Franz Kafka ist einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Anlässlich seines 140. Geburtstages organisierte „Die Erzählerei” eine mehrteilige Veranstaltungsreihe, die am vergangenen Mittwoch mit einem Literaturspaziergang zu den wichtigsten Orten in Kafkas Leben und Schaffen ihren Abschluss fand.

“Prag lässt nicht los. Dieses Mütterchen hat Krallen.” Diese Zeilen schrieb der 19-jährige Franz Kafka an seinen Jugendfreund Oskar Pollak. Sein gesamtes Leben verbrachte Kafka überwiegend in Prag – genauer im historischen Stadtkern von Prag. Anlässlich des 140. Geburtstags des Weltautors organisierte der gemeinnützige Verein „Die Erzählerei“ die mehrteilige Veranstaltungsreihe “Kafka Superstar: Weltautor – Kosmopolit – Mensch”, über den Schriftsteller und seine Werke. Am 6. September fand der abschließende literarische Spaziergang „Kafkas Prag – Prags Kafka“ statt. Der Berliner Erzähler und Kafka-Kenner Przemek Schreck führte eine Gruppe von rund 40 Tschechen und Deutschen an jene Orte, die Kafkas Leben prägten. Anekdoten, Witz und Wissen über den Prager Schriftsteller begleiteten die Führung.

Schwere Kindheit und das komplizierte Verhältnis zum Vater 

Der literarische Spaziergang startete vor dem Haus der Minute in der Nähe des Altstädter Rings, jenem Ort, an dem Kafka die ersten und prägendsten Jahre seiner Kindheit verbrachte. In seinen Briefen berichtete er später immer wieder über die traumatischen Erlebnisse, welcher er als Kind hier erlebte. Hier beginnt auch Schreck mit seinen Geschichten über den jungen Kafka. Die Familie lebte gemeinsam mit einer Handvoll Personal unter einem Dach. Eine der Köchinnen hatte es auf den jungen Franz abgesehen. Sie drohte ihm täglich damit, ihn bei seinen Lehrern zu verraten und ihnen zu erzählen, dass er unartig gewesen sei. Kafka entwickelte eine ihn permanent begleitende Furcht vor den drohenden Konsequenzen. Jedoch sei es nie dazu gekommen, dass die Köchin ihn tatsächlich bei den Lehrern verriet, erzählt Schreck. Die andauernde Furcht vor einer Strafe, der jedoch nie ein Vollzug folgte, bildete schließlich ein Motiv, welches sich später in seinem Werk „Der Prozess“ wiederfinden lässt. In diesem Werk wird der Protagonist angeklagt und Teil eines Gerichtsverfahrens, jedoch erhält er nie eine Strafe.

Vorbei am Franz Kafka Platz führt Schreck die Gruppe auf den Altstädter Ring, wo der Vater ein Galanteriewarengeschäft führte. “Das Leben des jungen Franz war geprägt von Furcht und Unsicherheiten. Furcht vor einem tyrannischen und herrischen Vater, dem der soziale und wirtschaftliche Aufstieg wichtiger war als alles andere. Der selbst an seinem Hochzeitstag die Hochzeitsgesellschaft in sein Geschäft schleift und ihnen die prall gefüllten Regale stolz präsentiert.” Das konfliktreiche Verhältnis zu seinem Vater gehört zu den zentralen und prägenden Motiven in Kafkas Werken, erklärt Pzekmek Schreck.

Am literarischen Spaziergang nahmen rund 40 Deutsche und tschechische Kafka-Interessierte teil. Foto: Die Erzählerei

Als Kafka anfängt zu schreiben

An der Pariser Straße stoppt die Gruppe erneut. Przemek pfeift die Zuhörenden zusammen und fährt enthusiastisch mit der Schulzeit von Kafka fort. Unweit des Altstädter Rings befanden sich Kafkas Grundschule und das Gymnasium. Kafka besuchte eines der strengsten Gymnasien der Stadt. Täglich musste er unzählige altgriechische und lateinische Texte lesen und auswendig lernen. Auf ihm lastete ein großer Druck – Versagen kommt nicht in Frage, zu groß ist die Angst vor dem Vater. Und obwohl Kafka alle Fächer außer Mathematik und Gymnastik mit vorzüglichen Leistungen abschließt, gerät er bereits in der Grundschule in einen Zustand des ewigen Nicht-Genügens, erzählt Schreck.

