Bis heute ist die älteste Eisenbahnbrücke Prags in Betrieb. Foto: Detmar Doering

Die älteste Eisenbahnbrücke Prags, die zweitälteste aller Brücken der Stadt, immer noch die längste Eisenbahnbrücke der Moldaumetropole und lange Zeit sogar die längste Brücke Europas – es besteht keine Frage, dass das Negrelli-Viadukt zu den historisch herausragenden Technikdenkmälern der Goldenen Stadt gehört.

Mit über 1110 Metern verbindet die Eisenbahnbrücke die beiden Stadtteile Karlín und Holešovice, die zur Zeit des Baus der Brücke übrigens noch eigenständige Städte waren. Sie ist dabei die älteste der drei Brücken, die bei der Überquerung der Moldau die Štvanice-Insel (Ostrov Štvanice) kreuzt. Die anderen sind die Hlávka-Brücke (Hlávkův most, eine Autobrücke) von 1912 und die neue Štvanice Brücke (Štvanická lávka, für Fußgänger) von 2023. Unter ihnen ist sie auch die einzige reine Eisenbahnbrücke.

Bis 1910 war sie die längste Brücke Europas, danach immerhin noch lange Zeit die längste Brücke in Prag, bis im Oktober 2010 die Radotín Brücke (Radotínský most) eingeweiht wurde. Dabei handelt es sich um eine Autobahnbrücke, die es auf 2281 Meter Länge bringt. Immerhin ist das Negrelli-Viadukt somit immer noch die längste Eisenbahnbrücke in Prag! Ach ja, auf der Štvanice-Insel quert sie teilweise eine schöne Parklandschaft, die die optische Wirkung der klassischen Bögen schön verstärkt (Bild unten).

Die Brücke war Teil des Projekts einer vernetzten Bahnstrecke Wien-Prag-Dresden und wurde für die 1840 gegründete k.k. staatliche Nordbahn entworfen. Die Baugenehmigung erfolgte 1842, was dann auch der Startschuss für die Planung war. Der General-Inspektor der Nordbahn (seit 1842) war Antonio Negrelli, einer jener großen Technikpioniere des 19. Jahrhunderts, der sich den 1850 verliehenen Adelsnamen Alois Ritter Negrelli von Moldelbe verdient gemacht hatte.

Negrelli hatte sich bereits international durch große Eisenbahnprojekte und andere Infrastrukturprojekte (wie Kanäle) einen Namen gemacht. Später, im Jahr 1856, sollte er als Vertreter der österreichischen Regierung bei der Internationalen Kommission für die Durchstechung der Landenge von Suez (Commission Internationale pour le percement de l’isthme des Suez) Geschichte machen, als sich sein Plan, den Suez-Kanal schleusenlos zu bauen, durchsetzte, womit er unzähligen Kapitänen später viel Mühe und Zeit bei der Durchfahrung ersparte.

Die Entstehung der längsten Eisenbahnbrücke Prags

Zur Planung der Brücke hatte Negrelli zuerst den begabten böhmischen Ingenieur Jan Perner herangezogen, der schon die Planung der Strecke Prag-Dresden besorgt hatte. Der liebte es irgendwie, sich beim Reisen mit der Eisenbahn, den Fahrtwind um die Nase wehen zu lassen. Im September 1845 lehnte er sich so weit aus dem Fenster, dass sein Kopf an einen Signalpfosten schlug und er einen Tag später starb. Er war das erste Opfer eines Eisenbahnunfalls in Böhmen. Sein Vorgesetzter Negrelli übernahm nun die weiteren Planungen, und 1846 begannen die Bauarbeiten. Am 1. Juni 1850 rollte der erste Zug über Prags erste Eisenbahnbrücke.

Wie kam es zu der damals rekordhaltenden Länge der Brücke? Von einem Ufer zum anderen sind es maximal 400 Meter, und das rechnet die rund 130 Meter, die das Viadukt über das Land der Štvanice Insel läuft, mit ein. Es sind also nur um die 270 Meter (eher ein wenig weniger), die die Brücke über den eigentlichen Fluss fährt. Nun, die Strecke, die über das Viadukt führt, beginnt beim heutigen Masaryk-Bahnhof (Masarykovo nádraží), der damals natürlich nicht nach dem Republikgründer (1918) und Präsidenten benannt war.

Als der Kopf-Bahnhof 1845 für die Nordbahnlinie mit dem Viadukt gebaut wurde, gab es noch keinen anderen Bahnhof in der Stadt, weshalb der Name Praha (Prag) genügte. Dieser Bahnhof lag höher als das Ufer, d.h. er befand sich auf der Höhe des geplanten Schienenniveaus. Das machte eine Viaduktkonstruktion, die das Höhenniveau durchgängig beibehält, sinnvoll, aber die Brücke geriet dadurch recht lang. Vom Bahnhof aus sollte der Zug nun in einem Linksbogen gen Norden ohne Gefälle über die Brücke fahren.

