An einem sonnigen, aber kalten Tag im März besuchte unser Landesblogger Luis die Josephstadt (Josefov), das jüdische Viertel von Prag. Ein Ort zum Innehalten mitten in der Innenstadt.
An der Straßenbahnhaltestelle Staroměstská steige ich aus und biege, nachdem ich das Gebäude der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität passiert habe, nach rechts in die Straße Široká ein. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite fällt mir ein längliches Gebäude mit einer hellen, glatten Fassade und einem roten Ziegeldach ins Auge. Besonders auffällig sind die gotischen Fenster mit steinernen Rundbögen und der Davidstern an der Außenwand. Es handelt sich um die Pinkas-Synagoge, vor der sich eine kleine Schlange von Touristen gebildet hat. Für mich und die anderen Besucher sollte sie als Eingangstor in eine andere Welt, umgeben von der Prager Altstadt, dienen.

Erbaut wurde sie 1535 von Aron Meschullam Zalman Horowitz, einem der bedeutendsten Mitglieder der Prager Judengemeinde, als Privatbethaus. Sein Enkel, der Rabbiner Pinkas Horowitz, gab dem Gebäude den Namen „Pinkas-Schule“. Heute ist die Pinkas-Synagoge nicht nur ein bedeutendes historisches Denkmal, sondern auch eine zentrale Gedenkstätte für die Opfer des Holocausts. Verwaltet wird sie vom Jüdischen Museum in Prag. Der Eintritt als Student unter 26 Jahren kostet mich 400 Kronen (ca. 16 Euro).
Die Synagoge als Mahnmal
Während ich durch die Synagoge gehe, kann ich mir kaum vorstellen, dass sie einst als Gebetsraum diente. Zwischen 1954 und 1959 wurde das Gebäude zu einem Denkmal für die Opfer des Holocausts umgestaltet. Die Wände des Hauptschiffs und der Galerie sind heute mit den Namen von fast 80.000 Opfern bedeckt – alphabetisch nach den Städten ihres letzten Wohnsitzes geordnet. Besonders beeindruckend finde ich, dass diese Namen ohne Schablonen und von Hand aufgetragen wurden. Jeder Name ist ein Zeugnis für das Leben, das einst war. Die Namen erinnern uns heute an das unvorstellbare Leid des Holocausts und mahnen uns, niemals zu vergessen.
Diese Erinnerung wird im ersten Stock der Synagoge weitergetragen, wo ich die Dauerausstellung „Kinderzeichnungen aus Theresienstadt“ besuche. Die über 4000 Zeichnungen von jüdischen Kindern, die während ihrer Haft im Konzentrationslager Theresienstadt gemalt wurden, bewegen mich besonders. Diese Bilder sind nicht nur Kunstwerke, sondern auch direkte Ausdrucksformen des Leidens, der Angst und der Wünsche der Kinder, von denen die meisten nicht überlebten.

Der Alte Jüdische Friedhof
Weiter führt mich mein Ausflug zum angrenzenden Alten Jüdischen Friedhof, der zu den bekanntesten jüdischen Friedhöfen Europas zählt und im 15. Jahrhundert angelegt wurde. Ein schmaler Weg, dem ich folge, schlängelt sich zwischen den vielen Grabsteinen und unter den Bäumen hindurch. Unvorstellbar, dass hier über 100.000 Menschen begraben liegen sollen. Mehr als 12.000 Grabsteine finden sich hier dicht an dicht. Aus Platzmangel auf dem kleinen Friedhof wurden die Toten hier in mehreren, teils bis zu zwölf Schichten übereinander bestattet. Durch die verschiedenen Lagen der Erde bildete sich ein Auf und Ab, es entstanden Hügel und die vielen Grabsteine schoben sich ineinander und aufeinander. Ein bizarres, chaotisches – und gleichzeitig auch ruhiges Bild, das mich für einen Augenblick zum Nachdenken und Innehalten bringt.
