Am 20. und 21. Mai ermöglicht das „Open House Praha“ Festival zum neunten Mal, Gebäude in Prag zu besichtigen, die normalerweise für die Öffentlichkeit unzugänglich sind. Dabei sind alle möglichen architektonischen Stile vertreten, sowohl historische als auch moderne. Einige von ihnen haben auch eine deutsche Geschichte. Das Begleitprogramm beginnt bereits am kommenden Montag.

Prag war früher eine zweisprachige Stadt. Deutsche haben dort über Jahrhunderte gelebt und das Stadtbild nachhaltig geprägt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie vertrieben, womit der Großteil der deutschen Kultur aus der damaligen Tschechoslowakei verschwand. Deutsche lassen sich in der Prager Architektur aber teilweise heute noch verfolgen. Welche Gebäude und Gelände eine deutsche Geschichte haben, kann man auch beim Festival „Open House Praha“ nachspüren: Das Festival ermöglicht es Architektur- und Geschichtsbegeisterten, an zwei Tagen mehr als 100 Gebäude in Prag zu besichtigen, die der Öffentlichkeit sonst verschlossen bleiben.

Die Villa Grab

Eine davon ist die Villa Grab im Stadtteil Libeň. Gebaut wurde sie im Jahr 1895 auf Wunsch der österreichischen jüdischen Industriefamilie Grab, die die Villa als Familienwohnsitz nutzte. Knapp 30 Jahre später folgte ein Umbau, der die Villa vergrößerte und durch den sie ihr heutiges Aussehen erlangte. Im 20. Jahrhundert diente sie verschiedenen Zwecken: So war die Villa zeitweise ein Mädchenheim, eine Kindertagesstätte, eine medizinische Fakultät – und zur Zeit des Nationalsozialismus das Hauptquartier der Hitlerjugend. Die Gestapo beschlagnahmte damals alle Immobilien und alles Eigentum von Juden, so auch die Villa. Während der Luftangriffe der Alliierten im März 1945 wurde das Gelände von vier Bomben getroffen und teilweise zerstört. Zudem lieferte sich die Hitlerjugend eine Schießerei mit tschechischen Patrioten, wodurch die Villa ebenfalls beschädigt wurde. Heute dient sie als Verwaltungsbüro für den Stadtteil Libeň.

Friedhof Straschnitz

Zudem ist es möglich, den evangelischen Friedhof in Straschnitz (Strašnice) und das Bestattungshaus zu besichtigen. Der Friedhof entstand um 1795 und diente hauptsächlich zur Bestattung von Deutschen. Zu den bedeutendsten dort begrabenen Persönlichkeiten gehören unter anderem der Škoda-Chefkonstrukteur Oscar Dolch, der jüdische Geschäftsmann Moritz Gröbe und der Opernsänger Wilhelm Elsner. Von 1945 bis 2015 wurde der Friedhof nicht genutzt, es stand sogar zur Debatte, ihn aufzulösen und für die Freizeitnutzung umzugestalten. Seit 2002 ist er in der Liste der Kulturdenkmäler eingetragen und seit 2015 ist es wieder möglich, dort eingeäscherte Überreste zu verteilen oder zu lagern.

Die Villa des jüdischen Geschäftsmannes Moritz Gröbe wurde vom Architekten Barvitius erbaut. Foto: Open House Praha

Würdigung der Architekten

Die Villa von Moritz Gröbe kann ebenfalls während des Festivals besichtigt werden. Sie wurde in den 1870er-Jahren im Stadtteil Vinohrady erbaut und steht im Park Havličkovy sady/ Grébovka. Gröbe nutzte sie als Sommerresidenz. Die Neorenaissance-Villa ist das Werk des Architekten Antonín Viktor Barvitius, der während des Festivals besonders gewürdigt wird.

Zu Ehren Barvitius und des Architekten Karel Prager, deren Geburt und Tod genau 100 Jahre auseinander liegen, gibt es bereits ab dem 15. Mai ein Begleitprogramm. Barvitius als Vertreter der Neorenaissance in Tschechien und Prager als brutalistischer Visionär spielten eine große Rolle bei der Gestaltung des Prager Stadtbilds. Zu dem Begleitprogramm gehören neben Vorträgen und Debatten über ihr Schaffen und ihren Stil auch geführte Besichtigungen durch ihre bekanntesten Bauten. Dazu gehört unter anderem das von Prager entworfene Gebäude für die Tschechoslowakische Föderale Versammlung, dem Tschechoslowakischen Parlament ab 1969, in dem sich heute der neue Teil des Nationalmuseums befindet.

Einblick in Ministerien

Zudem ist es möglich, das private Apartment für den Bürgermeister zu besichtigen, welches sich im dritten Stock der Stadtbibliothek in der Altstadt befindet. Das wurde zwar nur von Karel Baxa genutzt, dem ersten Oberbürgermeister (Primator) von Prag, die beeindruckenden Räumlichkeiten im Art-Nouveau- und Art-Deco-Stil sind nichtsdestotrotz einen Besuch wert. Als „Meisterwerk der barocken Architektur“ wird von den Veranstaltern das Černín-Palais betitelt, in dem sich das tschechische Außenministerium befindet. Dort werden nicht nur verschiedene Räume im Inneren gezeigt, sondern auch der zum Palast gehörende Garten. Ein weiteres Highlight im Programm ist das Verkehrsministerium am Moldau-Ufer – ein Labyrinth aus mehr als acht Kilometern an Gängen und knapp 850 Räumen. Das neoklassische Gebäude ist besonders interessant für James-Bond-Fans, denn hier wurde ein Teil des 2006 erschienenen „Casino Royale“ gedreht.

Das Festival „Open House Praha“ startet am 15. Mai mit einem Begleitprogramm, zu dem Kunstausstellungen und geführte Touren gehören. Am 20. und 21. Mai von 10 bis 18 Uhr können mehr als 100 Gebäude in ganz Prag kostenlos besichtigt werden. In diesem Jahr sind auch 27 Neuzugänge dabei, so zum Beispiel das „DOCK IN FIVE“ in Libeň und das „PORT7“ am Moldau-Ufer im Stadtteil Holešovice.

Das ganze Programm und alle im Rahmen des Festivals begehbaren Gebäude finden Sie auf www.openhousepraha.cz.

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