Erweiterung des Viadukts

Negrelli schuf dafür eine stabile Steinkonstruktion, die ästhetisch an ein römisches Viadukt erinnerte. 76 der Brückenfelder wurden daher in klassischen Rundbögen in Halbkreisform gestaltet, mit Spannweiten zwischen 6,39 und 10,75 Metern. An einigen Stellen waren aus technischen Gründen weitergespannte Segmentbögen nötig, zu denen auch die acht Bögen über der Moldau selbst gehörten, die eine Spannweite von über 25 Metern haben. Daneben gab es aus verkehrstechnischen Gründen kleinere Segmentbögen, sodass es insgesamt 87 Bögen gibt. 3000 Arbeiter arbeiteten auf der Baustelle.

Über den Fluss wurden Granitblöcke herangeschafft, die dann vor Ort verarbeitet wurden. Erstmals kamen bei einem Brückenbau Dampfhebemaschinen zum Einsatz. In zwei Brückenpfeilern über der Moldau mussten übrigens zwei Kammern eingebaut werden, die 130 Kilogramm Sprengstoff enthielten. Das Militär hatte der Baugenehmigung nur zugestimmt, wenn sichergestellt war, dass im Kriegsfall der Feind sie nicht nutzen könnte. Gottlob trat der Ernstfall nie ein, sodass Prag keines seiner Baudenkmäler verlor.

Im Jahre 1871 ergänzte man die Brücke um ein zusätzliches Viadukt, das über der Křižíkova, der Hauptstraße Karlíns, mit dem alten Viadukt zusammenlief und bogenförmig nach Nordosten führte. Damit stellte man eine Verbindung Richtung Libeň her. Das neue Viadukt war 345 Meter lang und bestand nun aus 10 Bögen aus Stein und 16 aus Ziegeln. Bei der Überquerung der breiten Pernerová (eine Verkehrsschlagader Karlíns, die nach dem armen verunglückten Jan Perner benannt wurde) baute man allerdings eine nicht-bogenförmige Stahlbrücke mit einer Spannweite von 29,51 Metern. Diese Brücke wurde 1951 durch eine neue Stahlbrücke ersetzt. Dort, wo die beiden Viadukte zusammenlaufen, steht heute noch auf Gleishöhe ein kleines, im gleichen Jahr gebautes Stellwerk.

Weiterentwicklung und Anpassung

Das nunmehr vergrößerte Viadukt durchlief noch mehrere kleinere Veränderungen. Immer wieder beschwerte man sich schon Ende des 19. Jahrhunderts, dass die Brücke irgendwie die Verkehrsachsen des (zusammen-)wachsenden Prags zerschnitte und somit ein Verkehrshindernis sei. Das konnte ihr zunächst nichts anhaben. Erst 1952 bis 1954 riss man drei Bögen bei der Křižíkova ab und ersetzte sie durch eine moderne Brücke aus Spannbeton. Die Verkehrssituation in der sehr befahrenen Křižíkova, die sich beim großen Busbahnhof befindet, wurde aber dadurch verbessert.

Einen ähnlichen Eingriff erlaubte man sich 1981 direkt am Ufer von Holešovice, um die ebenfalls sehr befahrene Uferstraße (die zur nördlichen Autobahn führt) weniger stauanfällig zu machen. Ansonsten blieb aber im Großen und Ganzen die Granitkonstruktion des ursprünglichen Viadukts voll erhalten. Die hat sich auch bewährt als 2002 das große Hochwasser kam, das an Uferbefestigungen und Brücken viel Schaden anrichtete. Es kam der Brücke nämlich zu Gute, dass der Baubeginn unmittelbar nach dem großen Hochwasser von 1845 (dem bis damals heftigsten seiner Art) gewesen war, bei dem der höchste Pegelstand nur weniger als 10 cm geringer war als der von 2002. Jedenfalls überstand das Viadukt die Flut quasi ohne einen Kratzer.