Die Lektüre der alten Schriften legte jedoch den Grundstein für sein eigenes Schreiben. Bereits im Alter von zwölf Jahren begann er selbst mit dem Schreiben. Jedoch ist heute kaum noch etwas von seinen ersten Schriften zu finden, da er diese (rund 6000 Seiten) verbrannte.

Der begeisterte Geschichtenerzähler führt die Gruppe weiter vor ein anmutig wirkendes Haus auf dem Altstädter Ring: das Haus “Zum Einhorn”. Das Einhorn – ein Bock mit nur einem Horn – steht auf einem Podest an der Mauer des Hauses. Ein Freund Kafkas überredete ihn, dort gemeinsam den Literarischen Salon, wo sich die Prager Boheme zu literarischen Lesungen trifft, besuchen. Nachdem er einige Male an dem Salon teilnahm, verlor er aber schnell das Interesse, denn Kafka fühlte sich eher in kleineren Gruppen wohl. Zu seinen engen Freunden zählten Max Brod, Felix Welsch und Oskar Baum. “Jedoch”, Przemek dreht sich zur Gruppe, hebt den Finger, als sei ihm folgende Erwähnung besonders wichtig, “den sogenannten geheimen Prager Kreis, wie er so gerne in der Literatur und auf Wikipedia beschrieben wird, gab es so nicht, das ist Quatsch.”  Besonders die Freundschaft zu Brod sei für Kafka von großer Bedeutung gewesen, da dieser unentbehrlich an Kafkas literarisches Talent glaubte und ihn bestärkte. Immer wieder drängte er ihn, weiterzuschreiben und zu publizieren. Max Brod vermittelte Kafka außerdem seine erste Publikation beim Rowohlt Verlag in Leipzig

Ein Leben in einem kleinen Radius 

Viel Bewegung bekommt die Gruppe an diesem Abend nicht, denn alle wichtigen Stationen Kafkas liegen nur wenige Meter auseinander. Schnell fällt auf: Kafkas Leben war eng verbunden mit der Prager Altstadt und dem Altstädter Ring. Kafka lebte zudem fast sein ganzes Leben bei seinen Eltern. Mit 30 Jahren stand er zum ersten Mal vor der Aufgabe, sich eine eigene Wohnung suchen zu müssen, da seine Schwester sein Zimmer bei den Eltern bezog. Im Haus “Zum  Goldenen Hecht”  wurde er fündig und bezog bald darauf eine Wohnung, welche Fenster zu allen Seiten besaß. In dieser Wohnung verfasste Kafka rund 620 Briefe an seine Geliebte Felice, die Frau, mit der Kafka zwei Mal verlobt war, sie aber nie heiratete. “Die beiden zermürbten sich“, lacht Schreck.

Auf dem Platz vor dem Café Katr, ganz in der Nähe der Spanischen Synagoge, hält die Gruppe erneut. Przemek Schreck, auch nach zweieinhalb Stunden Führung ist in seinem Gesicht kein bisschen Erschöpfung zu erkennen, fährt enthusiastisch fort: “Für Kafka war eines entscheidend: Er brauchte immer einen Reiz, bevor er schrieb. Ob dieser Reiz positiv oder negativ war, ist nicht entscheidend.”

Warum das Café Katr wohl eine wichtige Rolle in Kafkas Leben spielte, fragt Schreck in die Runde. Eine kleine Frau hebt den Arm und weiß die Antwort: “Eine Besonderheit in Kafkas Werken ist die Verlangsamung der Handlungen. Er stoppt eine Handlung und fängt an, Details zu beschreiben. Auf den ersten Blick scheinen diese Details nie relevant, erst gegen Ende ergeben sie Sinn. Diese Art des Beobachtens schaute sich Kafka im Café Katr von einer jüdischen Theater-Wandergruppe ab, welche ihre Stücke kürzen, um Mimik und Gestik Zeit zu widmen“, erklärt sie. 

Am Café Katr endete der Spaziergang. Mit tosendem Applaus bedankte sich die Gruppe bei Przemek Schreck und der Dolmetscherin, die Schrecks Erzählungen ins Tschechische übersetzte. 

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