuden. Sein Fazit: Es fehlte der Respekt gegenüber jenen, die eine Diktatur gestürzt und nun angetreten waren, den Vereinigungsprozess auf Augenhöhe zu gestalten.
Große Ziele
Was Meckels Erinnerungen auszeichnet, ist sein ungewöhnlich offener Umgang mit eigenen Unzulänglichkeiten und politischen Fehlern. Er selbst spricht von seiner „Lehrlingszeit als Politiker“. Dabei hatte er zum Amtsantritt in Sachen Sicherheit, Abrüstung und Zusammenarbeit hochgesteckte Ziele, beispielsweise zum Abzug der Atomwaffen oder zur Auflösung beider Militärblöcke. Doch fehlte es an Ressourcen, Personal und Einigkeit in der Koalition. Das größte Manko aber war die Zeit. Sie lief schneller davon als er ahnte. „Als der Schwächste und Unerfahrenste in der Runde der Außenpolitiker“, räumt er selbstkritisch ein, „hatte ich die weitreichendsten Ziele“.
Daran auch dann noch festzuhalten, als sie offensichtlich nicht umsetzbar waren, gehörte sicher zu seinen politischen Schwächen. Das Etikett eines „Überzeugungstäters“ lässt er durchaus für sich gelten.
Widerstand aus der Kirche
Hier kommt sicher ein Moment protestantischer Ethik ins Spiel, die dem Pastorensohn Markus Meckel bereits in die Wiege gelegt wurde. Sie wird den aufmüpfigen Theologiestudenten und späteren Pfarrer in dem kleinen mecklenburgischen Dorf Vipperow geleitet haben, den aufrechten Gang in der SED-Diktatur zu wagen und „die Zeiten zu wandeln“. Früh schon organisierte er unter dem Kirchendach Friedenskreise und Menschenrechtsseminare, suchte Mitstreiter in der ganzen DDR und im Westen. Olof Palme und Willy Brandt waren die Leitfiguren. Über lange Seiten hinweg liest sich dieser Teil des Buches wie ein „Who is Who“ der Oppositionsgruppen, die im Herbst 1989 das SED-Regime –unter dem Druck der Demonstrationen – zum Einsturz brachten. Anders als in der Tschechoslowakei waren es in der DDR vor allem Männer und Frauen der evangelischen Kirche, die den Stein ins Rollen brachten. Meckel ging dabei einen eigenen Weg: Ermutigt von Gorbatschows Perestrojka und der polnischen Solidarność gründete er mit anderen Pastoren die Sozialdemokratische Partei. Er saß mit am Zentralen Runden Tisch, der die Stasi entmachtete und den Weg zu den freien Wahlen am 18. März 1990 ebnete, in deren Ergebnis die Koalitionsregierung entstand, die Meckel zum Außenminister machte.
Wenn in diesen Tagen der 30. Jahrestag eines in Freiheit geeinten, von den Nachbarn geachteten Deutschlands gefeiert wurde, so ist dies für den ehemaligen DDR-Außenminister ein Glücksfall. Und doch bleibt ihm ein bitterer Nachgeschmack, festgehalten im Bild von Bundeskanzler Kohl vor dem Reichstag in der Pose des Siegers. So, als hätte er die Mauer geöffnet und die Einheit gebracht. Von den Bürgerrechtlern und Demonstranten der friedlichen Revolution ist so gut wie niemand zu sehen.
Markus Meckel, Zu wandeln die Zeiten – Erinnerungen
Evangelische Verlagsanstalt Leipzig
2. Auflage 2020