Nachdem ich diesen eindrucksvollen Ort hinter mir lasse, gelange ich auf der anderen Seite des Friedhofs durch ein kleines Tor auf die öffentliche Straße namens U starého hřbitova. Zu meiner Linken sehe ich die Zeremonienhalle der Beerdigungsbruderschaft, ein neoromanisches Gebäude aus dem Jahr 1912. Diese Halle diente früher der Prager Jüdischen Beerdigungsbruderschaft für Trauerfeiern und Zeremonien und ist heute noch ein wichtiger Ort für religiöse Rituale. Derzeit wird sie renoviert, ebenso wie die Klausen-Synagoge, die sich direkt daneben befindet. Die barocke Synagoge wurde nach dem verheerenden Brand von 1689 errichtet und 1694 fertiggestellt. Sie ist die größte Synagoge des Prager Ghettos und galt einst als die zweitwichtigste Synagoge der jüdischen Gemeinde Prags. Bis 2012 beherbergte sie eine Ausstellung des Jüdischen Museums zu jüdischen Traditionen und Bräuchen. Seitdem wird die Klausen-Synagoge umfassend restauriert. Die Arbeiten sollen voraussichtlich noch bis 2028 andauern. Die neue Ausstellung im Zeremoniensaal soll dagegen schon Ende dieses Jahres eröffnet werden.
Die Legende vom Golem und die Altneu-Synagoge
Ich folge der Straße weiter, auf der sich zahlreiche Touristen herumtreiben und die kleinen Souvenir-Lädchen begutachten. Ein Souvenir, das ich besonders häufig sehe, ist der Golem. Die Legende besagt, dass Rabbi Löw, ein berühmter Gelehrter des 16. Jahrhunderts, dessen Grab sich auch auf dem Alten Jüdischen Friedhof befindet, den Golem aus Lehm erschuf, um das jüdische Ghetto vor Bedrohungen zu schützen. Er war ein mächtiges, aber stummes Wesen, das mit einem geheimen Wort zum Leben erweckt wurde. Doch eines Tages geriet der Golem außer Kontrolle, und der Rabbi musste ihn stoppen. Angeblich liegt der leblose Körper des Golems bis heute auf dem Dachboden der Altneu-Synagoge verborgen, weshalb dieser für Besucher nicht zugänglich ist. Die gerade erwähnte Altneu-Synagoge wartet am Ende der Straße auf mich. Sie ist die älteste noch genutzte Synagoge Europas, und ihre gotische Architektur sticht mir sofort ins Auge, da sie sich vollkommen von ihrer Umgebung abhebt. Anschließend besuche ich noch weitere Synagogen wie die Maisel-Synagoge oder die Spanische Synagoge, die sich einige Straßen weiter weg befinden.
Mein Besuch des Jüdischen Museums im Stadtteil Josefov war eine eindrucksvolle Reise durch die Zeit. Die Mischung aus Geschichte, Erinnerung und Kultur hat mich schwer beeindruckt. Besonders die Pinkas-Synagoge mit den Tausenden von Namen der Holocaust-Opfer und der Alte Jüdische Friedhof mit seinen eng gedrängten Grabsteinen bleiben mir im Gedächtnis. Diese Orte erzählen von einer jüdischen Gemeinschaft, die über Jahrhunderte hinweg trotz zahlreicher Verfolgungen und Herausforderungen überlebt hat.
Das jüdische Viertel in Prag ist gut mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar und kann frei erkundet werden. Wer jedoch die historischen Innenräume der Synagogen sowie den Friedhof besichtigen möchte, benötigt ein Ticket. Ein Ticket kostet 600 CZK (ca. 24 Euro) für Erwachsene, 400 CZK (ca. 16 Euro) für Studierende bis 26 Jahre, 100 CZK (ca. 4 Euro) für Menschen mit Behinderung. Für Kinder bis 6 Jahre ist der Eintritt kostenlos. Die Öffnungszeiten variieren je nach Saison. Aktuell sind die Sehenswürdigkeiten montags bis freitags sowie sonntags von 9.00 bis 16.30 Uhr geöffnet. Samstags und an jüdischen Feiertagen bleibt das gesamte Areal des Jüdischen Museums geschlossen.
Mehr Informationen finden Sie auch unter www.jewishmuseum.cz oder unter https://www.pragtourist.cz/das-judische-viertel/
.