Restaurierung der Eisenbahnbrücke

Damit sang sie übrigens auch ein Loblied auf den Erbauer, Alois Negrelli. Den ehrt man mit der Benennung des Viadukts nach ihm übrigens erst seit den 1950er Jahren. Vorher verwendete man meist eher phantasielose Bezeichnungen wie „Eisenbahnviadukt von Karlin nach Holešovice“. Nun ja, lieber eine späte Ehrung als gar keine. Heute erinnert sogar eine große Gedenktafel an einem Pfeiler auf der Insel an Negrellis Meisterwerk. Das wiederum bedarf ständiger Pflege. Denn natürlich nagt der Zahn der Zeit auch an einem solchen Gebäude. 2010 beschloss man eine Generalsanierung. 2017 begann man mit den Arbeiten. Man reparierte rund 100 Gewölbe an beiden Streckenteilen, von denen 19 sogar völlig zerlegt wurden. Teile der Stahlbrücken wurden ausgetauscht. Der Eisenbahnunterbau wurde so erneuert, dass die Zuggeschwindigkeit erhöht werden konnte. Rund 160 Züge fahren heute pro Tag über das Viadukt. Die Bauarbeiten wurden im Juni 2020 mit nur geringfügiger Verspätung abgeschlossen.

Ein Problem konnte man nicht lösen. Die Bögen könnten sicher auch zu kommerziellen oder kulturellen Zwecken verwendet werden. Dazu eigneten sie sich geradezu ideal, wie die S-Bahnbögen in Berlin (das sonst städteplanerisch Prag nicht das Wasser reichen kann) es vormachen. Dort befinden sich neben vielen anderen schicke Restaurants, Ateliers, Galerien, Läden sogar Wärmestuben für Obdachlose. Karlín, wo sich die meisten Bögen befinden, ist heute eine Art Hipster-Viertel und somit für derartige Nutzungen, die Raum für Kreativität lassen, besonders geeignet.

Ein größerer Teil der Bögen ist nun leider zugemauert, was definitiv hässlich aussieht, oder wird als Parkplatzfläche o.ä. genutzt. Die Planer sind sich des Problems bewusst, aber leider erschweren die ungeklärten Eigentumsverhältnisse die Dinge arg. Die Bögen und das Areal darunter sind teilweise in der Hand der Bahn, teilweise in der Hand der Stadt Prag und teilweise in der Hand des tschechischen Staates. Folglich hat sich die Sache bisher etwas in die Länge gezogen.

Neues Leben unter dem Viadukt

Aber im Jahr 2013 wurde von der Non-Profit-Organisation Zentrum für Mitteleuropäische Architektur (Centrum pro středoevropskou architekturu) ein Vorschlag für ein Pilotprojekt initiiert. 2016 wurde es dann unter dem Motto „Sommer unter dem Viadukt“ ( Léto pod viaduktem) an kleinen Teilabschnitten getestet. Die weitere Planung unter Einbeziehung der Umgebung übernahm dann das Institut für Planung und Entwicklung der Hauptstadt Prag (Institut Institut plánování a rozvoje hlavního města Prahy; IPR), das 2019 eine realisierbare Konzeptstudie vorlegte, für die man das Architekturbüro MOBA engagierte. Im August 2023 begann man mit dem Bau, beginnend mit einem Bogen Nr. 036 an der Straße Sokolovská, Ecke Prvního Pluku, der nun das Test- und Pilotprojekt ist.

Die Grundidee erinnert an die Nutzung der alten Kanalausflüsse an der rechten Moldau-Uferpromenade. 2020 wurden sie in Bars und Galerien umgewandelt und haben das Areal tatsächlich touristisch, kulinarisch und kulturell bereichert. Auch bei dem Bogen des Viadukts soll eine Glasfassade vormontiert werden, hinter der sich dann die jeweilige Einrichtung befindet. Die Innengestaltung besteht nur aus eingesetzten Modulen, die die Bausubstanz an keiner Stelle verletzen – es gelten strikte Regeln des Denkmalschutzes. Die Zeiten, da die Bögen hauptsächlich als Lagerraum oder Abstellplätze für Autos genutzt wurden sind vorbei. Die Auswahlkriterien für Nutzer sind streng. Schicke hochwertige Restaurants, Bars, Galerien, Start-ups u.ä. sollen die sich sowieso bereits gentrifizierende Umgebung noch einmal aufwerten.

In den Pilot-Bogen 036 soll im April 2024 zunächst ein Informationszentrum einziehen, das den Bürgern das Projekt nahebringt. Dabei wird auch über zwei Jahre getestet, wie sich die neue Nutzung auf die Bausubstanz der alten Brücke auswirkt. Danach sollen nach und nach die meisten anderen Bögen mit Leben gefüllt werden. Wenn dieses Projekt realisiert wird, dann hat das Negrelli-Viadukt eine neue und höhere Stufe seines Daseins erreicht. Es wird nicht nur ein technisch und ästhetisch beeindruckendes Beispiel neuzeitlicher Ingenieurskunst sein, sondern auch zu einem sozialen und kulturellen Zentrum in einem aufstrebenden Stadtteil werden. Man kann dem Projekt für die Zukunft nur Erfolg wünschen.

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